„Auch denjenigen zuhören, die völlig frustriert von Demokratie und ihren Parteien sind“
Steffen Krach, 46, ist seit November 2021 Präsident der Region Hannover – eine Art Landrat für den Kreis und die Stadt Hannover. Im kommenden Jahr will der SPD-Politiker Regierender Bürgermeister von Berlin werden, bei der Abgeordnetenhauswahl tritt er als Spitzenkandidat an. In der Bundeshauptstadt war er von 2016 bis 2021 Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung in der Senatskanzlei.
WELT: Herr Krach, kürzlich haben Sie Ihre Mitarbeiter erstmals seit Ihrer Entscheidung, nach Berlin zu wechseln, zum „offenen Büro“ geladen. Wie war die Stimmung? Sind die Leute sauer, dass Sie gehen, oder freuen die sich eher über Ihren Abschied?
Steffen Krach: Nein, weder noch. Wir hatten sehr nette Gespräche, auch über ganz andere Themen, die für die Region wichtig sind. Das ist auch klar, ich habe hier noch eine Aufgabe, und diese nehme ich ernst. Aber ja, es gibt in meiner Partei in Hannover Menschen, die diesen jetzt angekündigten Wechsel ein Jahr vor der Kommunalwahl in Niedersachsen nicht gut finden und das deutlich sagen.
WELT: Seit wann wussten Sie, dass die Berliner SPD Sie zu ihrem Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhaus-Wahl im kommenden Jahr machen wollte?
Krach: Wir waren schon länger im Kontakt. Schon vor der Sommerpause gab es sehr ernsthafte Gespräche.
WELT: Was war Ihr erster Impuls?
Krach: Dass ich das machen möchte. Natürlich habe ich erst einmal mit meiner Frau und meiner Familie darüber gesprochen, die das ja mittragen müssen. Aber für mich war es eine Herzensentscheidung.
WELT: Fanden Sie es nicht auch etwas gruselig, ausgerechnet von der Berliner SPD angesprochen zu werden – also dem Landesverband, der in Ihrer Partei als besonders irre verrufen ist?
Krach: Nein. Ich kenne die Berliner SPD sehr gut – ich war fast 20 Jahre Mitglied. Die Gespräche, die wir geführt haben, waren von Beginn an sehr vertrauensvoll. Da ist nichts nach außen gedrungen, das hat mich beeindruckt und widerlegt den Ruf, den der Landesverband in der medialen Darstellung hat.
WELT: Was kann die Berliner SPD von den niedersächsischen Sozialdemokraten lernen?
Krach: Geschlossenheit. Unter Stephan Weil als Landesvorsitzendem hat die SPD Niedersachsen eine starke innere Solidarität entwickelt – das war die Basis für ihre Wahlerfolge. Ohne Geschlossenheit ist es nicht glaubwürdig, nach außen von Respekt und Solidarität zu sprechen.
WELT: Derzeit liegen die Berliner Sozialdemokraten in der jüngsten Umfrage auf Platz vier – hinter CDU, Linken, Grünen, knapp vor der AfD. Woher nehmen Sie die Chuzpe, angesichts dieser Ausgangslage als Bürgermeister-Kandidat anzutreten?
Krach: Als ich 2020 in Hannover für das Amt des Regionspräsidenten kandidiert habe, hieß es auch: aussichtslos. In den Umfragen lag die SPD bei 14 Prozent. Am Ende haben wir haushoch gewonnen. Das wird in Berlin vielleicht noch ein bisschen schwieriger, aber wir haben gute Chancen. Die positiven Rückmeldungen motivieren mich. WELT: Wie wollen Sie die Stimmung drehen?
Krach: Wir werden volle Pulle Wahlkampf machen. Wir werden überall in den Kiezen unterwegs sein und dabei sicher nicht behaupten, dass wir in den letzten Jahren alles richtig gemacht hätten als Berliner SPD. Wir werden zuhören, und zwar auch denjenigen, die gerade völlig frustriert von der Demokratie und ihren Parteien sind. Wir werden uns klar abgrenzen von den Rechtsextremen. Aber dabei sind wir offen für die Sorgen der Menschen, wir müssen dorthin, wo es hart für uns wird. Wir wollen gemeinsam nach Wegen suchen, die die Menschen wieder optimistischer in die Zukunft blicken lassen.
WELT: Haben Sie ein Vorbild unter den Berliner Bürgermeistern? Willy Brandt? Vielleicht auch Richard von Weizsäcker?
Krach: Wie so viele hatte ich früher das große Poster von Willy Brandt mit der Gitarre in meinem Zimmer hängen. Aber ich werde mich hier jetzt nicht hinstellen und sagen, Brandt wäre mein großes Vorbild. Es gab und gibt viele Sozialdemokraten in Berlin, die ich sehr schätze.
WELT: Also doch eher Klaus Wowereit?
Krach: Mit dem werde ich hoffentlich schon bald Wahlkampf machen. Darauf freue ich mich.
WELT: Ist Berlin eigentlich noch sexy? Oder nur noch arm?
Krach: International hat Berlin jedenfalls immer noch einen sehr guten Ruf. Bei vielen Menschen, die selbst in Berlin leben, überwiegen eher die Alltagssorgen. Letzteres würde ich gerne ändern. Derzeit wird Berlin unter Wert regiert, von einem Regierenden Bürgermeister (CDU-Politiker Kai Wegner, d. Red.), der von Termin zu Termin eilt und alles spannend findet. Wir müssen darüber sprechen, was möglich ist, und das auch umsetzen. Nicht alles geht von jetzt auf gleich, aber ich verspreche, dass ich von Tag eins alles dafür geben werde, damit das Leben in Berlin besser wird.
