Israels Armee hat ihre Offensive gestartet, um die Stadt Gaza zu erobern. Doch es gibt viel Kritik an dem Vorhaben – auch in der militärischen Führung. Das sind die Argumente.

Der Generalstabschef der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte IDF, Eyal Zamir, ist nicht zu beneiden. Der ranghöchste Soldat des Landes hat von der Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu einen Auftrag erhalten, den er kritisch sieht – oder schlimmer: für einen Fehler hält. Die IDF soll Gaza City, die letzte verbliebene Bastion der Hamas im Gazastreifen, komplett erobern. Das Ziel: die Terrororganisation endgültig eliminieren und die verbliebenen Geiseln befreien.

Das Problem: Die politische und die militärische Führung des Landes haben unterschiedliche Auffassungen darüber, wie die Ziele zu erreichen sind. Und ob sie überhaupt zu erreichen sind. In Sitzungen des Sicherheitskabinetts und des Geheimdienstausschusses der Knesset kritisierte Zamir die politische Führung zuletzt scharf. Er forderte einen Geisel-Deal mit der Hamas statt einer Invasion Gaza Citys. Zamir wirft der Regierung vor, keinen Plan für die Zeit nach dem Krieg zu haben und sieht weitere Risiken. Der Generalleutnant wird in seiner Kritik von vielen Führungsoffizieren, ehemaligen Generälen und Geheimdienstlern unterstützt.

Die militärischen wie die politischen Risiken, die die IDF und Israel mit der Gaza-Offensive eingehen, sind vielfältig – das steht auf dem Spiel. 

Es droht eine noch stärkere außenpolitische Isolation

Militärs wie Kritiker werfen Netanjahu und seiner Regierung vor, bewusst eine zunehmende internationale Isolation des Landes in Kauf zu nehmen und allein auf die militärische Karte zu setzen. "Gaza brennt", twitterte Verteidigungsminister Israel Katz nach Beginn der Bodenoffensive auf X. Netanjahu sprach jüngst davon, dass Israel wie "Athen und Sparta" sein müsse. Er meinte damit: Israel wird unabhängig von internationaler Kritik unbeirrt den Krieg fortsetzen, bis die Ziele erreicht sind. Selbst Sanktionsdrohungen aus Europa oder Warnungen arabischer Staaten bringen Netanjahus Regierung nicht zum Umdenken.

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Zudem spielt das Leid der palästinensischen Bevölkerung in Gaza in den Erwägungen keine Rolle. Eine Million Menschen sollen sich zuletzt in Gaza City aufgehalten haben. Sie wurden aufgefordert, sich in Sicherheitszonen im Süden zu flüchten. Hunderttausende (IDF: 350.000) sollen dem Aufruf bislang gefolgt sein. Bislang starben in dem Krieg nach Hamas-Angaben fast 65.000 Palästinenser. Die Menschen leben unter elenden Bedingungen, leiden unter Mangelernährung und fehlender medizinischer Versorgung. Die Vorwürfe gegen Israel sind deswegen weltweit massiv, ganz unabhängig davon, welche Verantwortung die Hamas trägt.

Die internationale Isolation Israels spielt für Netanjahu keine Rolle, weil die USA fest an seiner Seite stehen. Solange das der Fall ist, wird sich daran nichts ändern.

Das Leben der verbliebenen Geiseln steht auf dem Spiel

Besonders das Schicksal der noch etwa 20 lebenden Geiseln bereitet Zamir und den Kritikern der Bodenoffensive Sorgen. Der Generalstabschef hat mehrmals deutlich gemacht, dass er einen weiteren Deal für notwendig hält, um sie freizubekommen. Eine Militäroffensive beinhalte zu hohe Risiken. Der Armeechef soll beklagt haben, dass kaum Geheimdienstinformationen zu den Aufenthaltsorten vorlägen. Das befürchtete Horrorszenario: Die Hamas benutzt die Geiseln als sichtbare Schutzschilde oder exekutiert sie unter den Augen der Öffentlichkeit, um Druck auf die israelische Regierung auszulösen.

