Wolfgang Ischinger ist einer der erfahrensten deutschen Diplomaten. Für den stern blickt er hinter die Fassaden – dieses Mal: Erwartungen an den großen Gipfel und Europas Schwäche.
 

Herr Ischinger, was hat Sie in dieser Woche überrascht?  
Mich hat überrascht, dass anscheinend sehr viele glauben, dass mit dem geplanten Treffen von Trump und Putin zur Ukraine jetzt tatsächlich Bewegung in die Sache kommt, dass es sogar einen trilateralen Gipfel geben könnte. Die Aussicht auf letzteren hat Putin ja schon wieder einkassiert, was mich überhaupt nicht überrascht.   

Aber sehen Sie nicht eine härtere Gangart Trumps gegenüber Putin? 
Ja, wenn man Trumps Ankündigungen Glauben schenkt, aber sein aktuelles Vorgehen lässt mich leider zweifeln. Trump will ja eigentlich – Beispiel Zölle – aus einer Position der Stärke heraus antreten. Wenn er nun gesagt hätte: Bevor ich mich mit Putin treffe, werde ich erstmal ganz gewaltige Sanktionen gegen ihn verhängen, die Lieferung massiver neuer Waffensysteme ankündigen, und dann kann er kommen und mir das abverhandeln für eine bestimmte Gegenleistung – das wäre ein Auftritt der Stärke gewesen. Aber genau das hat er nicht getan. Ich bin überrascht, wie leicht es Putin anscheinend fällt, nicht nur Teile der amerikanischen Administration, sondern auch der internationalen meinungsbildenden Eliten in Trance zu versetzen nach dem Motto: Jetzt kommt der Durchbruch. Stattdessen spielt er auf Zeit und verfolgt einfach seine Maximalziele weiter, statt wirklich verhandlungs-, also kompromissbereit zu sein. Schon jetzt ist eins klar: Das Trump-Ultimatum, das ja in diesen Tagen ausgelaufen wäre, hat Putin offenbar im Gespräch mit dessen Sonderbeauftragten Steve Witkoff schon mal vom Tisch gefegt. Also Vorteil Putin. 

Ukrainekrieg Warum Trumps Gipfeltreffen kaum Aussicht auf Erfolg hat

Immerhin ist es das erste Treffen zwischen einem russischen und einem US-amerikanischen Präsidenten seit über vier Jahren.
Es ist gut und richtig, dass sich die beiden treffen, immerhin sind das die beiden zentralen globalen Nuklearmächte. Aber als diplomatischer Praktiker muss ich Ihnen sagen: Wenn die Vorbereitung dieses Treffens sich im Moskau-Besuch von Steve Witkoff erschöpft, dem im Kreml Leute gegenübersitzen, die ihm 30 oder mehr Jahre an Erfahrung und Manipulationsfähigkeit voraus haben, dann bin ich nicht gerade optimistisch. Überaus komplexe Fragen stehen an: Ukrainekrieg, nukleare Rüstungskontrolle, Nahost einschließlich Iran, und so weiter. Es wäre fast ein diplomatisches Wunder, wenn dieses Gipfeltreffen tatsächlich substanzielle und nachhaltige, also belastbare Fortschritte zur Beendigung des Ukrainekriegs bringen würde. Aber hoffen wir mal, dass ich ausnahmsweise nicht optimistisch genug bin. 

Manche sprechen von einer Falle Putins: Er wickelt Trump einfach um den Finger. 
Diese Sorge teile ich. Putin könnte einen Weg finden, um den in Saudi-Arabien begonnenen bilateralen Prozess in die Länge zu ziehen. Dann sprechen die beiden über Iran und andere Krisenherde, und schon ist Putin ein Gesprächspartner auf Augenhöhe – was er nicht verdient hat, solange er nicht bewiesen hat, dass er bereit ist, den Krieg zu beenden. Aus meiner Sicht wäre es besser gewesen, Putin erst dann ein solches Gipfeltreffen anzubieten, wenn klar ist, dass der Gipfel ein konkretes Ergebnis – also zum Beispiel eine ausgehandelte Waffenstillstandsvereinbarung – verkünden würde. 

