Während manche davon träumen, in Deutschland den Aufstieg zu schaffen, stehen andere noch unter der Treppe zu den S-Bahn-Gleisen am Berliner Alexanderplatz. Und zwar vor der Filiale von „Ria Money Transfer“, einem Unternehmen, das auf bunten Plakaten in verschiedenen Sprachen mit „unkomplizierten und schnellen“ Geldtransfers ins Ausland wirbt.

Die Filiale am Alexanderplatz hat an 365 Tagen im Jahr geöffnet – und fast jeden Tag stehen Menschen in der Schlange, um an einem von fünf Schaltern in der 20 Quadratmeter großen Filiale Geld ins Ausland zu schicken. Vereinzelt tauschen Kunden auch für den nächsten Auslandsaufenthalt ihre Euros in US-Dollar, Schweizer Franken oder japanische Yen um, wenn der Kurs gerade günstig steht. Die Mehrheit aber kommt für die günstigen Transfers in andere Länder.

Tims Sanchez ist einer von ihnen. „Ich bin vor neun Monaten aus Spanien gekommen“, sagt er, während er in der immer weiter wachsenden Warteschlange steht. Ein Freund habe ihm gesagt, dass er als Künstler in der deutschen Hauptstadt den Durchbruch schaffen könne. Derzeit schlägt sich der 29-Jährige allerdings noch als Tänzer durch. Wann immer er es sich leisten kann, würde er seiner verwitweten Mutter in Spanien ein bisschen Geld überweisen, so wie heute.

Sanchez steht exemplarisch für eine globalisierte Welt, in der immer mehr Menschen ihre Heimatländer verlassen, um sich anderswo ein vermeintlich besseres Leben aufzubauen. Viele unterstützen ihre Angehörigen daheim dabei aber weiter finanziell, wie Zahlen zeigen – und die Summen steigen seit Jahren deutlich.

Analysten der Bundesbank weisen einen Rekordwert bei den sogenannten Rücküberweisungen aus. Insgesamt flossen im Jahr 2024 etwa 7,7 Milliarden Euro ins Ausland. Das macht im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg von rund 14 Prozent. Ein Großteil ging an Angehörige in Europa (ca. 5,5 Milliarden).

Die Weltbank nennt sogar noch viel höhere Werte. So sollen nach ihrer Schätzung die Rücküberweisungen aus der Bundesrepublik 2023 rund 23 Milliarden Euro betragen haben – Deutschland steht in diesem Ranking nach den USA, Saudi-Arabien und der Schweiz auf Platz vier der weltweit größten Senderländer. Die meisten Rücküberweisungen gehen dabei in Länder außerhalb des Euroraums: 2024 in die Türkei (869 Millionen Euro), nach Rumänien (698 Millionen Euro), in die Ukraine (444 Millionen Euro) und nach Syrien (449 Millionen Euro).

Für ärmere Länder sind die privaten Zahlungen aus dem Ausland inzwischen schon ein wichtiger Wirtschaftsfaktor: Im Libanon zum Beispiel machten im Jahr 2022 solche Transfers aus dem Ausland 38 Prozent des nationalen BIP aus. In Deutschland schickten mit 767,20 Euro pro Kopf vor allem Rumänen viel Geld nach Hause. Zum Vergleich: Rücküberweisungen von Österreichern lagen bei nur 294,11 Euro pro Kopf. Die Berechnungen basieren auf Zahlen des Statistischen Bundesamts.

Firmen wie Ria Money Transfer oder auch Western Union haben die steigende Bedeutung der Rücküberweisungen längst erkannt. „Viele unserer Kunden in Deutschland senden Geld in osteuropäische Länder, insbesondere in die Ukraine, sowie in andere Regionen mit starken Communitys, wie zum Beispiel in die Türkei“, sagt Jolanta Caber, die Pressesprecherin von Ria Money Transfers. „Viele Menschen kommen aus diesen Ländern nach Deutschland, um hier zu arbeiten oder weil sie auf der Flucht vor Krieg und Krisen sind.“ Die finanzielle Unterstützung für Angehörige in der Heimat sei daher ein zentraler Bestandteil der angebotenen Dienstleistungen.

Ein Vorteil gegenüber einer gewöhnlichen Hausbank: Das Geld ist in zehn bis 15 Minuten beim Empfänger, auch an Sonn- und Feiertagen. „Bei einer deutschen Bank dauert die Überweisung manchmal fünf Tage“, sagt Kundin Ilona WELT, die häufig Beträge zwischen 50 und 100 Euro in die Ukraine schickt. „Das ist viel zu lang“. Zudem liegen die Gebühren bei den unabhängigen Dienstleistern dabei oftmals unter denen einer Auslandsüberweisung über eine Bank, da sie eigene Verträge mit den Partnerbanken im Zielland abschließen.