Es drohen hohe Verluste unter IDF-Soldaten in Gaza

Für die Offensive setzt die IDF aktuell zwei Divisionen ein, also mindestens 20.000 Soldaten. In den kommenden Tagen soll eine dritte dazukommen. Nach Schätzungen der Armee sollen sich 2000 bis 3000 Hamas-Kämpfer in Gaza-Stadt aufhalten, die militärische Infrastruktur in Form von Tunneln besteht noch. Zur Vorbereitung der Bodenoffensive zerstörte die Luftwaffe systematisch Hochhäuser, die als Scharfschützennester und zur Überwachung dienen könnten, Panzerabwehrraketenstellungen und Überwachungskameras. Sprengfallen, die viele israelische Soldaten das Leben kosteten, werden permanent beseitigt.

Mit Würde hat dieser Zustand nichts mehr zu tun

Selbst wenn der Krieg morgen zu Ende wäre: Die Mehrheit der knapp 2,1 Millionen Palästinenser hat kein Zuhause mehr. Ein Blick von der israelischen Seite der Grenze offenbart das Ausmaß der Verwüstung. Mindestens 70 Prozent der Gebäude sind nach jüngsten Erhebungen der Hebrew University in Jerusalem zerstört und unbewohnbar, etwa 88 Prozent des Küstenstreifens nach Angaben des UN-Nothilfebüros OCHA mittlerweile unter Kontrolle des israelischen Militärs (IDF). Die Bevölkerung sei auf zwölf Prozent des Gazastreifens zusammengepfercht. Seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 starben in Gaza 60.000 Menschen © REUTERS
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Wenn israelische Bodentruppen und Panzer in Gaza City vorrücken, gilt "Sicherheit vor Geschwindigkeit", um das Risiko für die eigenen Soldaten möglichst gering zu halten. Sie treffen auf Hamas-Milizionäre, die im Häuserkampf trainiert sind. Deshalb ist in den nächsten Wochen mit einer höheren Opferzahl unter IDF-Soldaten zu rechnen. 904 Gefallene meldete die Armee bis zum 9. September 2025 insgesamt, davon kamen 329 am 7. Oktober 2023 ums Leben, als die Hamas nach Israel eindrang. Höhere Opferzahlen und erschöpfte Soldaten können schnell zu Problemen innerhalb der Truppe führen. Gleiches gilt für die israelische Öffentlichkeit. Der Widerstand im Land gegen Netanjahu und seine rechts-nationale Regierung könnte größer werden. 

Gefahr eines dauerhaften Krieges

Der größte Kritikpunkt von Generalstabschef Zamir an der erneuten Offensive ist die Frage: Was kommt danach? Netanjahu bleibt in diesem Punkt – bewusst? – schwammig. Die IDF möchte eine längere Militärverwaltung in Gaza verhindern. Sie verschlingt personelle wie finanzielle Ressourcen und ist hochriskant. Nicht umsonst zog sich Israel 2005 aus Gaza zurück. Eine Lehre von damals: Militärisch ist der Gazastreifen für die erfahrene IDF niemals vollkommen beherrschbar. Die Kritiker werfen Netanjahu ein unkalkulierbares Risiko vor. Noch schlimmer: Viele befürchten eine Art dauerhaften Krieg, der am Ende Israels Sicherheit eher schadet, als nutzt.

Antisemitismus wird weltweit noch größer

Schon jetzt wächst weltweit der Antisemitismus und er könnte durch die Bodenoffensive noch verstärkt werden. Judenfeindliche Straftaten nehmen nicht nur in Deutschland rasant zu. Jüdische Künstler werden boykottiert und Sportveranstaltungen wie das Radrennen Vuelta, das drittgrößte der Welt, werden durch Demonstranten gestört, weil ein israelisches Team mitfährt.

Quellen: DPA, "Taz", "Times of Israel", "Haaretz", "Jüdische Allgemeine", "Statista", "BBC News", "Guardian"

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