Danke, Frauke Brosius-Gersdorf!
"Nach reiflicher Überlegung stehe ich für die Wahl als Richterin des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr zur Verfügung." Mit diesem Satz beginnt die Erklärung, die Frauke Brosius-Gersdorf am Donnerstag verschicken ließ. Der letzte Satz lautet: "Ihnen allen sei versichert, dass ich mich weiterhin für die Werte unseres wunderbaren Grundgesetzes einsetzen werde."
Es ist das finale Zeugnis eines Scheiterns – aber vor allem eines möglichen Neuanfangs. Dank der Rechtsprofessorin aus Potsdam bekommen der CDU-Kanzler und sein Fraktionschef eine zweite Chance. Sie sollten, sie müssen sie nutzen.

Bundesverfassungsgericht Brosius-Gersdorf zieht Kandidatur zurück – Unmut in der SPD über Union
Das Scheitern des Jens Spahn
Denn gescheitert ist ausdrücklich nicht Brosius-Gersdorf. Gescheitert und blamiert sind Friedrich Merz und Jens Spahn. Sie hatten die Wahl von Brosius-Gersdorf mit der SPD verabredet und im zuständigen Parlamentsausschuss mitgetragen. Erst Tage danach fiel ihnen auf, dass ein größerer Teil der eigenen Abgeordneten damit Probleme hatte – und zogen ihre Zustimmung zurück.
Im Ergebnis wurde erstmals eine Richterwahl im Bundestag abgesagt. Der Großeklat führte zur ersten schweren Krise der noch jungen Koalition. Und er drohte, gleich drei Verfassungsorgane zu beschädigen: das Parlament, die Bundesregierung und das Karlsruher Gericht.
All dies erhöht die jetzige Entscheidung von Brosius-Gersdorf zu einer staatstragenden Handlung. Dass der Verzicht machtpolitisch alternativlos wirkt, schmälert ihn ebenso wenig wie die neuerliche Kritik, die Brosius-Gersdorf an der CDU, CSU und Teilen der Medien übt.

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Jetzt bitte richtig machen
Merz, Spahn und die versammelte Union sollten deshalb das sagen, was zu sagen ist: Danke, Frauke Brosius-Gersdorf! Denn dank ihres strategischen Rückzugs können sie jetzt das tun, was sie vorher nicht vermochten: Sie können es richtig machen.
Richtig machen bedeutet, die eigene Partei mitzunehmen. Kluge Absprachen zu treffen, vor allem: sich daran zu halten und nicht einzuknicken, wenn mal ein Windchen weht. Kurzum: Führung zu zeigen.
Die Richterwahl wird jetzt zwar einfacher. Aber sie wird bestimmt nicht leicht. Schließlich scheiterte Brosius-Gersdorfs Kandidatur nicht bloß an individuell begründbaren Bedenken einiger Unionsabgeordneter, sondern daran, dass sich noch mehr ihrer Kollegen von einer Kampagne ultrarechter Propagandisten und AfD-Politiker beeindrucken ließen.
Diese Kampagne ist nicht vorbei. Ganz im Gegenteil. Nachdem die erste "linke Aktivistin" erledigt ist, soll gleich die nächste fertiggemacht werden.
Die Vorwürfe gegen die SPD-Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold sind ähnlich konstruiert wie jene gegen Frauke Brosius-Gersdorf: So wird aus der Münchner Jura-Professorin eine "Enteignungsbefürworterin" gemacht, nur weil sie als Expertin in einer Kommission saß, die prüfen sollte, inwieweit sich Wohnungskonzerne grundgesetzestreu vergesellschaften ließen.
Die AfD gibt sich kampfbereit. Man müsse sich "verstärkt mit der Personalie Kaufhold befassen und auch hier klarmachen, dass sie vollkommen untragbar ist", verlautbarte Bundesvize Stephan Brandner. Das Aus für Brosius-Gersdorf sei nur erster und "kleiner Sieg".

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Die Union sollte von Frauke Brosius-Gersdorf lernen
Die Unionsfraktion darf sich davon nicht noch einmal kirre machen lassen. Sie muss jetzt genauso zu Kaufhold halten wie zu ihrem eigenen Kandidaten Günter Spinner. Die SPD wiederum steht in der Verantwortung, nicht nachzutreten und stattdessen einen mehrheitsfähigen Personalvorschlag zu unterbreiten.
Am Ende sollte Spahn zudem das tun, was er schon nach der im ersten Versuch gescheiterten Kanzlerwahl tat – und mit Heidi Reichinnek reden. Denn ohne die Stimmen der Linksfraktion behält die AfD ihr Potenzial zur Destruktion.
Ein solches Vorgehen wäre nicht nur politisch klug, sondern so, wie Frauke Brosius-Gersdorf gehandelt hat. Es wäre staatstragend.
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- Ann-Katrin Kaufhold
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