Die echte Aufgabe wartet noch auf Boris Pistorius
Die Frage hat Boris Pistorius offenbar erwartet, sie drängt sich in diesen Tagen auf, wieder einmal. Es ist eine Frage, die den Riss zwischen ihm und seiner SPD streift, eine Folge der hitzigen Wehrdienst-Debatte.
Ob er nicht Gefangener der eigenen Partei sei?
Pistorius schaut genervt, reagiert gereizt. Er verstehe ja, setzt der Verteidigungsminister an, dass man "immer wieder" versuche zwischen ihn und der SPD "einen Keil zu treiben". Und schiebt demonstrativ hinterher: "Das wird Ihnen nicht gelingen". In der SPD-Fraktionssitzung habe es an diesem Morgen "völlige Zustimmung" gegeben.
Also alles wieder gut?
Donnerstagmorgen im Bundestag. Pistorius hat kleine Augen, aber ein zufriedenes Lächeln im Gesicht. Am Vorabend wurde es spät. Aber er kann sich einen Moment lang als Sieger fühlen, als er gemeinsam mit den Fraktionsspitzen von CDU, CSU und SPD verkündet, dass im Streit um den neuen Wehrdienst ein Kompromiss gefunden wurde. Bei dem sich Pistorius weitgehend durchgesetzt hat.

Ernstfall Droht Deutschland ein Angriff Russlands? Das sagt ein Top-General
Das Ergebnis sieht so aus: Ab 2027 sollen alle Männer im Alter von 18 Jahren verpflichtend gemustert werden. Sollten sich aus der so erfassten Gruppe der Wehrtauglichen nicht genügend freiwillig für den Wehrdienst melden, wird per Losverfahren eingezogen. Bis zur Einigung war ein weiter Weg, inklusive Wutanfall des zuständigen Ministers vor knapp einem Monat. Pistorius versucht, den vorausgegangenen Konflikt an diesem Tag klein zu reden.
Mit einem Wutanfall räumte Pistorius den Kompromiss ab
Und tatsächlich hat sich der Verteidigungsminister weitgehend durchgesetzt. Die vollständige Wehrerfassung, wie es im Fachjargon heißt, hatte Pistorius von Anfang an angestrebt. Das vorgelagerte Losverfahren ist jetzt komplett vom Tisch. In einem anderen Punkt konnte sich die Union durchsetzen: Im Gesetz wird – anders als von Pistorius geplant – nun ein Ziel für den Personalaufwuchs bei der aktiven Truppe festgeschrieben, ein "Aufwuchskorridor". Sein Ministerium muss alle sechs Monate beim Parlament zum Rapport, wo man bei diesen Personalzielen steht.
Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Fragen und Antworten Habemus Wehrdienst! Wie das Ganze ablaufen soll
Aber die Zurückhaltung des Verteidigungsministers in dieser Frage war ohnehin vor allem ein Zugeständnis an die eigene Partei. Diese hatte auf ihrem Parteitag im Sommer darauf gepocht, es dürfe keinen Automatismus im Gesetz geben, ab dem zum Wehrdienst verpflichtet wird.
Tatsächlich scheinen die Genossen mit dem nun gefundenen Kompromiss vorerst milde gestimmt. "Völlige Zustimmung", die Pistorius am Morgen in der SPD-Fraktionssitzung gespürt haben will, ist es sicher nicht – manche Sozialdemokraten könnten auf jegliche Pflichtelemente beim Wehrdienst verzichten. Doch Kritik sei in der Sitzung am Morgen tatsächlich nicht laut geworden, auch die Skeptiker könnten den Kompromiss mitgehen.
Alle Augen auf Boris Pistorius
Auch bei der Frage, ob die freiwillig Wehrdienstleistenden künftig alle den Status "Soldaten auf Zeit" bekommen sollen, wie Pistorius es wollte, gab es einen Kompromiss. Der Unterschied soll zwar beibehalten werden, aber auch Freiwillige werden künftig mehr Geld erhalten – rund 2600 Euro brutto monatlich. Verpflichtet man sich länger, gibt's einen Zuschuss zum Erwerb des Führerscheins.
Der Union war gegen eine Gleichstellung gewesen: Es gäbe sonst keinen Anreiz mehr, auch Soldat auf Zeit zu werden, so eines der Hauptargumente.
Boris Pistorius kann also mit dem Ergebnis für sein größtes politisches Projekt in dieser Legislatur sehr zufrieden sein. Umgekehrt heißt das aber auch, dass sich nun alle Augen auf ihn richten.
Seit er das Amt im Bendlerblock im Januar 2023 von der überaus glücklos agierenden Christine Lambrecht hat er immer wieder die Probleme bei der Bundeswehr, bei Personal, Material und den Strukturen klar benannt. Und gefordert, Deutschland müsse "kriegstüchtig" werden. Nun muss er zeigen, dass ihm das auch gelingt.

