„Ich habe das Gefühl, in den letzten acht Jahren wurde nichts dazugelernt“, sagt Kretschmer
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) fordert von der schwarz-roten Bundesregierung mehr Entschlossenheit und Transparenz in der Debatte um eine bessere Verteidigungsfähigkeit Deutschlands. „Ich denke, dass wir gewisse Sachen als repräsentative Demokratie auch vorgeben müssen“, sagte Kretschmer am Mittwoch in der ARD-Talksendung „Maischberger“.
„Jeder junge Mensch muss in den kommenden Jahren etwas unmittelbar für sein Land leisten“, forderte der CDU-Politiker. Deutschland müsse sich „verteidigungsfähig aufstellen“ und dafür müssten die Bürger wissen, „wie das funktioniert, wie die Technik geht, wie das Katastrophenschutzthema, das Zivilschutzthema geht – wahrscheinlich auch das Thema Betreuung in Krankenhäusern.“
Kretschmer betonte zugleich, wie wichtig ihm ein breiter Konsens sei: „Die Wehrpflicht ist so eine zentrale Frage, weil es so viele Millionen Menschen betrifft. Das ist doch das Naheliegendste, dass man dazu auch eine breitere Diskussion führt.“ Geht es nach ihm, würde er über diese Frage am liebsten das Volk entscheiden lassen. „Die Leute müssen doch die Möglichkeit haben, zu sagen, wie sie das haben wollen.“
Da ein Volksentscheid verfassungsmäßig aber nicht möglich sei, habe er Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) eine Volksbefragung vorgeschlagen: „Organisieren Sie anhand von drei oder vier unterschiedlichen Gesetzesvorschlägen, die der Bundestag diskutiert, eine Volksbefragung und schauen Sie, was da als Mehrheit rauskommt. Und das setzt das Parlament um.“ Dann habe man einen „ganz anderen Rückhalt“.
„In den letzten acht Jahren wurde nichts dazugelernt“
Mit Unverständnis blickt der CDU-Politiker auf die zahlreichen Streitthemen innerhalb der Bundesregierung. Diese hätten dazu geführt, dass Vertrauen der Bevölkerung verloren gegangen sei, sagte der Ministerpräsident. Fortschritte – auch nach dem Ampel-Aus – vermisst Kretschmer. „Ich habe das Gefühl, in den letzten acht Jahren wurde nichts dazugelernt.“ Die Verantwortlichen müssten den Bürgern aufmerksamer zuhören – und schließlich auch handeln: „Wir müssen nicht besser erklären, wir müssen zuhören, was die Menschen in diesem Land wollen – und dann auch ab und zu tun, was sie wollen.“
Ein großer Teil der Menschen zweifele an der Demokratie, viele seien sogar verzweifelt, so Kretschmer. „Deswegen haben wir diese populistischen Wahlergebnisse.“ Entscheidend sei daher, den Blick auf die Interessen der Bürger zu richten, statt sich mit „Fragen von Brandmauern oder Unvereinbarkeitsbeschlüssen zu beschäftigen“. „Was ist wirklich im Interesse der Menschen, wo finden wir die Mehrheit der Menschen wieder, wie kommen wir mit der Bevölkerung zusammen?“, fasst es der CDU-Politiker zusammen.
Der Unvereinbarkeitsbeschluss der Union ist ein parteiinternes Grundsatzpapier der Union aus dem Jahr 2018, das festlegt, dass es keine politische Zusammenarbeit mit der AfD oder der Linkspartei geben darf – weder auf Bundes- noch auf Landes- oder Kommunalebene. Immer wieder werden allerdings Forderungen erhoben, in der Kommunalpolitik mehr Spielräume zuzulassen, etwa bei Abstimmungen über lokale Projekte. Auch Kretschmer wünscht sich mehr Differenzierung.