© Lennart Preiss / DPA

Zur Person

Wolfgang Ischinger war von 2001 bis 2006 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in den USA, von 2006 bis 2008 dann in Großbritannien. Anschließend übernahm er die Leitung der Münchner Sicherheitskonferenz. Bis heute ist er Präsident von deren Stiftungsrat.

Vor vier Jahrzehnten trafen sich US-Präsident Ronald Reagan und der Sowjetführer Michail Gorbatschow zu mehreren Gipfeln, um Rüstungskontrolle und Abrüstung voranzubringen. Wie lange wurden derartige Gipfel vorbereitet? 
Die Experten, die damals etwa über nukleare Rüstungskontrolle, also über strategische und Mittelstreckenwaffen verhandelt haben, haben jeweils über viele Wochen oder fortlaufend mit der anderen Seite gesprochen. Es ging und geht dabei zum Beispiel über komplizierte Fragen der technischen Möglichkeiten der Verifikation getroffener Vereinbarungen. Das wäre übrigens auch ein zentral wichtiges Thema, falls tatsächlich ein Kriegsende in der Ukraine herbeigeführt werden könnte. Durch die 80er-Jahre in die 90er-Jahre bis einschließlich zum Beginn der Ära Putin hatten sich da sogar professionelle Vertrauensverhältnisse zwischen den Unterhändlern und ihren Teams entwickelt. Für strategische Stabilität in der Krise ist es wichtig, dass man den anderen einschätzen kann. Davon ist leider momentan wenig zu sehen, und das ist alles andere als beruhigend. Stattdessen lässt Trump sich mit Medwedew auf einen öffentlichen verbalen Boxkampf über den nuklearen Krieg ein. Nicht besonders vertrauensfördernd, besonders hier in Deutschland, wo die irrationale Angst vor einem Nuklearkrieg besonders grassiert. 

Ich traue mich gar nicht zu fragen, Herr Ischinger: Wo sind eigentlich die Europäer? 
Sehr gute Frage! Im Falle der Ukraine handelt es sich um einen Krieg in der unmittelbaren Nachbarschaft der Europäischen Union beziehungsweise der europäischen NATO-Mitglieder. Ja, Trump telefoniert inzwischen ja regelmäßig mit Bundeskanzler Merz, Präsident Macron und anderen. Das will ich gar nicht kleinreden. Das ist sehr gut und sehr wichtig. Noch wichtiger und viel besser wäre es allerdings, wenn die USA eine Art Kontaktgruppe mit Partnern wie Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Polen, der Türkei, etc. eingerichtet hätten. Eine diplomatisch-geostrategische Kontaktgruppe – ein schon in den neunziger Jahren sehr bewährtes Modell multilateraler Krisendiplomatie –, die sich Gedanken über eine künftige Neuaufstellung einer euro-atlantischen Sicherheitsarchitektur machen und Vorschläge entwickeln könnte, wie eine mögliche Vereinbarung im Ukrainekrieg dann überprüft werden könnte: Wer kontrolliert die Kontaktlinie, wer verifiziert Vereinbarungen über den Abzug von Soldaten und Waffen? Die OSZE oder wer übernimmt das? Denn wir Europäer werden doch am Ende diejenigen sein, die das Ergebnis umsetzen müssen und notfalls eben auch damit leben müssen, wenn solche Vereinbarungen nicht hinreichend wasserdicht und überprüfbar ausgearbeitet werden. 

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Ein anderes Thema, bei dem die Europäer schlecht aussehen, ist Gaza. Allerdings scheint es so, als spiele Deutschland hier die Rolle, die Ungarn beim Thema Ukraine spielt: Wir blockieren Sanktionen gegen Israel, schwächen die EU und spielen damit der Regierung Netanjahu, die den Gazastreifen besetzen und sogar die Palästinenser von dort vertreiben will, in die Hände. Haben wir Deutschen uns angesichts der Tragödie in Gaza mit unserer Staatsräson verrannt?  
Das zentrale Problem besteht aus meiner Sicht darin, dass die Europäische Union nicht mit einer Stimme spricht. Es macht mich unglücklich, dass nach Jahrzehnten voller Lippenbekenntnisse über eine gemeinsame europäische Außenpolitik diese insbesondere beim Thema Nahost nach dem 7. Oktober 2023 zu einem Trümmerhaufen geworden ist. Es ist doch aus historischen Gründen richtig und verständlich, dass Deutschland sich in der Israelpolitik gerade jetzt nicht an die Spitze des Konvois setzt. 