WELT: Dabei leistet sich Berlin auch ohne Sie schon Dinge, die andere Bundesländer auch gerne bieten würden, aber nicht können: kostenlose Kitas, kostenlose Hortplätze, freies Schulmittagessen, kostenlose Schülerbeförderung. Dabei wird das Geld auch immer knapper. Was werden Sie streichen?
Krach: Gebührenfreiheit in der Kita ist absolut sinnvoll. Wir wollen doch, dass möglichst viele Kinder in die Kitas gehen und, wenn nötig, Sprachförderung bekommen. Auch für die anderen Angebote für Kinder, Schülerinnen und Schüler gab und gibt es gute Gründe – jetzt muss man schauen, wie die solidarische Finanzierung gesichert wird und wie man das zur Verfügung stehende Geld am besten einsetzt.
WELT: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (SPD) hat gerade vorgeschlagen, den Ländern die Möglichkeit zu eröffnen, selbst über die Höhe der Erbschaftsteuer zu entscheiden. Wäre das eine Möglichkeit, zumindest auf der Einnahmeseite etwas zu verbessern?
Krach: Dass wir an das Thema Erbschaftsteuer ran müssen, da stimme ich zu. Söder möchte aber, dass jedes Bundesland selbst darüber entscheidet. Das wäre eine Aufkündigung der Solidarität der Bundesländer untereinander, und das halte ich für grundfalsch. Diese Solidarität hat viele Jahrzehnte unseren föderalen Staat geprägt und gestärkt. Söder stellt damit eine Grundfeste dieses Staates infrage. Und so etwas darf man gerade in der Situation, in der dieses Land sich befindet, nicht machen. Er schwächt damit unser demokratisches System. Aber Söder ist Söder und setzt morgen wahrscheinlich schon wieder die nächste Stammtisch-Idee auf die Tagesordnung.
WELT: Söder ärgert sich vor allem darüber, dass Bayern ständig in den Länderfinanzausgleich einzahlen muss und damit unter anderem Berlin alimentiert.
Krach: Ich kann verstehen, dass Markus Söder das nicht gut findet. Aber auch Bayern hat schon vom Länderfinanzausgleich profitiert. Das ist zugegebenermaßen schon einige Jahre her, aber Grundlage für die stabile Situation in Bayern heute. Berlin hat sich beim BIP (Bruttoinlandsprodukt, d. Red.) bundesweit auf Platz sechs vorgearbeitet, seit zwölf Jahren haben wir Wirtschaftswachstum über Bundesschnitt, zumeist unter SPD-Führung, wohlgemerkt.
Mein Ziel wird sein, diese Entwicklung weiter stärken, um wirtschaftlich und finanziell noch deutlich besser dastehen zu können. Davon profitiert dann auch wieder Bayern. Wir wollen Berlin zum attraktivsten Wirtschaftsstandort Deutschlands machen.
WELT: Wenn Sie Unternehmen nach Berlin locken wollen, sollten Sie besser nicht mit einem „Vergesellschaftungsrahmengesetz“ drohen, wie es die SPD dort gerade tut. So etwas klingt doch sehr nach Honeckers Rückkehr, nach Enteignung.
Krach: Kein Unternehmen muss Angst haben, enteignet zu werden. Das, was Union und SPD als Vergesellschaftungsrahmengesetz erarbeiten, ist Bestandteil des Koalitionsvertrags. Den hat auch der Regierende Bürgermeister Kai Wegner von der CDU unterschrieben, und es ist seine Aufgabe, eine Antwort darauf zu finden, wie man wieder zu bezahlbaren Mieten kommt. Aktuell hat die CDU das Thema gar nicht auf dem Schirm. Wir müssen den Wohnungsmarkt in Berlin besser regulieren und den Staat dazu in die Lage versetzen, seiner Verpflichtung zur öffentlichen Daseinsvorsorge nachzukommen. Gleichzeitig schaffen wir neuen und bezahlbaren Wohnraum.
WELT: Das heißt jetzt konkret?
Krach: Wer sich an die Grundpfeiler und Regeln der sozialen Marktwirtschaft hält, hat rein gar nichts zu befürchten. Wenn aber auf dem angespannten Berliner Wohnungsmarkt Wohnungen aus Spekulationsgründen jahrelang leer stehen oder Vermieter Häuser verrotten lassen und die Menschen aus ihren Wohnungen rausekeln, dann sage ich klar: Hier braucht die Gesellschaft eine Möglichkeit zum Einschreiten.
WELT: Angenommen, Sie ziehen nächstes Jahr tatsächlich ins Rote Rathaus ein – was wäre Ihre erste Amtshandlung?
Krach: Am liebsten würde ich 200 Bäume am zugepflasterten Gendarmenmarkt pflanzen. Aber das geht nicht an einem Tag. An meinem ersten Arbeitstag werde ich mich den Beschäftigten im Rathaus vorstellen, von Tür zu Tür gehen, „Guten Tag“ sagen, und dass wir jetzt richtig loslegen für unsere Stadt.
Ulrich Exner ist politischer WELT-Korrespondent und berichtet vor allem aus den norddeutschen Bundesländern.
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