Der Fall des angeblichen französischen Spions, der Paris in Erklärungsnot bringt
Die militärische Karriere von Yann Vezilier ist gut dokumentiert im Amtsblatt der französischen Regierung. Im Laufe der Jahrzehnte ist dort in acht Eintragungen der schrittweise Aufstieg vom Unterleutnant bis zum Oberstleutnant bei der Luftwaffe vermerkt.
Größere Bekanntheit aber erlangte Vezilier am vergangenen Donnerstag. Da veröffentlichte das Staatsfernsehen in Mali ein wie ein Polizeifoto anmutendes Foto von ihm. Sichtlich erschöpft und in seinem aufgeknöpften weißen Hemd wenig militärisch wirkend, starrt der Franzose in die Kamera. Die Aufnahme wurde zusammen mit den Fotos von 54 anderen Festgenommenen gezeigt, die in dem westafrikanischen Land angeblich den Umsturz der Militärregierung von Präsident Assimi Goita geplant hatten, der sich 2021 an die Macht geputscht hatte.
Paris reagierte umgehend. Vezilier sei an der französischen Botschaft in der Hauptstadt Bamako akkreditiert gewesen, teilte das französische Außenministerium mit. Seine Verhaftung sei daher ein Verstoß gegen die Wiener Konvention, in der die diplomatischen Beziehungen geregelt sind. „Ein Dialog mit den malischen Behörden ist im Gange, um Missverständnisse zu zerstreuen“ und seine „unverzügliche Freilassung“ zu erreichen, hieß es weiter.
Bamako ist dagegen daran interessiert, eine andere Lesart des Vorgangs zu verbreiten. Die Junta präsentierte die Verhaftungen als Ergebnis einer angeblichen Destabilisierungsaktion, die von „ausländischen Staaten“ unterstützt worden sei – gemeint war natürlich die ehemalige Kolonialmacht Frankreich. Die Armee habe sich lediglich mit „Randelementen“ beteiligt, so die Behauptung – obwohl auch zwei bekannte Generäle unter den Verhafteten waren und die Armee tief gespalten ist. Rivalisierende Fraktionen streiten über die Frage, in welche Richtung sich die Junta politisch orientieren soll.
Das in der Sahelzone verbreitete Frankreich-Feindbild weiter zu füttern, hat Mali so nötig wie nie seit den zwei in kurzen Abständen aufeinanderfolgenden Putschen, die die politische Stabilität des Landes beeinträchtigen. Der erste Putsch fand im August 2020 statt, als das Militär Präsident Ibrahim Boubacar Keïta stürzte. Im Mai 2021 folgte der Staatsstreich, der Goitas Militärjunta an die Macht brachte. Das Land steckt in einer schweren Sicherheitskrise, die sich noch vertieft hat, seit russische Söldner vor drei Jahren französische Spezialeinheiten im Kampf gegen dschihadistische Gruppen ablösten. Auch lokale Milizen und organisierte Kriminalität schwächen die Region seit Jahren.
Russland profitiert
Moskau hat bislang nicht offiziell auf die Festnahme von Yann Vezilier reagiert. Doch jeder diplomatische Skandal, der Frankreich in Erklärungsnot bringt, fügt sich ins Kalkül des Kremls, das die Militärjunta in Mali unterstützt. Erst im April lud Außenminister Sergei Lawrow seine Amtskollegen aus Mali, Burkina Faso und Niger nach Moskau ein, um die militärische Zusammenarbeit auszubauen. Und um das Bild einer erfolgreichen Partnerschaft aufrechtzuerhalten. Er versprach Waffenlieferungen, Ausrüstung, Ausbildung und Unterstützung beim Aufbau gemeinsamer Sicherheitsstrukturen im Sahel.
Dafür ist seit Juni das an das russische Verteidigungsministerium angebundene „Africa Corps” verantwortlich, das Wagner ersetzen soll. Die russische Söldnertruppe Wagner hatte zuvor angekündigt, sich aus dem westafrikanischen Land zurückzuziehen, wo sie gemeinsam mit der malischen Armee gegen islamistische Milizen sowie Rebellen der Tuareg gekämpft hatten, die Autonomie für ihre Gebiete beanspruchen.