Aber es liegt auch an den Empfängern im Ausland, dass die Branche boomt. „Meine Eltern haben in Georgien kein Bankkonto“, erklärt Kunde Giorgi (33), der seit einer Woche in Deutschland ist und seinen Lebensunterhalt erst einmal mit Kellnern bestreiten will. Die Dienstleister werden dadurch oft zur einzigen Möglichkeit, den Angehörigen Geld zu schicken.

22 Filialen unterhält alleine Ria Money Transfer inzwischen in Deutschland. Hinzu kommen dutzende sogenannte Agenten, die als Einzahlungsstelle fungieren und das Geld für den Kunden weiterleiten. So kann Geld dezentral auch ohne Bank in die ganze Welt verschickt werden, außer in den Iran und nach Nordkorea.

„In Ländern wie Vietnam, wo es im ländlichen Raum keine andere Möglichkeit gibt, können Boten das Geld auch nach Hause bringen“, sagt Eimie Magaso. Die Managerin der Berliner Ria-Filialen schickt selbst regelmäßig Geld zu ihrer Familie auf die Philippinen. Die Kunden schätzten, dass viele Ria-Mitarbeiter selbst aus den Zielländern kommen und ihre Sprache sprechen.

Etwa für Oussama Jemaot aus Marokko, der erst seit einer Woche in Deutschland und noch auf Jobsuche ist. „Ich schicke aus Europa immer etwas nach Hause, mal 30, mal 50 Euro“, sagt der 28-Jährige. Künftig soll es etwas jedoch mehr werden.

Auch Bürgergeld geht ins Ausland

Doch das Geschäft bleibt nicht ohne Kritik. Immer wieder bemängeln Sozialverbände eine zu geringe Kontrolle über die Transfers. Überweisungen mit Bargeld oder ohne eigenes Konto sind bei Ria und Co kein größeres Problem. Aber schützen sie auch ausreichend vor Sozialbetrug? Am Berliner Alexanderplatz bringen einige Kunden hunderte Euro mit zum Schalter. Auf Nachfrage wollen sie der Redaktion keine Auskunft geben.

Unter ihren Bekannten gebe es auch „viele Familien aus Syrien und dem Libanon, die ihr Bürgergeld in die Heimat schicken“, sagt dann auch Hadja, die vor neun Jahren aus dem Libanon nach Deutschland gekommen ist und ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Diese Überweisungen dürften aber natürlich nicht auf dem Bankkonto auftauchen, auf das die Sozialleistungen überwiesen werden. Deshalb würde das Geld erst vom Konto abgehoben und dann bar in einer Filiale eingezahlt, um die Transaktion ins Ausland zu verschleiern.

Einige von Hadjas Freundinnen würden auf diese Weise regelmäßig Geld verschicken. Per Bareinzahlung seien auch größere Summen kein Problem. Immer wieder treten Männer an die Ria-Schalter, schieben Bündel mit 100-Euro-Scheinen über den Schalter und verschwinden dann wieder. Deutsch spricht niemand von ihnen. „Bis 5000 Euro kontrolliert die Überweisungen niemand“, sagt hingegen Hadja. In der Tat müssen per Außenwirtschaftsverordnung erst Auslandsüberweisungen ab einer Höhe von 12.500 Euro bei der Bundesbank gemeldet werden.

Auch Maya Petkova würde gern Geld an ihre Mutter in Bulgarien überweisen. „Ich weiß, dass es für viele andere üblich ist, Geld ins Ausland zu ihrer Familie zu schicken“, sagt die 29-jährige Stripperin. „Aber meine Familie möchte es nicht.“ Sie selbst ist heute nur hier, um 30 englische Pfund umzutauschen, die ihr ein Kunde zugesteckt hat. „Teilweise kommt das Geld für Überweisungen vom Jobcenter, teilweise auch über nicht angemeldete Nebenjobs als Putzkraft oder Ähnliches. Ich finde das nicht richtig, ich arbeite ehrlich in einem Nachtclub für mein Einkommen.“ Dort verdiene sie immerhin 1600 Euro, das sei genug, um auch etwas sparen zu können.

Um Betrug und illegale Geldgeschäfte zu verhindern, überprüfen die Dienstleister sowohl den Kunden als auch die Transaktion vor der Ausführung in Echtzeit. „Wir fragen natürlich nach, woher das Geld kommt und wollen gegebenenfalls einen Einkommensnachweis sehen“, sagt Managerin Magaso.

