Der renommierte US-Verfassungsrechtler Laurence Tribe sieht die Demokratie in den USA in großer Gefahr und warnt vor einer autoritären Zukunft. „Ich denke, wir haben den Kipppunkt überschritten“, sagte Tribe im Interview mit dem ZDF. „Es gibt keine wirksamen Kontrollmechanismen gegenüber der Exekutive mehr. Die Leitplanken halten nicht. Wir haben es mit einem Präsidenten zu tun, der vom Kongress völlig ungebremst ist.“

Zwar hätten Gerichte der Regierung von US-Präsident Donald Trump wiederholt untersagt, „sich autokratisch zu verhalten“. Doch der Supreme Court setze immer häufiger die Entscheidungen unterer Instanzen aus. Die unteren Bundesgerichte hätten zwar in 97 Prozent der Verfahren gegen Trump entschieden, seien am Ende aber der „Willkür des Supreme Court“ ausgeliefert, so Tribe.

„Zu sagen, die Gerichte hätten uns im Ganzen im Stich gelassen, wäre falsch. Aber zu sagen, die Gerichte könnten uns retten, wäre ebenso falsch“, schlussfolgerte der Rechtswissenschaftler. „Dennoch helfen all seine Niederlagen vor Gericht, zumindest in der Öffentlichkeit das Bewusstsein zu schärfen, wie autokratisch und gesetzlos der Präsident geworden ist.“

Auch Medien und gesellschaftliche Institutionen hätten Trump nachgegeben. Zeitungen wie die „Washington Post“ und die „Los Angeles Times“ gehörten Unternehmen, die sich aus wirtschaftlichem Interesse die Gunst Trumps sichern wollten. Die meisten Universitäten, denen er gedroht habe, seien eingeknickt. „Die gesamte Zivilgesellschaft gerät allmählich unter seine Kontrolle“, sagte Tribe.

Demokratie sterbe nicht in einem einzigen Moment. Es gebe weniger einen roten Punkt, der überschritten werde, sondern vielmehr eine „rote Zone“ – und die USA befänden sich „bereits tief in dieser Zone“. Um einen rigorosen Umbau des Landes zu stoppen, sei ein umfassender Einsatz der Bevölkerung nötig, so Tribe, der emeritierter Professor an der Harvard University ist.

„Alle, die eine Ahnung davon haben, was es bedeutet, unter einer autoritären, despotischen Diktatur zu leben, müssen sich zusammentun und massiv aufstehen – mit Boykotten, friedlichen Märschen, mit organisierten Bürgergruppen.“ Ob ein Regierungsende von Trump „plötzlich die Rückkehr“ zur Normalität ermöglichen werde, sei schwer zu sagen. Tribe verwies darauf, dass zahlreiche Mitarbeiter der Regierung und von Behörden entlassen wurden.

„Diese Institutionen müssen neu aufgebaut werden. Sie wachsen nicht wie von Zauberhand von selbst zurück. Es ist, als hätte das Feuer in Notre Dame die Kathedrale wirklich bis auf den Grund zerstört.“ Ähnlich wie Europa nach dem Zweiten Weltkrieg den Marshallplan brauchte, werde Amerika nach Trumps „perverser Regierung“ einen massiven Wiederaufbau leisten müssen.

Laurence Tribe ist einer der profiliertesten Verfassungsrechtler der USA. An der Harvard University unterrichtete er unter anderem den späteren Präsidenten Barack Obama, den er auch im Wahlkampf unterstützte und für dessen Regierung er als Berater tätig war. Zuvor vertrat er den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Al Gore in einem Verfahren vor dem Supreme Court.

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