Eine Säule der deutschen Wirtschaft bröckelt immer weiter: die Autoindustrie. Nach einer Ende August veröffentlichten Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY sind binnen eines Jahres etwa 51.000 Arbeitsplätze – sieben Prozent der Stellen – abgebaut worden. Die Umstellung von Verbrenner-Autos auf E-Fahrzeuge holpert etwa aufgrund immenser Energiekosten sowie mangelnder Ladeinfrastruktur – und wird durch Konkurrenz aus China verschärft. Zugleich naht das Verbrenner-Aus: Ab 2035 dürfen EU-weit keine Neuwagen mit Benzin- oder Diesel-Antrieb zugelassen werden. Hersteller wie BMW, Mercedes-Benz, Volkswagen und Porsche verzeichnen deutliche Gewinneinbrüche; die Krise hat auch viele Zulieferer erfasst.

Die schwarz-rote Bundesregierung scheint den Ernst der Lage erkannt zu haben. Kanzler Friedrich Merz (CDU) kündigte am Mittwoch nach dem Treffen des Koalitionsausschusses einen Autogipfel in seinem Amtssitz an. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) äußerte zudem seine Hoffnung, die an diesem Dienstag startende Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) Mobility in München werde eine „wichtige emotionale und inhaltliche Weichenstellung“ sein – und warnte mit Blick auf Merz‘ Gipfel sogleich vor einem „Auto-Kaffeeklatsch“.

In einem Zehn-Punkte-Plan, über den „Bild am Sonntag“ berichtete, konkretisierte Söder, wie die Politik die Autoindustrie unterstützen solle. Dabei zentral: das Kippen des Verbrenner-Verbots. „Der Verbrenner hat mit E-Fuels und neuen Technologien Zukunft. Das EU-Verbrennerverbot 2035 gefährdet Hunderttausende Arbeitsplätze“, sagte Söder der Zeitung.

Die damalige Ampel-Regierung hatte 2023 als Ausnahme durchgesetzt, dass Verbrenner-Autos, die mit E-Fuels – klimafreundlichen synthetischen Kraftstoffen – betankt werden, auch künftig zugelassen werden. Der CSU-Chef sprach von einer „Schicksalsfrage“, denn die Autoindustrie sei „das Herz unserer Volkswirtschaft – ohne Auto droht ein Kollaps“. Er fordert unter anderem eine Reduzierung der CO-Einsparziele, einen Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos, eine Stärkung der Zuliefer-Industrie, die Entwicklung des autonomen Fahrens sowie eine Reduzierung der Führerschein-Kosten. Deutschland erlebe eine gefährliche Mischung aus Folgen von US-Zöllen, EU-Bürokratie, Überregulierung und technologischer Einseitigkeit. Deshalb brauche es eine Strategie „ohne Ideologie, sondern mit Vernunft, Zukunftsorientierung und technischem Realismus“.

Wie kommen Söders Forderungen im Bundestag an – und welche eigenen Pläne verfolgen die Fraktionen?

AfD wettert gegen „Geschwindigkeitsgepiepe“

Die Union schlägt in dieselbe Kerbe wie der Ministerpräsident: „Die Automobil- und Zulieferindustrie ist die Lebensader der deutschen Wirtschaft. Mit 770.000 direkt Beschäftigten sichert sie Wohlstand und steht für Innovation“, sagt Unions-Vizefraktionschef Sepp Müller (CDU) WELT. „Damit Deutschland Automobilstandort bleibt, setzen wir auf wettbewerbsfähige Energiepreise, Bürokratieabbau und steuerliche Anreize. Darüber hinaus braucht es einen technologieoffenen Wandel statt Verbote wie dem Verbrenner-Aus.“

Dass der Koalitionspartner SPD in letzterem Punkt mitziehen würde, ist zweifelhaft – die Union hatte diesen im Koalitionsvertrag nicht durchgesetzt. Auf eine aktuelle Anfrage schickte die SPD-Fraktion keine Antwort. SPD-Co-Chef und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil sprach sich am Sonntag vor einer Klausur seiner Partei für eine Prüfung weiterer staatlicher Förderungen für Elektroautos aus. „Klar ist, die Zukunft der Automobilbranche ist elektrisch.“ Es gehe darum, zu definieren, was für einen schnelleren Ausbau der Ladeinfrastruktur getan werden kann. Im Koalitionsvertrag seien bereits finanzielle Kaufanreize beschlossen worden. „Da werden wir jetzt genau prüfen, bis zum Gipfel, was wir noch weiter tun können, um die Automobilbranche zu stärken und damit auch die Beschäftigung zu sichern.“

