Sechs Stunden hat Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) mit Chinas Vizepremier, immerhin. Ein Vier-Augen-Gespräch, ein Dialogformat zur Finanzpolitik, abends ein Dinner: Das ist nicht nichts. Jetzt steht der Deutsche aber erst einmal neben He Lifeng. Handshake. So sieht es das Protokoll vor. Nach ein paar Augenblicken ist es auch schon vorbei.

Eine riesige Halle, der Boden aus hellem Marmor, im Hintergrund ein Gemälde mit einer friedlichen Waldszenerie, mit Vögeln und Rehen. Das ist das Setting für den Besuch beim Partner, Wettbewerber und „systemischen Rivalen“, wie die Volksrepublik in der China-Strategie genannt wird.

Klingbeil wird auf dem weiträumigen Terrain des staatlichen Gästehauses Diaoyutai empfangen, gelegen im Norden der 20-Millionen-Metropole Peking. Schauplatz ist Villa Nr. 14, ein opulenter Bau mit dicken Teppichen und glitzernden Leuchtern, umgeben von künstlichen Seen und verschlungenen Wegen.

Der freundliche Herr Klingbeil und sein höflicher Gastgeber – man sollte sich von diesen Bildern nicht täuschen lassen. Denn: Um das Verhältnis zwischen Europa und China ist es gerade nicht besonders gut bestellt. Peking ist ein schwieriger Partner – wobei es sich nicht um eine Partnerschaft im herkömmlichen Sinn handelt. China lässt besonders die Europäer seine Macht spüren.

Auch deshalb ist Klingbeil hier. Die Frage ist jedoch, was die Messlatte für Erfolg oder Misserfolg eines solchen Besuchs bei der chinesischen Regierung sein kann. Reicht reden?

Klingbeil nachzusagen, die Zeit von Olaf Scholz (SPD) als Kanzler zu verklären, wäre ein Fehler. Aber es gibt diesen einen Scholz-Moment, der den SPD-Bundesvorsitzenden besonders beeindruckt hat: Im Herbst 2022 war das. Es gelang Scholz, Xi Jinping dazu zu bewegen, Wladimir Putin öffentlich vor dem Einsatz von Atomwaffen in der Ukraine zu warnen. Ein diplomatischer Erfolg, den der Kanzler und seine Leute damals sehr offensiv für sich reklamierten.

Der deutsche Finanzminister wäre wohl auch mit weniger zufrieden: Ein Mini-Scholz-Moment, das würde schon reichen. Ein Hauch von Durchbruch, etwas Bewegung. Klingbeil trifft anders als Scholz nicht Präsident Xi Jinping, sondern „nur“ den Vizepremier. Dieser ist immerhin zuständig für Chinas Wirtschaft, für Handel und Finanzen. Hi Lifeng war es, der jüngst im Zollstreit mit den Amerikanern die Verhandlungen führte. Ein guter Gesprächspartner für jemanden, der einen Deal mit China befördern möchte.

„Hoffentlich kann Deutschland auf die Europäische Union zugehen“

Mehr als zehn Flugstunden hat Klingbeil hinter sich. Dass er sich inzwischen vehement dafür ausspricht, europäische Märkte gegen Chinas Dumping-Exporte zu sichern, dürfte sich in Peking herumgesprochen haben, bald nachdem der Finanzminister seinen Trip angekündigt hatte. Neue europäische Stahlzölle gegen China – inzwischen ist das Konsens in der schwarz-roten Koalition. Und in Brüssel könnten die Entscheidungen dazu jetzt rasch fallen.

Explizit erwähnt Klingbeil das nicht, als er Chinas Vizepremier gegenübersitzt. Chinesische Unternehmen seien inzwischen „ernsthafte Wettbewerber für deutsche Firmen. Den Wettbewerb haben unsere Unternehmen längst angenommen“, so der Gast aus Deutschland. Betonen wolle er aber, das alles müsse zu fairen Bedingungen stattfinden: „Zu einem fairen Umgang hört, dass es einen verlässlichen Zugang zu Rohstoffen gibt, dass Überkapazitäten abgebaut werden.“

Klingbeils Gastgeber He Lifeng fordert von Deutschland und Europa ein Entgegenkommen beim Abbau von Handelsbarrieren und Benachteiligungen für bestimmte Unternehmen: „Hoffentlich kann Deutschland auf die Europäische Union zugehen, um die Handelsstreitigkeiten zu bewältigen.“ Es gehe um ein „diskriminierungsfreies und faires Geschäftsmodell für unsere Unternehmen“.

Das ist alles andere alles als ein Duell auf offener Bühne. Kein Donnern, keine Lautsprecherei. Ein anderer Sound als zuletzt. Würde dem etwas Vorzeigbares folgen, wäre das ein Fortschritt, ein Ende der Eiszeit, die zuletzt herrschte.

„Mikrofon-Diplomatie“ hatte der chinesische Außenminister den Deutschen neulich erst vorgeworfen und damit wohl so etwas wie Effekthascherei gemeint. Die Vorgeschichte: Außenminister Johann Wadephul (CDU) hatte sich zu Taiwan geäußert – sehr zum Ärger Chinas. Und schließlich entschied er, eine Reise ins Reich der Mitte unmittelbar vor dem geplanten Start abzusagen. Die chinesische Seite soll vom deutschen Chefdiplomaten zuvor verlangt haben, seine Äußerungen zurückzunehmen, und ihm kaum Termine gewährt haben.

Es bleibt schwierig. Die Stahlzölle sind nur eines von vielen Konfliktthemen. Hinzu kommen die Kanzler-Entscheidung gegen Huawei-Komponenten im deutschen 5G-Netz und das Dauerbrenner-Thema der vergangenen Wochen – die Chip-Krise rund den chinesischen Hersteller Nexperia, den die Niederlande inzwischen unter staatliche Kontrolle gestellt haben. Hier zeichnet sich noch keine Lösung ab.

Botschaft an Peking: Die Europäer wollen aus ihrer Passivität herauskommen und ihre Interessen jetzt entschlossen vertreten – auch wenn sie Freunde des Freihandels bleiben. Es ist es diese Mischung aus Stärke-Zeigen und Verhandeln hinter verschlossenen Türen, ohne die Gegenseite zu brüskieren, auf die Klingbeil in Peking setzt. Samtpfoten-Diplomatie könnte eine effiziente Methode der Konfliktlösung sein.

Vorbild Scholz? Beim Auftritt vor den Kameras spricht Klingbeil das Thema Ukraine an. Nicht laut, eher leise. Klingbeil sieht China als Schlüsselpartner, wenn es darum geht, Bemühungen für ein Ende von Russlands Angriffskrieg voranzutreiben. „Wir Europäer drängen darauf, dass dieser brutale Krieg bald ein Ende hat. Dazu sollten wir gemeinsam beitragen“, so der Minister.

Der Vizepremier geht darauf nicht ein. Kurz nickt er, als Klingbeil sagt, man wolle den Austausch fortsetzen. Und in seiner Ansprache vergisst He Lifeng nicht, Chinas aktuelle Wachstumszahlen zu erwähnen: 5,2 Prozent seien es in diesem Jahr gewesen.

Klingbeil kann von solchen Zahlen nur träumen. Und seine Hoffnung auf einen Scholz-Moment hat sich auch erst einmal zerschlagen. Vielleicht beim nächsten Mal. Man will in Kontakt bleiben.

Rasmus Buchsteiner ist Chief Correspondent Berlin bei „Politico“ Deutschland.

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