Bundeswehr Deutschlands Horror-Kasernen: "Gott hat diesen Ort verlassen"
Schon in der vergangenen Legislatur war Pistorius von einigen als "Ankündigungsminister" verspottet worden. Als einer, der viel verspricht, aber wenig umsetzt. Doch damals könnte der SPD-Politiker noch finanzielle Probleme geltend machen: Schließlich hatte Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP) ihn mit der Forderung nach einem höheren Verteidigungshaushalt auflaufen lassen. Das Argument greift inzwischen nicht mehr. Die jetzige Regierung hat mit ihrer Einigung auf höheren Verteidigungsausgaben Pistorius den notwendigen Spielraum für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr verschafft.
Auch bei der Reform der überbordenden Bürokratie im Verteidigungsministerium muss Pistorius liefern. Schließlich leitet er dieses seit bald drei Jahren. Als der Minister vergangenen Freitag bei der jährlichen Bundeswehrtagung in Berlin davon sprach, die "Verantwortungsdiffusion" in der Bundeswehr beenden zu wollen, warfen einige Kommentatoren spöttisch die Frage auf, wer denn das Amt bislang geführt habe.
Der Knackpunkt wird für Pistorius aber die Frage des Personalaufwuchses sein. Er selbst hat abgeleitet aus den Nato-Vorgaben das ehrgeizige Ziel vorgegeben, die aktive Truppe von derzeit rund 183.000 Soldatinnen und Soldaten bis 2035 auf 260.000 anwachsen zu lassen. Hinzu sollen rund 200.000 Reservisten kommen, vor allem aus dem Freiwilligendienst; derzeit hat die Reserve rund 50.000. Die meisten Verteidigungsexperten sind überzeugt, dass diese Zahlen nicht ohne Wehrpflicht erreichbar sind.
Pistorius ist nach wie vor der beliebteste Minister des gesamten Kabinetts. Wie kein anderer verkörpert der ehemalige Landesinnenminister und Oberbürgermeister von Osnabrück den Politikertypus, der Dinge ausspricht und auf dessen Wort man vertrauen kann.
Nicht alle in der SPD haben Pistorius sein Verhalten verziehen
Zu Vertrauen gehört auch, dass Versprechen eingehalten werden. Bis Ostern hat Pistorius noch eine Art Gnadenfrist. Denn bis dahin will er Pläne für eine radikale Reform der Bundeswehr vorgelegt haben. So hatte er es vor wenigen Tagen angekündigt. Bis Ende 2027 wird er dann beweisen müssen, dass er die Pläne auch in die Tat umsetzen kann.
Und dann ist da noch die eigene Partei. In der SPD haben nicht alle Pistorius verziehen, wie rabiat er bei der Fraktionssitzung zum ursprünglichen Kompromiss vorging. Mancher spricht von einer "One-Man-Show" und betont, dass die genaue Ausgestaltung des neuen Wehrdienstgesetzes Sache des Parlaments sei. Wie auch die Entscheidung, ob und ab wann die Wehrpflicht aktiviert werden soll. Es klingt ein bisschen wie eine Drohung in Richtung Ministerium.

"Dokument des Zauderns" Militärhistoriker Neitzel zerpflückt Wehrdienstpläne
Dass es noch viel Erklärungsbedarf gibt, auch noch Überzeugungsarbeit geleistet werden muss, ist dem Verteidigungsminister offenbar bewusst. Nachdem Pistorius am Morgen mit etlichen Detailfragen der Journalisten gelöchert wurde, will er selbst noch eine Frage loswerden.
"Was wollen Sie tun, damit der freiwillige Wehrdienst ein Erfolg wird?", fragt er in die zahlreichen Kameras und Mikrofone. "Wollen Sie nur über Losverfahren sprechen oder auch über die Attraktivität bei der Bundeswehr?" Kurze Kunstpause. "Nehmen Sie die Frage gerne mit", sagt Pistorius und dreht ab.
- Boris Pistorius
- Wehrdienst
- Wehrdienstgesetz
- Kompromiss
- SPD
- Bundeswehr
- Bundestag
- Männer
- Siemtje Möller
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke