Seit Anfang der Woche protestieren tausende Menschen in der Ukraine gegen Wolodymyr Selenskyj. Worum geht es bei dem Protest? Und kann er dem Präsidenten gefährlich werden?

Es sind die größten Proteste in der Ukraine seit der russischen Invasion im Februar 2022. Seit Anfang der Woche gehen in den großen Städten und insbesondere in der Hauptstadt Kiew tausende vor allem junge Menschen auf die Straße. Sie demonstrieren gegen ein neues Gesetz, das Präsident Wolodymyr Selenskyj im Eiltempo durch das Parlament gedrückt und unterzeichnet hat. Damit war es gleich nach der Veröffentlichung gültig. Kritiker werfen ihm vor, Selenskyj reiße immer mehr Macht an sich. 

Worum geht es bei dem Gesetz?

Einfach ausgedrückt: Selenskyj krempelt mit der Gesetzesnovelle den Kampf gegen Korruption auf links. Nach der Maidan-Revolution 2014 und dem Sturz des russlandnahen Präsidenten Janukowytsch drängten die westlichen Partner auf eine härtere Bekämpfung der Korruption in der Ukraine und stellten damit unausgesprochen eine Bedingungen für mögliche Verhandlungen über einen EU-Beitritt.

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Hierzu wurden zwei autonome Behörden gegründet: Das Antikorruptionsbüro NABU und die Spezial-Staatsanwaltschaft zur Korruptionsbekämpfung SAP. Die Idee dabei: Durch die Unabhängigkeit sollte sichergestellt werden, dass die Behörden nicht von Regierungen ausgenutzt werden. 

Nun aber hat Wolodymyr Selenskyj mit seinem neuen Gesetz verfügt, dass beide autonomen Behörden dem Generalstaatsanwalt unterstellt werden – und damit ihm, beziehungsweise seiner Regierung. 

Das bedeutet: Das Gesetz erlaubt es dem Generalstaatsanwalt, Behördenmitarbeitern Anweisungen zu erteilen, Unterlagen anzufordern, Fälle zu entziehen und an andere Stellen zu übergeben, wenn er die Ermittlungen der Antikorruptionsbehörde für ineffektiv hält. Er kann auch Verfahren gegen hochrangige Beamte, darunter auch gegen den Präsidenten und die Mitglieder der Regierung, einstellen lassen. Pikanter Beigeschmack: Selenskyj hat besagten Generalstaatsanwalt erst vor kurzem berufen.

Warum hat Selenskyj das Gesetz geändert?

Der ukrainische Präsident begründet das neue Gesetz praktisch einzig mit einer Vermutung: Es gebe Anhaltspunkte dafür, dass Russland versuche, Einfluss auf die Behörden auszuüben. Angeblich über Spione und Agenten. Als diese doch sehr dünne Argumentation öffentlich wurde und sowohl die Behörden selbst, als auch Externe dagegen protestierten, erklärte Selenskyj, die Institutionen arbeiteten zudem zu ineffektiv. Das werde das neue Gesetz beheben.

Welche Kritik gibt es an dem Gesetz?

Die Kritik ist vielschichtig und richtet sich nicht nur an das Gesetz an sich, sondern auch dem Vorgehen von Selenskyj, es im Eiltempo durch das Parlament getrieben und sogleich unterschrieben und damit in Kraft gesetzt zu haben, ohne sich ernsthaft mit Widerspruch auseinander zu setzen. 

Kritiker in der Ukraine werfen Selenskyj vor, das Gesetz zu seinem eigenen Machterhalt nutzen zu wollen. Bei den Demonstrationen waren Schilder zu sehen, etwa mit Aufschriften wie "Haben wir denn wieder 2014?" und Vergleichen zwischen Selenskyj und Janukowytsch.

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Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko nahm an einer Demonstration gegen das Gesetz teil. Auf Telegram erklärte er, er unterstütze die Protestler "voll und ganz". Unabhängige Einrichtungen müssten unabhängig bleiben, so Klitschko weiter. Der ehemalige Box-Weltmeister liegt seit langer Zeit im Clinch mit Selenskyj. Er wirft dem Präsidenten vor, immer autoritärer aufzutreten.

Doch auch international wächst der Druck auf Selenskyj. EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos warnte Kiew und erklärte auf X, das neue Gesetz sei ein "ernsthafter Rückschritt" auf dem Weg zu einem EU-Beitritt. Rechtsstaatlichkeit und unabhängige Behörden im Kampf gegen die Korruption blieben "im Mittelpunkt der EU-Beitrittsverhandlungen".

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Bundesaußenminister Johann Wadephul unterstützte die Kritik aus Brüssel. Er erklärte: "Das neue Gesetz belastet den Weg der Ukraine in die EU". Er erwarte von der Ukraine die "konsequente Fortsetzung der Korruptionsbekämpfung". Ähnlich äußerte sich auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Wie geht es in der Ukraine jetzt weiter?

Zunächst bleibt festzuhalten: Das Gesetz ist von Selenskyj unterzeichnet und damit rechtsgültig. Als die Kritik und die Proteste hochkochten, versuchte er die Wogen zu glätten und erklärte, er habe Gespräche mit den Leitern der Behörden geführt. Dabei sei die Ausarbeitung eines "Aktionsplans" beschlossen worden, um bestehende Probleme zu lösen. 

Zudem kündigte er an, dem Parlament einen weiteren Gesetzesentwurf vorlegen zu wollen, der Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Antikorruptionsbehörden sicherstellen soll. Ob das die Demonstranten beruhigt, ist fraglich. Noch sind die Demonstrationen zu klein, um Selenskyj gefährlich zu werden. Laut "tagesschau.de" wird aber erwartet, dass die Straßenproteste in den kommenden Tagen eher noch größer werden.

Mit Material der Nachrichtenagenturen DPA, AFP und Reuters

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