Aber Deutschland hat sich lange quergestellt gegenüber den Sanktionsplänen der anderen Länder.
Was hier stattfindet, ist ja nicht wirklich ein Ansatz zu einer neuen Nahostpolitik der EU – wie versprochen. Es ist französische Nahost-Politik, es ist die britische Nahost-Politik, es ist spanische und italienische Politik, und so weiter. Jeder auf seine Weise. Aber es gibt keine hinreichend energische Anstrengung, dass die EU-Staaten tatsächlich wieder mit einer Stimme sprechen. Warum gibt man Kaja Kallas, die man mit Fanfaren zur neuen sogenannten Außenministerin der EU gemacht hat, nicht mal eine Chance? Sie kann kaum sinnvoll in die Region reisen, weil sie als EU-Vertreterin gar keine Basis dafür hat: Es fehlt eine gemeinsame Position.

Aber wie könnte eine gemeinsame Position der Europäer aussehen? 
Deutschland tritt ja erfreulicherweise für Mehrheitsentscheidungen in der EU-Außenpolitik ein. Eine Mehrheitsentscheidung in Sachen Israel wäre wahrscheinlich eine, mit der sich die Bundesrepublik sehr schwertun würde. Wenn Sanktionen oder ähnliche Maßnahmen beschlossen werden, muss ein Land wie Deutschland die Möglichkeit zu einem sogenannten "Opt-Out" haben. Das bedeutet: Ja, wir tragen zwar die gemeinsame EU-Politik mit, werden uns aber an der Umsetzung nicht selbst beteiligen. Solche Ausnahmen konnten andere Staaten in anderen Situationen auch immer wieder in Anspruch nehmen. Das wäre also nichts prinzipiell Neues.  Deutschland könnte so seiner spezifischen Israel-Politik – Stichwort Staatsräson – im Prinzip treu bleiben, ohne eine klare Position der EU, 450 Millionen Menschen vertretend, verhindern zu wollen. Im Übrigen zeigt die aktuelle Entscheidung der Bundesregierung zum Lieferstopp von Waffen, die Israel im Gaza-Krieg einsetzen könnte, dass Deutschland in den grundlegenden Fragen nicht weit entfernt ist von der Linie der Europäer.

Der Iran nach dem Krieg Wofür mussten Parnia Abassi und ihre Familie sterben?

Wie wird denn das Agieren der Europäer in dieser Frage international gesehen?
Da sehen wir einen riesigen Glaubwürdigkeitsverlust. Der Rest der Welt hat sich lange Jahre anhören dürfen, dass wir Europäer die Champions der Menschenrechte sind. Wir haben Institutionen wie den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag maßgeblich mit auf den Weg gebracht. Jetzt sehen wir, von außen betrachtet, eher schwach aus. Das kleine Katar scheint bei vielen Themen einschließlich Geiselbefreiung eine sichtbarere Rolle zu spielen als die gesamte und ja doch so mächtige Europäische Union. Das kommt hinzu zu den anderen Bereichen, in denen die EU im Augenblick schwach aussieht, in der Handelspolitik, bei Künstlicher Intelligenz, bei militärischer Leistungsfähigkeit. Wir haben eine Schwächephase Europas. Sie zu überwinden, darin sehe ich die große Zukunftsaufgabe der neuen Bundesregierung, gemeinsam mit unseren wichtigen Nachbarn und Partnern. 

Herr Ischinger, und wo bleibt in dieser Woche das Positive? 
Unterm Strich ist es doch erfreulich, dass ein veritabler Handelskrieg mit dem handelskriegfreundlichen Donald Trump vermieden werden konnte. Es ist zwar noch nicht alles in trockenen Tüchern, es ist auch nicht alles wirklich erfreulich, aber zumindest weiß unsere Wirtschaft, in welche Richtung wir den transatlantischen Handel betreiben können. Das ist angesichts der geopolitischen Großwetterlage doch relativ positiv.   

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