Als Kritiker des linken Antisemitismus fühlt man sich manchmal wie in einer politischen Zeitschleife.

Es war im Mai 2010, als in Istanbul ein Schiffskonvoi in Richtung Gaza ablegte, um die israelische Seeblockade zu durchbrechen. Angeblich humanitäre Hilfe, tatsächlich ein Auftritt der türkischen Organisation IHH – bestens mit Islamisten vernetzt, auch wenn die Gruppierung sich das Mäntelchen der Menschenfreunde umhängte. Mit an Bord: Drei Politiker der Linkspartei. Allen voran die Bundestagsabgeordnete Inge Höger, damals eine der lautesten Stimmen im Chor des linken Antizionismus.

Als die israelische Armee die „Mavi Marmara“ stürmte, ging es blutig zu. Aktivisten mit Messern und Eisenstangen, von Soldaten getötete Passagiere, weltweite Schlagzeilen. Höger erklärte später, sie habe davon nichts mitbekommen – sie sei schließlich auf dem „Frauendeck“ gewesen. Die selbst ernannte Feministin im Geschlechterabteil, von Islamisten getrennt. Manchmal ist Ideologie eben stärker als das eigene Label.

Ein Jahr später stand Höger wieder auf der Bühne, diesmal bei einer Palästina-Konferenz in Wuppertal. Um den Hals: ein Schal, auf dem die Landkarte des Nahen Ostens ohne Israel prangte. Ihre Begründung: Das Kleidungsstück sei allen Gästen umgelegt worden, und sie hätte es „als unhöflich empfunden“ abzulehnen. Höflichkeit als Begründung für das Ausradieren Israels? Darauf muss man erst mal kommen.

15 Jahre später stolpert man wieder über die gleichen Schlagworte, die gleichen Fahnen, die gleichen Allianzen. Wieder ein Schiff von Linken und Islamisten gegen die Gaza-Blockade, wieder die große Show der Palästina-Solidarität. Nur die Bundestagsabgeordneten fehlten. Dafür war bei einem darauffolgenden Vorfall mit einem Palästina-Schal diesmal keine Hinterbänklerin die Protagonistin, sondern gleich die Bundesvorsitzende, Ines Schwerdtner.

Wieder war auf dem Schal eine Landkarte des Nahen Ostens abgebildet. Israelische Städte waren mit arabischen Namen versehen. Als hätte es den jüdischen Staat nie gegeben. Nach meiner Nachfrage behauptete Schwerdtner, der Schal sei ihr in einer „lebhaften Situation“ geschenkt worden. Sie habe ihn abgelegt, als sie das Motiv erkannt habe.

Unter israelsolidarischen Linke-Mitgliedern, mit denen ich gesprochen habe, hält man dies für eine Schutzbehauptung. Aber selbst dann, wenn man zu Schwerdtners Gunsten annimmt, dass es stimmt: Warum schaut eine Parteivorsitzende nicht zweimal hin, bevor sie für ein Instagram-Video posiert?

Vor allem in einer Umgebung, in der Leila Khaled gefeiert wird – eine Terroristin der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), die zwei Flugzeuge entführte. Schwerdtner trat auf dem Podium und in dem Video zudem mit den Israel-Hassern Jeremy Corbyn und Peter Mertens auf, die vielfach mit einer Verharmlosung des antisemitischen Terrors aufgefallen sind. Von einem solchen Schal sollte man da nicht überrascht sein.

Und doch gibt es einen Unterschied zu 2010: Damals hagelte es Kritik aus der eigenen Partei. Heute? Weitestgehend Schweigen. Viele Stimmen, die die Solidarität mit Israel und die Kritik des Antisemitismus als zentrales Selbstverständnis begreifen, sind verstummt – oder gegangen. Klaus Lederer aus Berlin hat das Weite gesucht, Henriette Quade aus Sachsen-Anhalt auch. Petra Pau und Martina Renner gehören der neuen Bundestagsfraktion nicht mehr an. Der Berliner Landesverband, früher lange an der Seite des Staats der Holocaust-Überlebenden und ihrer Nachkommen, ist heute fest im Griff der Palästina-Fraktion.

Scham wegen Ramelow – nicht wegen Terrorverharmlosern

In Sachsen, Thüringen oder Bremen sieht das anders aus. Dort beschließt man immerhin noch, nicht mit Gruppen zu kooperieren, die Hamas und Co. feiern, die den 7. Oktober 2023 verharmlosen. Diese Fraktion, die nicht bereit ist, Antisemitismus unter dem Deckmantel des Antizionismus zu schlucken, schließt sich aktuell in mehreren Landesverbänden und auf Bundesebene zu Arbeitskreisen namens „Shalom“ zusammen. Sie wollen es nicht akzeptieren, dass die zahlreichen Neumitglieder und Aktivisten innerhalb der Linksjugend mehrheitlich im antiimperialistischen und antizionistischen Spektrum der Linken sozialisiert werden. Und stoßen damit auf Widerstand, gelten teilweise als Störenfriede.

Wer sich traut, Klartext zu reden, wie kürzlich Bodo Ramelow, bekommt gleich Parteischelte. „Hamas-Scheiß“ nannte er die einseitigen Schuldzuweisungen an Israel, wenn es um getötete palästinensische Kinder geht. Klare Worte. Doch was folgte?

„Ramelow ist nicht links und kein Genosse!“, verkündete die Berliner Linksjugend. „So jemanden können wir nicht in der Partei dulden.“ Ausgerechnet Ramelow, linkes Inventar, einziger Ex-Ministerpräsident seiner Partei und inzwischen Bundestagsvizepräsident – auf einmal rausgeschmissen aus der eigenen Familie. Selbst die Bundestags-Vizefraktionschefin Nicole Gohlke schämte sich öffentlich. Nicht etwa für Terrorverharmloser in den eigenen Reihen, sondern für Ramelow.

In Bayern treiben es manche noch bunter. Dort werden Anträge vorbereitet, die Zionismus als „antisemitisch“ und Israel als „Apartheidstaat“ verleumden. Und als sich kürzlich im Landtag ein Freundeskreis für Israel gründete, erklärte die Linkspartei Bayern, dies sei „Wahnsinn“.

Und jetzt also der 27. September: Die Linkspartei ruft zu einer Großdemonstration für Gaza in Berlin auf. Im Aufruf kein Wort zum 7. Oktober, mit dem der aktuelle Gaza-Krieg begann. Die Geiseln werden in einem Nebensatz erwähnt – gleichgestellt mit angeblich „tausenden illegal Inhaftierten“ in Israel.

Eine wichtige Erkenntnis wird die Demo immerhin bringen. In Berlin wird sich zeigen, ob der Spitze der Linkspartei noch eine Abgrenzung zum radikalisierten Teil der Palästina-Solidaritätsbewegung gelingt. Oder ob man sich vollständig mit denjenigen gemein macht, die einen Kein-Israel-Schal stolz und ohne Distanzierung tragen.

Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“. Im September erschien im Herder-Verlag sein Buch über den AfD-Politiker Björn Höcke. Einen Auszug können Sie hier lesen, das Vorwort von Robin Alexander hier.

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