Zuvor hatte eine Serie von Anschlägen der mit al-Qaida verbundenen islamistischen Gruppe JNIM sogar Militärbasen in Zentralmali erschüttert. Darunter war auch ein Angriff auf den Flughafen der Hauptstadt Bamako – eine Blamage für Wagner, das mit bis zu 2000 Mann in dem Land aktiv war und dafür rund 10 Millionen Dollar monatlich kassierte.
Im selben Zuge bindet Russland Mali auch ökonomisch enger an sich. Vor einigen Wochen unterzeichneten beide Regierungen Abkommen zur wirtschaftlichen Kooperation, die Bereiche wie Geologie, Energie, Logistik und sogar die Entwicklung eines Nuklearprogramms umfassen. Russische Unternehmen wiederum erhalten Zugang zu Goldminen und strategischen Sektoren.
Unmut in der Bevölkerung
Doch die Menschen in Mali geben erste Signale, dass sie sich mit der großen Geopolitik nicht mehr vom Machthunger der Junta ablenken lassen. Zuletzt hat Präsident Goita alle politischen Parteien aufgelöst und ein Gesetz verabschiedet, das ihn für mindestens fünf weitere Jahre an der Macht hält – Verlängerungsoption nach eigenem Gutdünken inklusive. Ähnlich geartete Konstrukte haben sich bereits die Generäle in den Nachbarländern Burkina Faso und Niger aufgebaut. Im Mai trauten sich in Bamako erstmals einige Hundert Demonstranten auf die Straßen, obwohl ihnen dafür die Verhaftung drohte. Ihr Unmut richtet sich gegen Goita, der ihnen einst die Rückkehr zur Demokratie bis spätestens Anfang 2024 versprochen hatte. Eine Lüge.
In dieser Gemengelage wirken die Anschuldigungen der Militärjunta gegen den angeblichen französischen Botschaftsmitarbeiter Vezilier auf den ersten Blick wie plumpe Propaganda. Doch es gibt Anzeichen dafür, dass Frankreich sein Françafrique-System fortsetzt, das über Jahrzehnte entstandene Geflecht aus politische, wirtschaftliche und militärischer Einflussnahme in seinen ehemaligen Kolonien. Bis zur Machtergreifung des Militärs war Mali ein enger Partner der ehemaligen Kolonialmacht: Politische Entscheidungen wurden oft von Paris aus maßgeblich beeinflusst. Präsident Emmanuel Macron behauptete mehrfach, die Zeit der schamlosen Einflussnahme in Westafrika gehöre der Vergangenheit an. Und geriet dennoch in Erklärungsnot.
Auch mit dem an Mali angrenzenden Burkina Faso kam es zu diplomatischen Verwerfungen. Im Dezember 2023 wurden vier französische IT-Mitarbeiter mit diplomatischen Pässen unmittelbar nach ihrer Ankunft in der Hauptstadt Ouagadougou festgenommen. Während Paris sie als im Auftrag der Botschaft entsandte Techniker für Wartungsarbeiten bezeichnete, stellte die burkinische Militärregierung sie als Agenten des französischen Auslandsgeheimdienstes DGSE dar. Wie nun in Mali wies Frankreich die Vorwürfe der verdeckten Einflussnahme zurück und sah in dem Vorgehen einen Versuch, die Beziehungen weiter zu belasten – vor allem angesichts der Hinwendung von Burkina Faso zu Russland.
Ende 2024 gab der Chef des französischen Geheimdienstes DGSE schließlich in einem Interview mit dem Magazin „Le Point“ zu, dass es sich um Mitarbeiter seiner Behörde handele. Kurz darauf kamen die Männer frei.
Christian Putsch ist Afrika-Korrespondent. Er hat im Auftrag von WELT seit dem Jahr 2009 aus über 30 Ländern dieses geopolitisch zunehmend bedeutenden Kontinents berichtet.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke