Trotz 100 Millionen für russische Propaganda – wie sich Moldaus Pro-Europäer durchsetzen konnten
Die Republik Moldau behält ihren pro-europäischen Kurs bei – das ist das Hauptergebnis der richtungsweisenden Parlamentswahl am Sonntag. Moldaus Präsidentin Maia Sandu, eine Hassfigur der russischen Propaganda, kann sich vorläufig entspannen. Ihre pro-europäische „Partei der Aktion und Solidarität“ (PAS) hat die Parlamentswahl gewonnen.
Bei einem Auszählungsstand von 99,91 Prozent der Stimmen kommt die PAS auf 50,16 Prozent. Das entspricht 54 von 101 Sitzen im moldauischen Parlament. Die Mehrheit reicht, um ohne Koalitionspartner zu regieren. Der pro-russische „Patriotische Block“ des ehemaligen Präsidenten Igor Dodon kam auf 24,3 Prozent der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei 52 Prozent.
Während europäische Spitzenpolitiker wie die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen der Präsidentin Sandu gratulierten, erklärte sich Dodon zum Wahlsieger und rief zu Protesten vor dem Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Chisinau auf. Eine bedeutende Protestaktion scheint daraus nicht geworden zu sein. Selbst nach Angaben russischer Medien haben sich lediglich „hunderte“ Menschen vor dem Parlament versammelt.
Bei der Parlamentswahl vor fünf Jahren bekam die pro-europäische PAS noch 61 Parlamentssitze. Angesichts der schwierigen Jahre dazwischen kann sich das Ergebnis aber sehen lassen. Die russische Großinvasion der Ukraine stellte die Wirtschafts- und Sicherheitslage des kleinen zwischen Rumänien und der Ukraine gelegenen Staates auf den Kopf. Zwei Dürrejahre in Folge versetzten der Landwirtschaft des agrarisch geprägten Landes schwere Schläge.
Die Präsidentschaftswahl und das Referendum über den EU-Beitritt im vergangenen Jahr gingen für das pro-europäische Lager knapp aus. Seit 2022 ist das Land EU-Beitrittskandidat, die Regierung peilt den Beitritt im Jahr 2028 an. Trotz Europas Finanzhilfen, die sich in diesem Jahr auf 300 Millionen Euro oder 1,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des Landes beliefen, lasteten viele Moldauer die drängenden Probleme ihres Landes wie Korruption, Inflation und hohe Energiepreise der pro-europäischen Führung an.
Sie haben einen Punkt: Schließlich sind die gestiegenen Energiepreise nicht nur eine Folge des Ukraine-Krieges, sondern auch der bewussten Entscheidung der Regierung, auf russische Energie zu verzichten und eine Integration mit europäischen Gas- und Stromnetzen anzustreben. Die erfolgte aber nicht ohne Grund. Russische Angriffe auf ukrainische Energieinfrastruktur sorgten in den ersten Monaten nach dem Großangriff für Blackouts in Moldau. Russische Gasexporte wiederum machten das Land anfällig für politischen Druck aus Moskau.
Der Sieg der pro-europäischen Partei war also keine Selbstverständlichkeit. Noch vor wenigen Wochen führte laut einigen Umfragen der pro-russische Wahlblock. Große Teile der Wählerschaft waren unentschieden. Am Ende scheint die Taktik der „Partei der Aktion und Solidarität“ aufgegangen zu sein, vor allem auf das Thema geopolitische Sicherheit zu setzen und auch gemäßigte Oppositionsparteien als pro-russisch darzustellen. Präsidentin Sandu bracht es so auf den Punkt: „Spielen Sie nicht mit Ihrer Stimme, sonst verlieren Sie alles!“
Das kommt vor allem bei der zumeist in Westeuropa lebenden Diaspora an, die in 300 Wahllokalen im Ausland abstimmen durfte – davon nur zwei in Russland und nur zwölf in der völkerrechtlich zu Moldau gehörenden abtrünnigen Provinz Transnistrien. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen waren es noch 33.
Der Versuch der Regierung, zumindest einen Teil der potenziellen pro-russischen Wähler an der Stimmabgabe zu hindern, lässt sich kaum von der Hand weisen. Die moldauische Menschenrechts-NGO Promo-LEX kritisierte das: Der Schritt erschwere die langfristige Reintegration der abtrünnigen Provinz.
Dazu kommt: Die internen Konflikte im pro-russischen Block haben den Gegnern Sandus Stimmen gekostet. So warf der ehemalige Präsident und Anführer der Kommunisten, Vladimir Voronin, seinem Blockpartner Dodon von den Sozialisten vor, rund eine Million Euro vom Oligarchen Vladimir Plahotniuc erhalten zu haben. Der ehemalige Vizepräsident, der für den Diebstahl von einer Milliarde Dollar aus Moldaus Bankensystem verantwortlich sein soll, wurde wenige Tage vor der Wahl von Griechenland ausgeliefert – ein Pluspunkt für die Pro-Europäer, die sich als Korruptionsbekämpfer profilieren können.
Auftrieb für die Pro-Europäer hat auch der gemeinsame Besuch von Friedrich Merz, Emmanuel Macron und Donald Tusk anlässlich des moldauischen Unabhängigkeitstages im August gegeben. Am Ende konnte nicht einmal die massive russische Wahleinmischung den Wahlsieg der „Partei der Aktion und Solidarität“ verhindern. Laut Präsidentin Sandu hat Russland umgerechnet rund 100 Millionen Euro in Kryptowährungen ausgegeben.
Eine investigative Recherche der moldauischen Zeitung „Ziarul de Garda“ legte ein Netzwerk des nach Russland geflüchteten Oligarchen Ilan Schor frei, das mit bezahlten Protesten und Stimmenkauf arbeitet. Russische Propaganda auf TikTok, Telegram und Videoplattformen zielte darauf ab, den kommenden EU-Beitritt als eine Gefahr für Moldaus orthodoxe Kirche und „traditionelle Familie“ darzustellen. Dazu kamen Attacken, die Regierungswebseiten lahmlegten.
Für die abtrünnige pro-russische Region Transnistrien, wo etwa 1500 russische Soldaten stationiert sind, bedeutet der Sieg der pro-europäischen Partei eine weitere Schwächung ihrer Position. Nach der russischen Großinvasion und der Schließung der ukrainischen Grenze verlor die für Transithandel und Schmuggel berüchtigte selbsterklärte Republik wichtige Einnahmequellen und wurde wie nie zuvor von Chisinau abhängig.
Das Ende des russischen Gastransits über die Ukraine und Transnistrien Anfang des Jahres machte Transnistrien von europäischen Hilfen abhängig. Die Zentralregierung will die Region langfristig mit friedlichen Mitteln – und ökonomischem Druck – zurück unter ihre Kontrolle bringen.
Pavel Lokshin ist Russland-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2017 über Russland, die Ukraine und den postsowjetischen Raum.
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