Außenminister Johann Wadephul ist wegen Äußerungen zu Syrien in der Union angeschlagen. In der Fraktionssitzung verteidigte er sich – und machte alles nur noch schlimmer.

Eigentlich hätte es ein guter Tag werden können für Johann Wadephul. Als am Dienstagnachmittag gegen 15 Uhr die Fraktionssitzung der Union beginnt, verteidigt Friedrich Merz seinen angeschlagenen Außenminister. "Weltweit" gebe es kaum einen so gefragten Gesprächspartner im Nahen Osten wie Wadephul, erklärt der Kanzler Teilnehmern zufolge. Es gibt Applaus.

Endlich Harmonie, endlich das Ende einer leidigen Debatte, so wirkt es für einen kurzen Moment. Ausgelöst hatte Wadephul den Streit selbst mit Aussagen zu "apokalyptischen Zerstörungen" in Syrien und Zweifeln daran, dass man überhaupt Menschen in das verwüstete Land abschieben könne. Führende Unionsleute hatten in den vergangenen Tagen scharf widersprochen. Und jetzt? Alles wieder gut?

Wadephuls Rede gerät zum Angriff auf seine Kritiker

Wer das dachte, hatte die Rechnung ohne Johann Wadephul gemacht. Nach Merz' Worten und ein paar anderen Redebeiträgen erhebt sich der 62 Jahre alte Schleswig-Holsteiner aus den Reihen seiner Landesgruppe und will, zunächst harmlos, etwas zurechtrücken. Den Einruck mancher Parteifreunde, dass er ein Abschiebungsgegner sei. Vor allem: dass er in seinem Amt womöglich zu viel Umgang mit grünen Beamten habe und deren Position allzu häufig übernehme.

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"Manche glauben ja, ich würde von meinem Haus geführt", sagt er laut Teilnehmern der Sitzung. Aber er habe gegen den Willen des Auswärtigen Amtes die Reisewarnungen nach Israel gelockert. Wadephul betont auch die enge Zusammenarbeit mit Innenminister Dobrindt und erklärt, dass auch er selbst für die Abschiebung von Straftätern nach Syrien sei. Es klingt versöhnlich. Wieder gibt es Applaus. 

Dann kippt es. 

"Ich bin kein Weichei", sagt Wadephul irgendwann. Er habe in seiner Zeit als Politiker viel gesehen, um die Lage in Syrien einordnen zu können. "Ich habe das bewusst gesagt und nichts zurückzunehmen."

Und er legt nach. Diesmal spricht er nicht von apokalyptischen Zuständen. Er nutzt einen besonders heiklen Vergleich: Es sehe in Syrien aus wie in Deutschland 1945, sagt der Außenminister. Mancher in der Fraktion will sogar gehört haben: Es sehe in dem Bürgerkriegsland "schlimmer" aus als im zerstörten Nazi-Deutschland.

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Im Saal wird es ruhig, es gibt kaum Applaus. "Je länger die Rede wurde, desto schlimmer", sagt ein Abgeordneter. Von einer Selbstdemontage ist die Rede. "Er hat sich um Kopf und Kragen geredet", meint sogar einer, der Wadephul politisch nahesteht. "Unterirdisch, ahistorisch, unpassend", sagt ein Unionsmann. Ein anderer: "Das ist respektlos gegenüber unserer eigenen Geschichte und den Millionen zivilen Kriegstoten." Ein Regierungsmitglied: "Unerklärlich."

Als Christ und Christdemokrat müsse er über das Leid und die Zerstörungen in Syrien deutliche Worte finden dürfen, betont Wadephul. Und dann fällt ein Satz, der den Auftritt endgültig zur Katastrophe macht: "Es muss in einem Fraktionssaal, in dem ein Kreuz hängt, möglich sein, das zu benennen", sagt Wadephul.

Viele im Saal verstehen das so: Wer mich jetzt noch kritisiert, ist kein guter Christ. Eine Erpressung. Wadephul habe angefasst gewirkt von der Kritik, emotional, heißt es. In seiner Not habe er dann auf Gegenangriff umgestellt. Manche wollen gar Tränen in seinen Augen gesehen haben.

Bundesaußenminister Wadephul sorgt mit weiterer Syrien-Äußerung für Aufregung

Der Außenminister fühlt sich offenkundig missverstanden. Tatsächlich hatte er auch bei seinem Besuch in Syrien nicht gesagt, dass überhaupt keine Abschiebungen in das Land möglich seien. Wadephul betonte vor Ort aber, dass eine Rückkehr von Syrern aus seiner Sicht "nur sehr eingeschränkt" möglich sei. Nicht viele Syrer würden diesen Schritt machen, mutmaßte Wadephul.

Statt die Aussagen einzuordnen, den eigenen Chefdiplomaten zu verteidigen, wurde Wadephul sofort von führenden Unionsleuten angegriffen. Hat ihm das derart zugesetzt?

"Das war sein Anne-Spiegel-Moment", sagt ein Abgeordneter. Ein vielsagender Vergleich. Die ehemalige grüne Familienministerin trat kurz nach einem emotionalen Video-Statement als Ministerin zurück. Wadephuls Auftritt fand zwar intern statt, aber vor so vielen Teilnehmern, dass er mit einer Veröffentlichung der Zitate rechnen musste. 

Namentlich will sich am Tag danach niemand mit Kritik zitieren lassen. Schließlich hatte sich Merz zu Beginn der Sitzung persönlich vor seinen Außenminister gestellt. Doch die Tonlage ist selbst bei denen eindeutig, die inhaltlich bisher wenig am Außenminister auszusetzen hatten: Mit dem Auftritt habe sich der 62-Jährige selbst massiv geschadet, mit seinen Thesen sogar der gesamten Partei. 

Denn, so fragen sich viele: Welches Gericht winke denn jetzt noch Abschiebungen nach Syrien durch, wenn der Chefdiplomat persönlich meint, man könne das eigentlich kaum jemandem zumuten? Selbst Straftäter könnten sich jetzt auf Wadephul berufen, heißt es unter Fraktionskollegen. Weil die Migrationswende das bislang einzige halbwegs erfolgsversprechende Projekt der neuen Regierung ist, sorgt Wadephuls Relativierung für regelrechtes Entsetzen.

Flüchtlinge aus Syrien Union rauft sich nach Wadephul-Irritationen wieder zusammen

Nach seinem Auftritt am Dienstag ist er für viele in der CDU nur noch ein Außenminister auf Bewährung. In der CSU hat man ihn längst im Visier. Die große Frage ist, wie es der Kanzler sieht. Dessen Blick habe im Verlauf von Wadephuls Auftritt immer versteinerter gewirkt, heißt es unter Abgeordneten, die ihn beobachteten.

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