So viele Migranten streben in Deutschland die Einbürgerung an
Zehn Jahre nach Beginn der Migrationskrise hat sich das Stimmungsbild unter Geflüchteten in Deutschland deutlich verändert. Das anfängliche Willkommensgefühl, gespeist aus jubelnden Empfängen an Bahnhöfen und Angela Merkels berühmter Aussage „Wir schaffen das“, ist tiefer Ernüchterung und Sorge vor wachsender Fremdenfeindlichkeit gewichen. Zugleich aber will die übergroße Mehrheit der nach Deutschland Geflüchteten im Land bleiben und strebt auch die deutsche Staatsangehörigkeit an.
Das sind die zentralen Ergebnisse von drei neuen Studien zur Lebensrealität von Migranten in Deutschland, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung auf Basis von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) aus den Jahren 2016 bis 2023 erstellt hat. Personen aus der Türkei und der Ukraine wurden in der Längsschnittanalyse nicht berücksichtigt, da sie 2023 überproportional in der Stichprobe vertreten waren.
Den Daten zufolge ist die Sorge Geflüchteter wegen fremdenfeindlicher Einstellungen in Deutschland stark gewachsen. 2019 äußerte fast jede dritte Person „einige“ oder „große“ Sorgen vor Fremdenfeindlichkeit, im Jahr 2023 waren es bereits 54 Prozent – der Höchstwert im Beobachtungszeitraum. Parallel dazu ist das subjektive Gefühl, in Deutschland willkommen zu sein, seit 2018 rückläufig. Gaben 2016 noch rund 83 Prozent der Befragten an, sich „voll und ganz“, „überwiegend“ oder „in mancher Beziehung“ willkommen zu fühlen, waren es 2023 nur noch 65 Prozent.
Diese Entwicklung sei parallel zur Intensivierung der migrationspolitischen Debatte verlaufen, in der verstärkt auch migrationskritische Positionen im politischen Diskurs sichtbar geworden seien, so das DIW. „Diese Entwicklungen könnten dazu beitragen, dass sich Geflüchtete weniger willkommen fühlen und ihre Sorgen vor Fremdenfeindlichkeit zunehmen.“
Wie die Auswertung der SOEP-Daten weiter ergab, wurden im Verlauf der vergangenen Jahre immer mehr Geflüchtete, die zwischen 2013 und 2019 aus sechs Hauptherkunftsländern Syrien, Afghanistan, Irak, Eritrea, Somalia und Iran nach Deutschland kamen, eingebürgert oder stellten einen Antrag. Der Anteil bereits Eingebürgerter stieg von 2,1 Prozent im Jahr 2021 auf 7,5 Prozent im Jahr 2023; die Zahl der Anträge verdreifachte sich im selben Zeitraum auf 25,7 Prozent. Dabei wurden aus Syrien geflüchtete Menschen häufiger eingebürgert als Menschen aus anderen Herkunftsländern.
2023 behielten rund 88 Prozent der Eingebürgerten parallel zur deutschen Staatsbürgerschaft auch ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit – sie haben also den sogenannten Doppelpass.
Den Wunsch, irgendwann in die Heimat zurückzugehen, hegen offenbar die wenigsten Migranten, wie die Befragungen ergaben. Mehr als 98 Prozent der Befragten streben eine Einbürgerung an – diese Zahl beinhaltet auch die bereits Eingebürgerten und diejenigen, die bereits einen Antrag gestellt haben. Nur ein verschwindend geringer Anteil von 1,3 bis 1,5 Prozent der Eingewanderten hegt keine Einbürgerungsabsicht.
„Dies spiegelt die Vorteile der Einbürgerung für Staatsangehörige aus Nicht-EU-Staaten wider“, heißt es in dem DIW-Bericht. Während EU-Bürger in Deutschland bereits umfassende Freizügigkeits-, Arbeits- und Aufenthaltsrechte genössen, hätten Angehörige von Drittstaaten deutlich eingeschränktere Rechte. „Sie profitieren durch die deutsche Staatsbürgerschaft von mehr Rechtssicherheit, Reisefreiheit, beruflichen Chancen und Möglichkeiten zur Familienzusammenführung.“
Um die Voraussetzungen zu erfüllen, müssen gemäß dem 2024 reformierten Staatsbürgerschaftsrecht unter anderem Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 und die eigenständige Sicherung des Lebensunterhaltes nachgewiesen werden. Die Antragsteller müssen sich mindestens fünf (früher acht Jahre) rechtmäßig in Deutschland aufgehalten haben.
Besonders profitieren dürften laut DIW demnach höher qualifizierte Geflüchtete mit guten Deutschkenntnissen und stabilen Arbeitsverhältnissen. „Vulnerable Gruppen“ wie Alleinerziehende, Ältere oder Geringqualifizierte würden durch die verschärften Lebensunterhaltsanforderungen ausgeschlossen. „Angesichts ihrer dauerhaften Bleibeperspektive in Deutschland stellt sich die Frage, ob der Staat hier nicht wertvolle Integrationschancen verschenkt“, heißt es in dem Bericht.
Auswirkungen der Flucht der Eltern auf ihre Kinder
In einer dritten Auswertung untersuchte das DIW, inwieweit sich die Fluchterfahrungen der Eltern auf Gesundheit und Entwicklung ihrer in Deutschland geborenen Kinder auswirkt – zwischen 2014 und 2022 betraf das insgesamt rund 200.000 Kinder. Den Daten zufolge bestehen demnach hinsichtlich Geburtsgewicht, und -größe, Kaiserschnittprävalenz und Stillverhalten keine signifikanten Unterschiede zwischen Kindern geflüchteter Mütter und denen von Müttern mit oder ohne Migrationshintergrund.
Anders sehe es allerdings im Kleinkindalter aus: In den Bereichen Sprache, Motorik und sozialer Entwicklung schneiden Kinder Geflüchteter schwächer ab. Entscheidende Faktoren hierfür seien die Bildung und mentale Gesundheit der Mutter, ihr Erwerbsstatus sowie der Zugang zu institutioneller Betreuung. Zudem seien Kinder geflüchteter und migrantischer Mütter häufiger übergewichtig, ein Faktor, der vor allem mit Bildung und Erwerbsbeteiligung der Mutter korreliere. Mehr als ein Drittel der geflüchteten Mütter haben nur einen Hauptschulabschluss.
„Die Ergebnisse zeigen: Nicht die Fluchterfahrung selbst, sondern soziale und strukturelle Lebensbedingungen der Mütter beeinflussen die kindliche Entwicklung“, heißt es in dem Bericht. „Daraus lässt sich ableiten, dass Investitionen in Bildung, Erwerbsintegration und frühkindliche Betreuung geflüchteter Familien wichtige Ansatzpunkte für gesundheitliche Chancengleichheit und gesellschaftliche Teilhabe darstellen.“
Sabine Menkens berichtet über gesellschafts-, bildungs- und familienpolitische Themen.
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