Deutschlands teure Aufrüstung gegen Drohnen ignoriert günstigere Alternativen
Armin Papperger gehen die Dinge derzeit leicht von der Hand. Seit Russland im Februar 2022 in die Ukraine eingefallen ist, hat sich das Geschäft für den Rheinmetall-Chef geändert: Papperger muss bei der Politik nicht mehr um Aufträge betteln. Im Gegenteil, die fleht den Rüstungskonzern an, möglichst schnell zu liefern. „Rheinmetall bekommt im Augenblick eine ganze Menge Aufträge von der Bundesregierung“, sagte Papperger in einem Interview mit dem „Handelsblatt“. „Aber wir können eben auch liefern.“
Papperger ist selbstbewusst, die Zeiten ändern sich. Wo er früher Klinken putzen musste, um Munition und Waffen verkaufen zu können, rennen ihm Bundesverteidigungsministerium und das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr in Koblenz die Türe ein. Es wird fast alles gekauft, was es bei Rheinmetall zu kaufen gibt. Manchmal auch das, was es noch nicht gibt.
„Man kann es im Sondervermögen sehen, der Löwenanteil des Geldes, der nicht in die USA gegangen ist, ging an Rheinmetall“, sagt Sebastian Schäfer, zuständiger Haushälter der Grünen. „Wenn sich die Bundesregierung dazu entscheiden sollte, einen nationalen Champion zu schaffen, sollte sie das transparent machen und nicht über die Möglichkeiten des Vergaberechts den offenen Wettbewerb aushebeln.“ Gelegentlich – so Kritiker – bekomme der Konzern selbst dann die Aufträge, wenn die Leistung schlechter, der Preis höher und die Lieferfrist deutlich weiter in der Zukunft liegen als bei Konkurrenten.
So ein Fall macht derzeit in Berlin die Runde: Die Bundesregierung will nach Informationen von WELT AM SONNTAG ohne öffentliche Ausschreibung einen sogenannten Direktvertrag zur Entwicklung eines navalen – also für die Marine geeigneten – Lasersystems zur Abwehr von Drohnen und Raketen an Rheinmetall vergeben, obwohl die Konkurrenz mit einem leistungsfähigeren System bereits am Markt ist. Bis Ende des Jahrzehnts soll Rheinmetall drei Demonstrationsgeräte liefern. Kostenpunkt: angeblich 390 Millionen Euro, heißt es.
Laser sind so etwas wie der neue heiße Stoff in der Abwehr feindlicher Flugobjekte wie Drohnen, Flugzeuge oder Raketen. Einige bereits heute verfügbare Systeme können 20 bis 30 Drohnen pro Minute vom Himmel holen durch permanentes Wiederaufladen der Batterien. Die Kosten pro Abschuss werden im ein- bis zweistelligen Euro-Bereich veranschlagt. Wird das Flugobjekt dagegen per Rakete abgeschossen, wie kürzlich in Polen mit der AIM-9 Sidewinder, als die Russen dort in den Luftraum eindrangen, schlägt der Abschuss einer nur wenige Tausend Euro teuren Drohne mit 400.000 Euro zu Buche.
Kriege werden nicht nur auf dem Schlachtfeld gewonnen, sondern auch in den Budgets der Staaten. Wer pleite ist, muss aufgeben. Deshalb versuchen Regierungen, Waffensysteme, Munition und andere Ausrüstung möglichst billig einzukaufen – in Deutschland im Normalfall über die Ausschreibung öffentlicher Aufträge. Vereinfacht gesagt, darf die nur dann in Form einer Direktvergabe umgangen werden, wenn es dafür triftige Gründe gibt: zum Beispiel im Krisen- und Kriegsfall.
Oder wenn es um sicherheitsrelevante oder geheime Leistungen geht. „Die unbegrenzten Finanzmittel im Beschaffungsbereich wecken natürlich viele Begehrlichkeiten bei der Industrie“, kritisiert Schäfer von den Grünen. „Umso wichtiger ist die strenge Einhaltung von offenen Vergabeverfahren und Wettbewerbsverfahren.“
Der Fall des Marine-Lasers von Rheinmetall sorgt daher für Misstrauen. 390 Millionen Euro für drei Demonstratoren sind viel Geld. Schaut man sich die Branche an, stellt man fest, dass andere Unternehmen offenbar leistungsfähigere Geräte längst entwickelt haben – Beispiel Electro Optic Systems (EOS). Das australische Unternehmen mit Tochterfirmen unter anderem in Deutschland baut seine Laser nach Informationen aus Verteidigungskreisen in Berlin mittlerweile in Schiffe europäischer Nato-Partner ein.
