Am Sonntag versuchte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), den Geist einzufangen, den er am Freitagmittag – völlig unerwartet für nahezu alle Beteiligten und Beobachter – aus der Flasche gelassen hatte. In der ARD erklärte Merz, spürbar gezeichnet von einem aufreibenden Wochenende, es gebe „keine Wende in der Israel-Politik“. Man stehe „ohne Zweifel weiter an der Seite dieses Landes“.

Aber vorerst ohne die Lieferung von Waffentechnik, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen könnte. So hatte es die Bundesregierung verkündet. Am Sonntag bestärkte Merz die Entscheidung: „Wir können nicht Waffen liefern in einem Konflikt, der jetzt ausschließlich versucht wird mit militärischen Mitteln gelöst zu werden und der Hunderttausende von zivilen Opfern fordern könnte.“ Weitere Schritte, etwa ein Aussetzen des Assoziierungsabkommen mit Israel, stünden nicht zur Debatte.

Es war wohl auch ein Versuch, die eigenen Reihen zu besänftigen.

Denn Merz hatte die Schockwellen unterschätzt, die seine Entscheidung durch die Unions-Basis und das Vorfeld der Partei schicken sollte – insbesondere durch jene große Gruppe der CDU-Anhänger, die sich explizit als Freunde des jüdischen Staates begreifen. In offenen Posts und vertraulichen Chatgruppen, in denen sich Unterstützer Israels vernetzen, zeigten sie sich empört, überrumpelt, geradezu entsetzt.

Stephan Pilsinger, für die CSU im Bundestag, schrieb auf der Plattform X: „Deutschland kann damit defacto keine Waffen mehr nach Israel liefern, da der Einsatz in Gaza ausgeschlossen sein muss. Israels Sicherheit gegenüber seinen zahlreichen gefährlichen Feinden wird dadurch sicher nicht verbessert.“ Johannes Winkel, Vorsitzender der Jungen Union, schrieb: „Israel macht ab heute die Drecksarbeit für uns, nur ohne deutsche Waffen.“ Die Parteijugend veröffentlichte wenig später ein eindeutiges Statement. Darin war die Rede von einem „Bruch mit den Grundsätzen der Unionspolitik“. Israel müsse Partner, Freund und Verbündeter bleiben.

Ein einflussreicher CDU-Parlamentarier warf der Führung seiner Partei am Freitag in einer solchen Nachricht „Hybris“ und „Verlogenheit“ vor. Merz‘ Entscheidung, so seine Einschätzung, werde die Union spalten. Wenig später wurde der Unmut einiger Bundestagsabgeordnete auch publik.

Für einige in der Partei war die klare Haltung der Jungen Union der einzige Hoffnungsschimmer an einem irritierenden Wochenende.

„Immense Symbolkraft“

Simone Hofmann, 61 Jahre, wohnhaft in Frankfurt, sagte WELT: „Ich bin erst seit vier Monaten Mitglied der CDU. Ich dachte: Ich lebe in Deutschland, ich muss mich als Jüdin positionieren. Ich hatte sehr große Hoffnungen in Merz und die neue Regierung. Aber diese Entscheidung ist unsäglich.“ Hofmann verweist auf die Rüstungsexporte der Bundesregierung nach Katar, bereits im ersten Quartal 2025 seien Waffenausfuhren im Wert von 166 Millionen Euro genehmigt worden. „Da hinterfragt auch niemand, ob das der Hamas zugutekommt.“

Merz‘ Entscheidung entfalte eine immense Symbolkraft. Innerhalb der jüdischen Community sei ein großer Schaden angerichtet worden. „Das Vertrauen ist beschädigt worden. Viele Freunde haben mir geschrieben: ‚Wir haben Merz gewählt, wir werden ihn bei der nächsten Wahl nicht mehr wählen‘.“ Für Hofmann stelle sich die Frage: „Wen kann man als jüdischer Mensch überhaupt noch wählen?“

Manchmal habe sie das Gefühl, nicht mehr atmen zu können, vor lauter Hass, der auf Juden in Deutschland einprassle. Ein Freund von ihr sei am Rand einer Palästina-Demonstration in Mannheim krankenhausreif geschlagen worden. Merz‘ Entscheidung bestärke nun „diejenigen, die hier auf die Straßen gehen und die Auslöschung Israels fordern“, warnt Hofmann. Dennoch sei aufgeben keine Option. Sie wolle unbequem bleiben – auch innerhalb der CDU.

Andere hatten ihre Entscheidung zum Parteiaustritt da bereits getroffen. Markus Wohjahn, langjähriges CDU-Mitglied in Köln, schrieb am Freitag in einer Chatgruppe von Israel-Unterstützern: „Ich bin seit 39 Jahren Mitglied der CDU. Es gab schon einige Entscheidungen, die schwierig waren. Aber niemals zuvor habe ich mich so geschämt. Ich habe gerade schon zwei Direktnachrichten bekommen, dass diese Personen am Wochenende austreten.“ Es sei „ein schwarzer Tag“.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, warf Merz vor, ein Versprechen gebrochen zu haben. Die Bundesregierung müsste ihren Kurs „schnellstmöglich korrigieren“, mahnte Schuster.

Noch drastischer klang es in einer Stellungnahme des Vereins „Honestly Concerned“, der sich in Frankfurt/Main gegen Antisemitismus engagiert. „Uns fehlen die Worte. Damit hat sich das Thema Staatsraison endgültig erledigt! Unsere Erwartungen an die CDU waren hoch; unsere Enttäuschung über die Rückgratlosigkeit und damit verbundene Unterstützung für die Hamas, die sich ins Fäustchen lacht und so noch mehr ermutigt sieht, ist nicht mehr in Worte zu fassen! Danke auch, dass Merz die deutschen Geiseln so im Stich lässt. Pfui!!!“

Auf Konfrontationskurs

Laut einem Bericht der „Bild“ arbeitet die CSU indes an Strategien, Merz zur Umkehr zu bewegen. Auch CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter zählt zu den lautesten Kritikern der neuen Israel-Politik. Intern und war Kiesewetter schon in den vergangenen Wochen zunehmend auf Konfrontationskurs mit Merz und Außenminister Johann Wadephul (CDU) gegangen.

Am Freitag erklärte Kiesewetter: „Wir verlieren aber an Glaubwürdigkeit in Europa, in der Welt, gegenüber den arabischen Staaten im Nahen und Mittleren Osten, die sich klar gegen die Hamas stellen. Vor allem belasten wir damit unsere gewachsene Freundschaft zu Israel. Ich bin enttäuscht und halte das für einen schweren Fehler.“

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