Kunden und Empfänger müssten außerdem durch Ausweis oder Reisepass identifizierbar sein. Auch müssten Kunden plausibel erklären können, warum sie das Geld verschicken wollten. Mit den Jahren hat Magaso gelernt, sich auf ihre Intuition zu verlassen. „Wenn eine ältere Dame aus Deutschland eine hohe Geldsumme nach Kenia verschicken will, werde ich hellhörig und stelle Fragen.“ Einige Fälle des sogenannten Love Scams, einer Betrugsmasche, bei der die Täter versuchen, eine romantische Beziehung aufzubauen, um später Geld zu ergaunern, seien so im letzten Moment vereitelt worden.

Zudem werden Überweisungen blockiert, wenn sie Sanktionen gegen Personen betreffen, unvollständige Informationen über den Kunden vorliegen oder der Verdacht auf Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung oder Betrug besteht.

Ob eine Bareinzahlung gespartes oder Bürgergeld ist, ist für die Dienstleister allerdings kaum zu überprüfen. Die Bundesagentur für Arbeit erklärt auf WELT-Anfrage, dass es dafür keine gesetzliche Grundlage gebe. „Dies würde auch gegen geltendes Recht verstoßen.“ Im Rahmen der Antragstellung auf Leistungen aus dem SGB II würden Kontoauszüge gesichtet. Zudem müssen die Kunden alle Vermögenswerte und Einnahmequellen offenlegen.

Wiederkehrende Überweisungen ins Ausland könnten zwar bei Sozialhilfeempfängern als unzulässige Vermögensübertragung gewertet werden, was zu Sanktionen, Rückforderungen oder sogar Strafverfahren führen kann. Allerdings sieht die Bundesagentur für Arbeit bei wiederkehrenden Überweisungen nicht automatisch einen Betrugsverdacht. „Wiederkehrende Überweisungen an Dritte können unterschiedliche Hintergründe haben“, führt Pressesprecher Andre Stephan-Park aus.

So sei es zum Beispiel möglich, dass Kunden über gesetzlich geschütztes Vermögen verfügen. „Dieses dürfen sie auch nutzen, um Familienangehörige zu unterstützen ohne gegen geltendes Recht bzw. Verpflichtungen im Rahmen des Bürgergeldbezugs zu verstoßen.“ Alleine die Tatsache, dass Geld ins Ausland überwiesen wird, stelle noch keinen Beleg dar, dass die Hilfebedürftigkeit nur vorgetäuscht wurde.

Zudem weist der Pressesprecher der Bundesagentur für Arbeit darauf hin, dass es sich beim Bürgergeld-Regelbedarf um eine pauschale Leistung des Gesetzgebers handelt, die den lebensnotwendigen Unterhalt sichern soll. „Eine individuelle Prüfung, wie Kundinnen und Kunden ihren Regelbedarf Euro für Euro nutzen, ist gesetzlich nicht vorgesehen.“

Teil der deutschen Entwicklungspolitik

Offiziell sollen Sozialleistungen zwar nicht mehr in größerem Umfang ins Ausland versendet werden. Gleichzeitig fördert das Entwicklungsministerium aber offenbar weiter die privaten Geldtransfers, „international remittances“ genannt, als Teil der deutschen Entwicklungspolitik.

„Die Entwicklungspolitik kann ihren Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung unterstützen, indem sie Angebote zur bestmöglichen Nutzung dieses privaten Einkommens macht und Transfers erleichtert“, schreibt das Ministerium online. „So fördert das BMZ gezielt Innovationen, die den Geldtransfer sicherer, schneller und günstiger machen.“

Eine direkte Förderung der Transfers als Form der Entwicklungshilfe, also? Weil es sich um privates Geld handle, seien die Überweisungen nicht direkt als solche anrechenbar, sagt eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage. Die Unterstützung der Transfers stehe aber „im Einklang mit der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“.

An der Berliner Ria-Filiale hat sich die Schlange am späten Nachmittag noch immer nicht aufgelöst. Unter den S-Bahn-Gleisen ist noch bis 20.30 Uhr Betrieb. Die nächsten Tage wird es noch so bleiben. Leerer wird es tagsüber erst wieder in zwei Wochen werden, denn die größeren Überweisungen findet typischerweise zum Monatsanfang statt. Bis dahin heißt es warten. Auf die nächste Überweisung – und die nächste Aufstiegschance.

Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und „Business Insider Deutschland“ erstellt.

Sandra Hackenberg ist Redakteurin im Ressort Nachrichten und Gesellschaft und arbeitete mehrere Monate für WELT in den USA.

Felix Seifert ist Redakteur im Ressort Wirtschaft und Innovation. Er schreibt unter anderem über die Themen Karriere, Verbraucher, Mittelstand und Immobilien.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke