Linke-Chefin Schwerdtner tritt mit Palästina-Schal auf – Israel fehlt darauf
Im Mai dieses Jahres fasste der Bundesvorstand der Linkspartei einen eindeutigen Beschluss. „Der Parteivorstand distanziert sich von jedem Aufruf, jedem Statement und jedweder bildlichen Darstellung, die unter dem Deckmantel der Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung die Existenz Israels negiert oder die Auslöschung Israels propagiert“, heißt es darin. „Wir fordern die Mitglieder unserer Partei auf, derartige Darstellungen nicht zu veröffentlichen. Das Existenzrecht des Staates Israel ist für uns nicht verhandelbar.“
Nun ist es ausgerechnet die Bundesvorsitzende Ines Schwerdtner, die ein entsprechendes Symbol getragen hat. Am Sonntag zeigte sich Schwerdtner mit einem Schal, auf dem die Landkarte Israels und der palästinensischen Gebiete abgebildet ist – allerdings sämtliche Städtenamen auf Arabisch bezeichnet sind. Darunter sind etwa die Namen al-Quds (Jerusalem), an-Nāṣira (Nazareth) Biʾr as-Sabʿ (Beʾer Scheva) und Ṭabariyya.
Zu sehen war der Schal auf einem Instagram-Video des belgischen Politfestivals Manifiesta. Nach einer WELT-Anfrage an Schwerdtner wurde das Video gelöscht. WELT hatte es zuvor gesichert. Die Linke-Bundesvorsitzende distanziert sich nun vom Tragen des Schals. „Auf einem Volksfest in Belgien wurde mir in einer lebhaften Situation der Schal geschenkt“, sagt sie WELT. „Als ich das Motiv erkannte, habe ich ihn abgelegt. Meine Positionen und die Positionen der Linken sind allseits bekannt: Wir stellen uns gegen Antisemitismus und stehen für das Existenzrecht Israels ein, genauso wie wir für eine Zwei-Staaten-Lösung und einen Frieden in Gaza einstehen.“
Der Fall erinnert an die damaligen Linke-Bundestagsabgeordneten Annette Groth und Inge Höger, die in den Jahren 2010 und 2011 auf Palästina-Konferenzen einen Schal mit einer Nahost-Landkarte getragen hatten, auf der die Grenzen Israels fehlten. Höger erklärte, auf der Bühne sei der Schal allen Gästen umgelegt worden. Sie hätte es „als unhöflich empfunden, in dieser Situation das Tragen dieses Schals abzulehnen“. Der damalige Bundestags-Fraktionschef Gregor Gysi sagte der „taz“: „Sie hat nicht genau hingeschaut und mir später gesagt, es tue ihr leid. Damit ist die Sache geklärt.“ Auf die Frage, ob es antisemitisch wäre, wenn Höger den Schal bewusst getragen hätte, sagte Gysi damals: „Das ginge jedenfalls nicht. Das würde den Wunsch ausdrücken, dass Israel nicht mehr existiert, also dass Israel und Palästina ein Staat sind. Das dürfen Deutsche nicht fordern.“
Schwerdtner war auf der Konferenz in Belgien gemeinsam mit dem britischen Politiker und ehemaligen Labour-Chef Jeremy Corbyn und Peter Mertens, Generalsekretär der Partei der Arbeit Belgiens, aufgetreten. Der Politikwissenschaftler Stephan Grigat übt an dem Auftritt scharfe Kritik. „Ines Schwerdtners Palästinenser-Schal ist durch die Illustrationen gar nicht anders zu verstehen denn als Aufforderung zur Abschaffung Israels“, sagte Grigat WELT. „Das ist für sich schon skandalös, aber es ist auch ein eindeutiger Verstoß gegen den Beschluss des eigenen Parteivorstandes vom Mai dieses Jahres.“ Grigat ist Professor für Theorien und Kritik des Antisemitismus und leitet das Centrum für Antisemitismus- und Rassismusstudien (CARS) an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen.