Dem Vernehmen nach ist die Kooperation so ausgestaltet, dass die Bundesrepublik nahtlos einsteigen könnte. Das EOS-Lasersystem ist mit hundert Kilowatt Leistung und einer Wirkreichweite von mehr als fünf Kilometern nicht nur leistungsfähiger. Angeblich ist EOS sogar bereit, die Leistung auf 120 Kilowatt – das Doppelte von Rheinmetall – zu steigern und die Geräte zum halben Preis der Deutschen anzubieten.
Zweifel am Beschaffungsprozess
Parlamentarier, die sich nicht zitieren lassen wollen, können die sachlichen Gründe für das Vorgehen auf der deutschen Beschaffungsseite nicht nachvollziehen: In Fällen wie diesen seien laut Beschaffungsprozessen eigentlich verfügbare Systeme zu wählen und nicht die langwierige und kostspielige Neuentwicklung. Zumindest hätte man das Entwicklungsprojekt ausschreiben müssen.
Weder beim Verteidigungsministerium noch beim Bundesamt für Ausrüstung ist allerdings etwas über den Vorgang zu erfahren: „Für ein für die Marine vorgesehenes Laserwaffensystem läuft derzeit ein Vergabeverfahren“, teilte das Amt auf Anfrage schriftlich mit. „Daher können momentan keine näheren Informationen zu den von Ihnen gestellten Fragen gegeben werden.“ Bei Rheinmetall selbst heißt es dazu: „Nach Rücksprache mit dem zuständigen Fachbereich müssen wir Sie allerdings bitten, Ihre Anfrage an den öffentlichen Auftraggeber zu adressieren.“
Eines ist allerdings auch klar: Seit in den USA Präsident Donald Trump den Verbündeten vor Augen führt, dass er ihre militärische Schwäche auch auszunutzen gedenkt, versuchen die Europäer, ihre Abhängigkeit vom unberechenbaren großen Freund zu reduzieren. „Bei modernster Hightech wie Lasern will jedes Land das Intellectual Property (IP) im eigenen Land haben, um im Kriegsfall nicht auf das Wohlwollen ausländischer Regierungen angewiesen zu sein“, sagt ein Beobachter.
Die Australier von EOS haben daher nach Information aus Berlin ihre geistigen Schutzrechte auch nach Deutschland gebracht. Gebaut werden sollen die Laser hier. Damit wäre es ein deutsches Produkt, unabhängig von den Exportvorgaben anderer Staaten. Anders als bei den 35 Kampfflugzeugen vom Typ F35A, die die vorherige Bundesregierung in den USA bestellte, wären die Deutschen in diesem Fall nicht von den Amerikanern abhängig – auch wenn sie nicht bei Rheinmetall bestellen.
Seit Monaten beklagen Politiker und die neuen Konkurrenten eingesessener deutscher Rüstungskonzerne die hiesigen Vergabeverfahren. Von großer Nähe ist die Rede, von manchmal nicht nachvollziehbaren Auftragsvergaben und Entscheidungen. Aus Sorge vor einem Angriff Russlands auf Nato-Staaten soll schneller eingekauft werden als früher. Nicht immer, so heißt es in der Branche, komme dabei der Beste zum Zuge. Grünen-Haushälter Schäfer sagt: „Wettbewerb, auch in der Rüstungsbranche, hilft, niedrigere Preise zu erzielen.“
Für die deutschen Rüstungskonzerne sind das nach Jahrzehnten der Enthaltsamkeit ohnehin gute Zeiten. Der Aktienkurs von Rheinmetall stieg seit Kriegsausbruch in der Ukraine nahezu um den Faktor 20. „Bei Rheinmetall werden wir in einigen Bereichen die Kapazitäten nicht nur verdoppeln, sondern verzehnfachen“, sagte Papperger kürzlich. Andere, so scheint es, wollen nun von diesem Geld auch ihren Anteil abbekommen.
Jan Dams ist Chefreporter bei WELT AM SONNTAG.
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