Der Unvereinbarkeitsbeschluss habe aus seiner Sicht „insofern keine Relevanz, weil ich ganz klar sehe: mit den Führungsspitzen der Linkspartei haben wir nichts zu tun“. Bei großen politischen Themen wie der Nato oder der Europäischen Union lägen die Positionen ohnehin weit auseinander. „Wenn man dann an Sachthemen gemeinsam zusammenkommt, wo ist das Problem, bitte schön?“, so der sächsische Ministerpräsident. „Wenn es im Kommunalparlament um einen Radweg geht oder bei uns um den Landeshaushalt, dann finde ich das auch in Ordnung, wenn man das gemeinsam macht.“
Im Hinblick auf die Wahlerfolge der AfD, die auf Bundesebene in den Umfragen zulegt und in Sachsen laut einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Civey von Anfang Oktober mit Zustimmungswerten von 37 Prozent deutlich vor Kretschmers regierender CDU (27 Prozent) liegt, forderte Kretschmer, die Ursachen für die Wahlerfolge der Partei ins Zentrum der Debatte zu rücken. „Das wirklich Zentrale ist, dass wir über die Ursachen sprechen, warum Menschen diese Partei wählen – wie die Frage, warum sie an der Demokratie zweifeln.“ Kretschmer nimmt auch hier die Bundesregierung in die Pflicht. Aktuell sehe man „ein Land, das nicht handlungsfähig ist, wo an vielen Stellen die Dinge nicht in Ordnung sind, wo keine Bewegung ist. Das muss sich ändern und das müssen wir von dieser aktuellen Bundesregierung und ihrer Koalition auch erwarten können.“
Zugleich betonte Kretschmer: „Die AfD ist keine normale Partei, sie ist ein rechtsextremer Verdachtsfall und in Sachsen gesichert rechtsextrem. Wenn sie es nicht wäre, würde sie Leute wie Höcke und andere ausschließen.“ Die AfD sei „extrem schwierig“, so Kretschmer – „nicht alle Mitglieder, mit Sicherheit auch nicht alle Mandatsträger, mit ganz großer Sicherheit nicht alle Wähler. Aber der Kern dieser Truppe ist so“.
Statt sich aber hinter einer Brandmauer zu verstecken, müsse man Lösungen anbieten, die das Vertrauen in die Fähigkeiten der Regierung stärken. Kretschmers Vorschlag: Entbürokratisierung, Deregulierung, die Neuausrichtung der Energiewende und die Förderung wirtschaftlicher Dynamik in Deutschland.
Kritik an Erhöhung der Verteidigungsausgaben
Kritik äußerte Kretschmer auch an der Debatte über eine Erhöhung der Erbschaftssteuer. Dies sei eine „Neiddiskussion“. „Jetzt einige Reiche arm zu machen, hat diesem Land noch nie etwas gebracht.“ Ebenso warnte er vor den Folgen der geplanten Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP): „Wenn man sich der Sache wirklich ernsthaft nähert, stellt man fest: Es wird alles in diesem Land ändern. Das darf so nicht passieren. Wir müssen dafür sorgen, dass wir durch eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft unsere Kräfte bündeln und mit deutlich weniger Geld auskommen, um unsere Sicherheit zu gewährleisten.“
International sieht Kretschmer Deutschland derzeit in einer schwierigen Lage: „Wir finden in Deutschland und Europa nicht unsere eigene Haltung, machen den Rücken nicht gerade und sorgen mit eigener Power dafür, dass wir wahrgenommen werden, dass wir ernst genommen werden zwischen diesen beiden Weltmächten Amerika und China. Wir werden zerrieben und gar nicht mehr richtig ernst genommen.“
Auf einer kürzlichen Asienreise habe er Unverständnis gegenüber der Sozialpolitik wahrgenommen. Kretschmer zitierte seine Gesprächspartner mit den Worten: „Ihr habt Menschen, die könnten arbeiten, die gehen nicht arbeiten, kriegen Bürgergeld. Was macht ihr da?“
Auch bei technischen Errungenschaften wie etwa dem autonomen Fahren, das in China und den USA bereits erprobt werde, befinde sich Deutschland im Rückstand. „Das geht so nicht weiter“, bilanzierte der sächsische Ministerpräsident.
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