Ähnlich äußert sich Andreas Audretsch, Fraktionsvize der Grünen: „Die Zukunft liegt in der Elektromobilität. Unsere Unternehmen können das, darauf muss der Fokus liegen“, sagt Audretsch WELT. „Die Bundesregierung sollte das Hochlaufen der Elektromobilität zur Priorität machen. Mit einem Social-Leasing-Programm für E-Autos, mehr Investitionen in die Ladeinfrastruktur, günstigem Strom für alle und dem Schutz der Autobauer vor Dumping aus China.“ Das Konzept Social Leasing meint ein staatlich gefördertes Leasing, das für Bürger mit geringem oder mittlerem Einkommen intendiert ist.

Söder und die Union machten „mal wieder Kampagne gegen fortschrittliche Technologien und Innovationen“, kritisiert Audretsch. „Der Rückwärtsgang von CDU und CSU gefährdet Hunderttausende Jobs in Deutschland.“ Die Union arbeite sich an „Symptomen der Krise“ ab und ignoriere deren Ursachen.

Der wirtschaftspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Leif-Erik Holm, fordert: „Natürlich muss das Verbrenner-Verbot fallen, die dramatischen CO-Strafzahlungen müssen verhindert werden. Autofahrer und Hersteller sollen selbst entscheiden können, mit welchen Antrieben sie fahren beziehungsweise Geld verdienen wollen.“ Deshalb seien „Stromer-Subventionen“ der falsche Weg: „Sie führen allein zu erheblichen Mitnahmeeffekten und kosten die Steuerzahler Milliarden, die wir nicht haben.“

Auch die Energiepolitik sei eine „völlig falsche“, so Holm: „Hier muss es eine schnelle Änderung geben. Weitere milliardenschwere Subventionen über einen Industrie-Strompreis bekämpfen nur die Symptome einer gescheiterten Energiewende.“ Eine „Renaissance der Kernkraft“ sei „unerlässlich, wie unsere Nachbarn längst erkannt haben. Dazu gehören auch neue Gaskraftwerke, die rentabel sind, weil sie nicht nur als Ersatzkraftwerke fungieren.“

Zudem müsse auch der „Regulierungsdschungel“ gelichtet werden: „Die Drangsalierung von Autofahrern und Herstellern mit verpflichtenden Assistenzsystemen wie zum Beispiel dem Geschwindigkeitsgepiepe muss enden. Aber auch das Lieferkettengesetz und viele Nachweispflichten gehören auf den Schrottplatz.“

Den CSU-Plan bezeichnet Holm als „Schaumschlägerei. Es handelt sich um einen typischen Söder. Er weiß ganz genau, dass er die Kernforderungen in dieser Koalition nicht wird umsetzen können.“ Die Probleme der Autoindustrie seien seit Jahren bekannt. „Man fragt sich schon, warum Herr Söder mit den Forderungen erst jetzt um die Ecke kommt. Er hätte sie zwingend in den Koalitionsvertrag hineinverhandeln müssen.“

Einen anderen Ansatz verfolgt die Linke-Fraktion, wie Agnes Conrad, Sprecherin für nachhaltige Automobilpolitik, erklärt: „Staatliche Milliardenhilfen dürfen nicht länger ohne Auflagen fließen. Jede Unterstützung für die Autoindustrie muss an Arbeitsplatz- und Standortgarantien gebunden sein. Wir wollen die großen Autokonzerne schrittweise in Gemeinwohl-orientierte Stiftungen überführen, damit sichere Jobs, Investitionen in klimaneutrale Produktion und regionale Wertschöpfung Vorrang vor Aktionärsprofiten haben.“

Söders „Festhalten am fossilen Verbrenner“ sei „ein Irrweg, der Hunderttausende Jobs gefährdet“, sagt Conrad. „Die Zukunft liegt nicht in E-Fuels für Luxuskarossen, sondern in einer sozial-ökologischen Transformation: mehr Busse, Bahnen, E-Lkws, eine Lade- und Recyclinginfrastruktur in öffentlicher Hand sowie ein starker Schutz der Zulieferbetriebe.“ Nur so bleibe die Autoindustrie zukunftsfähig – „und zwar im Interesse der Beschäftigten, nicht der Aktionäre“.

Johannes Wiedemann ist Leitender Redakteur Politik Deutschland.

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