Die missglückte Intervention von Außenminister Wadephul in Islamabad
Am Mittwoch vergangener Woche griff Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) zum Hörer. Anruf bei Ishaq Dar, seinem pakistanischen Amtskollegen. Man habe vereinbart, die bilateralen Beziehungen zu verbessern und über „regionale Themen“ gesprochen, teilte die Regierung in Islamabad im Anschluss mit. Es klang nach üblichem Tagesgeschäft, nichts Außergewöhnliches.
Dabei war das Gespräch – zumindest aus deutscher Sicht – hochbrisant. Das Ziel von Wadephul: die Pakistaner dazu zu bringen, die Abschiebungen von afghanischen Staatsbürgern aus den deutschen Bundesaufnahmeprogrammen zu stoppen. Die alte Bundesregierung hatte Tausende Afghanen nach Islamabad bringen lassen, mit dem Versprechen, sie von dort zügig nach Deutschland zu bringen.
Doch aus zügig wurden in vielen Fällen zwei Jahre, die Pakistan-Visa der Afghanen liefen ab, die Leute wurden zu Illegalen – und Islamabad verlor die Geduld. Hunderte Afghanen, die Berlin nach Islamabad gelockt hatte, wurden seit der Jahreswende von pakistanischen Sicherheitskräften außer Landes verbracht – eine Ohrfeige für die Bundesregierung auf der Bühne der Weltöffentlichkeit, beschämend nicht nur für die alte Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock, sondern auch für Nachfolger Wadephul und Innenminister Alexander Dobrindt (CSU), dessen Haus ebenfalls mit dem Aufnahmeprogramm befasst ist.
Als dann auch noch Gerichte in Berlin das Auswärtige Amt dazu verdonnerten, Afghanen unverzüglich ins Land zu lassen, rief Wadephul Dar also an – und am vergangenen Freitag wurden Erfolge verkündet. Keine Abschiebungen mehr bis Jahresende, und rund 200 der Abgeschobenen dürften sogar wieder zurück nach Pakistan. Das sei der Deal. Wadephul, der clevere Diplomat. Bloß: Die Erzählung scheint sich als falsch zu erweisen.
Nach Informationen von WELT stürmten pakistanische Beamte am frühen Mittwochmorgen erneut Gästehäuser, in denen Afghanen auf deutsche Kosten untergebracht sind, und nahmen sie mit. Zwecks Abschiebung. Weil sie ob des deutschen Zögerns kein Visum mehr haben, logischerweise. Das Versprechen, das Wadephul – angeblich – am Telefon erhalten hatte – offenbar nichts als heiße Luft.
Eine Anfrage von WELT zu den Vorgängen beantwortete das Auswärtige Amt nicht. In der Bundespressekonferenz in Berlin erklärte ein Sprecher am Mittwoch lediglich, man könne die genaue Zahl der Festgenommen bislang nicht beziffern. Man sei in Gesprächen mit der pakistanischen Regierung. Zu den Inhalten der Gespräche äußerte sich der Sprecher ebenfalls nicht.
Montag waren 47 Afghanen eingereist
Noch am Montag hatte die Bundesregierung 47 Afghanen mit einer Aufnahmezusage für Deutschland, die vor Gericht auf eine Visa-Ausstellung geklagt hatten, von Islamabad nach Hannover geflogen. Es schien kurz wie der Anfang eines glimpfliches Ende für das Bundesaufnahmeprogramm. Doch wenig später die dramatische Wende.
Bereits am Montag war in den Gasthäusern, in denen die Afghanen unter einfachen Verhältnissen teils seit über einem Jahr leben, eine Warnung herumgegangen. Die Polizei werde „in den nächsten vier bis fünf Tagen Operationen und Festnahmen durchführen“, hieß es in der Nachricht, die WELT vorliegt. „Daher wäre es besser, wenn Sie und Ihre Familienangehörigen tagsüber den Aufenthaltsort verlassen und an einem anderen Ort bleiben könnten. Dies könnte in gewissem Maße verhindern, dass Sie festgenommen oder abgeschoben werden.“
Mit dem Bundesaufnahmeprogramm wollte die Ampel-Regierung nach der Machtübernahme der Taliban ab 2022 „besonders gefährdeten Afghaninnen und Afghanen“ nach Deutschland holen. Die schwarz-rote Koalition hat angekündigt, das Programm zu beenden. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg verpflichtete das Auswärtige Amt jedoch zuletzt in zahlreichen Fällen, sich an in der Vergangenheit ausgestellte Aufnahmezusagen zu halten.
Die deutschen Behörden tun das offenkundig nur widerwillig.
Die Bundesregierung versucht nach WELT-Information weiterhin, die Zahl der Afghanen, die nach Deutschland gebracht werden müssen, zu reduzieren. So soll das Auswärtige Amt in mehreren Fällen trotz bestehender Aufnahmezusage und Urteilen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg Widerrufsverfahren gegen die Zusage eingeleitet haben.
Anderen Afghanen sei mitgeteilt worden, man könne ihnen zwar ein Visum ausstellen, dann müssten sie jedoch umgehend die Gasthäuser verlassen, erfuhr WELT am Mittwoch. Das würde in der Praxis wohl zu einer Rückführung nach Afghanistan führen, da die Visa der Migranten für Pakistan aufgrund der monatelangen Wartezeit längst abgelaufen sind. Auch hierzu war zunächst keine Stellungnahme aus dem Auswärtigen Amt zu erhalten.
Der Frust in Islamabad ist riesig
Mittlerweile überwiegt im Umfeld der Afghanen, die von Deutschland einst ein Versprechen zur Einreise bekommen haben, der blanke Frust. Niemand würde sich noch einmal auf das Bundesaufnahmeprogramm einlassen, berichtet eine Person aus dem Umfeld zahlreicher afghanischer Familien. Es gebe für sie jedoch weder ein vor noch ein zurück. Es sei, als habe Deutschland den Afghanen eine Rettungsleine ausgeworfen – und dann einen Stein daran gebunden.
Das Spiel auf Zeit ist zudem ein teures Unterfangen. Die Verpflegung und Unterbringung der Afghanen in Pakistan wird durch die Bundesregierung finanziert. Im diesjährigen Bundeshaushalt sind noch rund 6,45 Millionen Euro für das Bundesaufnahmeprogramm verzeichnet. Laut einem Insider reicht das, um rund ein halbes Jahr lang die Unterbringungskosten zu decken.
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