„Entweder hat dieser Auftritt von Frau Schwerdtner Konsequenzen für sie, oder dieser Beschluss entpuppt sich als dünne Tünche, die man über die eigene Kollaboration mit dem antiisraelischen Mob auf Europas Straßen streicht“, sagte er weiter. „Die wenigen in der Partei verbliebenen antisemitismuskritischen Kräfte sollten diesen Auftritt zum Anlass nehmen, sich deutlich zu Wort zu melden. Und sie müssten dabei auch die Kooperation mit Jeremy Corbyn skandalisieren, der nicht nur ein fanatischer Israelhasser ist, sondern wenig überraschend auch ein Unterstützer des iranischen Holocaustleugner-Regimes.“
Corbyn fiel mit einer Verharmlosung der Hamas sowie vielfach mit Toleranz für Israel-bezogenen Antisemitismus auf. Mertens solidarisierte sich etwa mit dem Netzwerk Samidoun, das der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) nahesteht.
Innerhalb der Linkspartei befindet sich derzeit die Bundesarbeitsgemeinschaft Shalom in Gründung. Deren Mitglieder wollen sich für die Bekämpfung von Antisemitismus und Antizionismus sowie für Solidarität mit Israel als Schutzraum jüdischen Lebens einsetzen. „Die auf dem Schal abgebildete Karte eines Palästinas ohne Israel steht eklatant dem Parteiprogramm und dem darauf aufsetzenden Vorstandsbeschluss von Mai 2025 entgegen“, teilte der Gründungskreis der BAG auf WELT-Anfrage mit. „Das abgebildete Motiv ist klar antisemitisch.“ Schwerdtner verfestige damit „den Eindruck, dass Die Linke nicht nur blind gegenüber israelbezogenem Antisemitismus ist, sondern er von oberster Stelle in der Partei auch noch gefördert wird“, heißt es in dem Statement weiter.
Die Arbeitsgemeinschaft übt auch Kritik an Schwerdtners Gesprächspartnern. „Wer Antisemitismus relativiert und sich mit dem iranischen Terrorregime verbrüdert, trägt nicht zur Lösung bei, sondern ist Teil des Problems und fördert den weltweit grassierenden Antisemitismus“, teilte der Gründungskreis mit.
Schwerdtner war im vergangenen Jahr mehrfach mit Peter Mertens aufgetreten. Kurz nach ihrer Wahl zur Parteichefin stellte sie im Oktober 2024 Mertens Buch „Meuterei“ in Berlin vor. Im Vorwort heißt es: „Heute protestieren Studierende auf der ganzen Welt gegen den Völkermord, den Israel begeht.“
Nachdem Corbyn im November 2023 von einer Veranstaltung in der Berliner Volksbühne ausgeladen worden war, hatte Schwerdtner dies kritisiert. Es sei klar, dass die Hamas „kein positiver Bezugspunkt für eine internationalistische Linke“ sein könne und für das „Gegenteil einer befreiten Gesellschaft“ stehe. Es brauche dennoch „gleichzeitig auch eine Debatte über die vom israelischen Staat begangenen Kriegsverbrechen“. Corbyns Standpunkte bewegten sich „innerhalb des Spektrums eines pluralistischen linken Diskurses“.
Der Streit über die Positionierung zu Israel hält damit innerhalb der Linkspartei weiter an. Am vergangenen Wochenende hat die Linksjugend Niedersachsen nach WELT-Informationen beschlossen, dass die Mitgliedschaft innerhalb des Jugendverbands „unvereinbar mit einer Mitgliedschaft in zionistischen Organisationen“ sei. Dies zielt auch auf die BAG Shalom sowie die Deutsch-Israelische Gesellschaft, in der sich auch Linke-Mitglieder engagieren.
Die gleichzeitig stattfindende Landesmitgliederversammlung der Linksjugend Sachsen verurteilte den Beschluss. In einer WELT vorliegenden Stellungnahme heißt es: „Es ist ein aggressiver Akt der Einschüchterung, welchen wir aufs Schärfste verurteilen und niemals als Praxis in diesem Verband akzeptieren oder tolerieren werden.“ Der Versuch, die „Mitgliedsrechte antisemitismuskritischer Genoss:innen zu beschränken“ sei ein „verheerender Skandal“.
Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“. Im September erschien im Herder-Verlag sein Buch über den AfD-Politiker Björn Höcke.
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