Wenn Nicaraguas linksextremer Diktator über seine Verbündeten spricht, bemüht er gern himmlische Metaphern. „Heute sind wir ein von Gott gesegnetes Volk. Wir haben diese großartigen Nationen als Partner, die den Menschen nur Wohlergehen bringen“, erklärte Daniel Ortega Ende Juli. Gemeint sind Russland und China, die beiden zentralen Stützen seines Regimes in Managua. Kurz zuvor hatte das von den regierenden Sandinisten vollständig kontrollierte Parlament Ortega ermächtigt, russische Soldaten, Schiffe und Flugzeuge ins Land zu lassen. Über Umfang und Dauer dieser Präsenz entscheidet allein „Comandante Daniel“, wie sich Ortega in Nicaragua nennen lässt.

Da in Nicaragua sämtliche regierungskritischen Medien, die Opposition und selbst die katholische Kirche mundtot gemacht wurden, weiß niemand außer Ortega selbst, wie groß die russische Militärpräsenz im Land mittlerweile ist.

Nicaragua zeigt zugleich exemplarisch, wie strategisch geschickt Moskau seine militärische Reichweite weltweit ausbaut. Für den Kreml ist das mittelamerikanische Land ein ideales Ziel: Es gewährt russischen Streitkräften nahezu uneingeschränkten Zugang. Dahinter steckt eine langfristige Strategie des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Im Konflikt mit dem Westen will er von einem militärisch nutzbaren Brückenkopf nahe der US-Grenze aus agieren können.

Wie schnell sich die Lage zuspitzen kann, zeigte das jüngste Fernduell zwischen US-Präsident Donald Trump und Dmitri Medwedjew. Nachdem Trump Zölle gegen russische Handelspartner in Aussicht gestellt hatte, reagierte Russlands Ex-Präsident mit nuklearen Drohungen. Trump wiederum ließ daraufhin zwei atomar bewaffnete U-Boote in Richtung Russland verlegen.

Währenddessen knüpft Moskau weiter sein globales geopolitisches Netzwerk. Neben Kuba und Venezuela gilt Nicaragua mittlerweile als wichtigster Partner Russlands in Zentralamerika. „Russland verfügt damit über drei Brückenköpfe in unmittelbarer Nähe zur Südgrenze der USA“, sagt Felix Maradiaga, ehemaliger Präsidentschaftskandidat und heute im US-Exil, im Gespräch mit WELT. Wie alle prominenten Oppositionspolitiker wurde auch er von Ortega verhaftet, bei den letzten Wahlen ausgeschlossen und schließlich ausgebürgert.

Teil eines russischen Spionagenetzwerks

Maradiaga beschreibt die russische Strategie so: „Erstens geht es um Präsenz in der westlichen Hemisphäre. Zweitens ist es eine sehr kostengünstige Präsenz – Russland muss kaum etwas investieren.“ Ortega sei ein Partner, der weder Geld noch großen Aufwand verlange. Und drittens gehe es darum, den Vereinigten Staaten gezielt Unannehmlichkeiten zu bereiten. Managua liegt nur rund zwei Flugstunden von Miami entfernt. „Ich nenne das: ‚The Axis of Annoyance‘: die Achse des Ärgers.“

Ein weiterer Aspekt sei die Rolle Russlands als Überwachungsmacht in der Region. „Die russische Technologie ist zwar nicht hochmodern, aber gefährlich genug, um ganz Mittelamerika zu kontrollieren“, so Maradiaga. In der Region befinden sich zahlreiche Botschaften europäischer Staaten, darunter Deutschland, Kanada, Frankreich, Italien und Spanien. Experten bestätigen, dass Nicaragua mittlerweile Teil eines russischen Spionagenetzwerks ist – eingesetzt zur Überwachung von Oppositionellen innerhalb und außerhalb Russlands. Die geografische Lage verschafft Moskau zudem einen strategischen Vorteil: Der Einflussbereich reicht bis an den Panama-Kanal, eine der bedeutendsten Handelsrouten der Welt.

Für Russland geht es also nicht nur um Nicaragua, sondern um Zentralamerika insgesamt – ein Terrain, das sich bestens für Spionage und verdeckte Operationen eigne, wie Maradiaga erklärt. Zudem berate Moskau das Regime in asymmetrischen Kriegstaktiken.

Ein besonders anschauliches Beispiel dafür sei die Rolle Nicaraguas in der Migrationskrise. Ortega habe nicht nur die massenhafte Auswanderung seiner Landsleute bewusst forciert, sondern sein Staatsgebiet auch für internationale Charterflüge geöffnet. Diese seien mit allen notwendigen Genehmigungen in Nicaragua gelandet, um Migranten aus aller Welt in Richtung US-Grenze zu bringen – ein Faktor, der die US-Präsidentschaftswahl im November 2024 entscheidend geprägt hat.

Vor wenigen Tagen schließlich ließ das Ortega-Regime verlauten, dass es die von Russland besetzten Gebiete in der Ostukraine als Teil der Russischen Föderation anerkenne. Im Gegenzug erhalten Nicaraguas Sicherheitskräfte Schulungen in einem russischen Polizei-Ausbildungszentrum auf nicaraguanischem Boden. Der US-Experte Evan Ellis vom War College sieht die eigentliche Funktion dieser Einrichtung darin, die Repressionsfähigkeit des Regimes zu erhöhen. Es würden dort, so Ellis, Techniken vermittelt, „die für keine Polizei in einer Demokratie akzeptabel sind“.

Nicaragua gilt heute als eine der repressivsten Diktaturen weltweit. 2018 ließ Ortega Sozialproteste brutal niederschlagen, anschließend verhaftete er die gesamte Opposition und erstickte seither jeglichen Widerstand.

Inzwischen reicht die Repression über die Landesgrenzen hinaus: Regierungskritiker werden auch im Ausland verfolgt – zuletzt im benachbarten Costa Rica. Dort wurde im Juni Roberto Samcam, ein prominenter nicaraguanischer Dissident im Exil, in seiner Wohnung erschossen.

Tobias Käufer ist Lateinamerika-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2009 über die Entwicklungen in der Region.

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