Die Bundesregierung schiebt nach Afghanistan ab und lässt zugleich Menschen mit Aufnahmezusage hängen. Eva Beyer von "Kabul Luftbrücke" spricht von "psychischer Folter".

Vergangene Woche hat Deutschland 81 Menschen nach Afghanistan abgeschoben, Dienstag ist ein Abschiebeflug in den Irak gestartet. Aber was ist mit den Menschen aus Afghanistan, die mit einer Aufnahmezusage in Pakistan auf ihren Flug nach Deutschland warten? Zumeist handelt es sich um afghanische Ortskräfte und ihre Angehörigen – also Afghanen, die etwa für die Bundeswehr oder deutsche Institutionen tätig waren und die das nun in ihrer Heimat unter der Herrschaft der Taliban in Gefahr bringt.

Auf stern-Anfrage, was das Auswärtige Amt konkret wegen dieser etwa 2400 Menschen unternimmt, heißt es von dort: "Mit Blick auf den Koalitionsvertrag, der eine Beendigung freiwilliger Aufnahmeprogramme so weit wie möglich vorsieht, befindet sich die Bundesregierung in einer fortgesetzten Prüfung, wie dies für Aufnahmeverfahren aus Afghanistan umgesetzt wird." 

Exklusiv: Afghanistan Die, die übrig blieben

Eva Breyer von der "Luftbrücke Kabul" setzt sich für die Interessen der Wartenden ein. Wir haben sie nach ihrer Sicht der Lage gefragt.

Frau Breyer, einen Abschiebeflug nach Kabul oder in den Irak bekommt die Bundesregierung unter Friedrich Merz organisiert. Aber wie geht es den Menschen aus Afghanistan, die trotz Aufnahmezusage aus Deutschland in Pakistan ausharren?
Die Familien – überwiegend Frauen und Kinder – sitzen schon sehr lange in Pakistan fest. Seit Monaten, teilweise schon seit zwei Jahren, harren sie in Gästehäusern der GIZ aus ("Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit", das Entwicklungshilfe-Unternehmen der Bundesregierung, Anm. d. Red.) – ohne zu wissen, wie es weitergeht. Diese Ungewissheit ist für die Menschen wie psychische Folter, denn für viele von ihnen gibt es keinen Weg zurück. Gleichzeitig droht täglich die Abschiebung durch pakistanische Behörden, denn viele halten sich inzwischen ohne gültige Aufenthaltserlaubnis in Pakistan auf. Ihre Visa sind abgelaufen, Verlängerungen werden zurzeit nicht ausgestellt. Mehr als 50 Personen wurden in den letzten Wochen verhaftet und sind nun nahe der afghanischen Grenze untergebracht – wie es für sie weitergeht, ist ungewiss.

Unter denen, die eine Zusage für die USA haben, gab es bereits Suizide. Bei denen mit Ziel Deutschland noch nicht. Aber die Verzweiflung ist groß. Viele Betroffene würden eine Abschiebung nach Afghanistan nicht überleben.

Wollen Sie nichts mehr vom stern verpassen?

Persönlich, kompetent und unterhaltsam: Chefredakteur Gregor Peter Schmitz sendet Ihnen jeden Mittwoch in einem kostenlosen Newsletter die wichtigsten Inhalte aus der stern-Redaktion und ordnet ein, worüber Deutschland spricht. Hier geht es zur Registrierung.

Eine afghanische Familie hat mithilfe der "Kabul Luftbrücke" erfolgreich auf die Erteilung eines Visums geklagt.
Heute kam die Nachricht, dass die Regierung Beschwerde eingelegt hat und wir vor das Oberverwaltungsgericht gehen. Nun hat das Auswärtige Amt erneut zwei Wochen Zeit, dies zu begründen. Das Auswärtige Amt hat die Frist so weit wie möglich ausgenutzt und kauft sich Zeit – auf Kosten der Klägerin und ihrer Familien, denen in Pakistan die Abschiebung droht.

Wie viele ähnliche Verfahren sind gerade noch offen?
Wir haben insgesamt bereits über fünfzig Klagen eingereicht, weitere sind in Vorbereitung.

Das Leben der versteckten Frauen in Afghanistan

Singen, Tanzen – unter den Taliban ist das alles verboten. Nur in ihren eigenen Wohnungen können sich Frauen halbwegs unbeobachtet bewegen und auch mal feiern. Hier feiern Mädchen den Geburtstag einer Freundin. Sollten sie erwischt werden, droht eine Gefängnisstrafe © Kiana Hayeri / Fondation Carmignac
Zurück Weiter

Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten der noch offenen Verfahren ein?
Das Verwaltungsgericht hat unsere Argumentation umfassend bestätigt: Die Aufnahmezusagen sind rechtlich verbindlich, die Bundesregierung muss sich daran halten – und sie darf nicht das gesamte Programm einfach aussetzen, weil es ihr politisch missfällt. Der Beschluss ist nicht nur eine Einzelfallentscheidung, denn das Gericht sagt grundsätzlich und mit Blick auf alle Menschen mit einer deutschen Aufnahmezusage: Die Bundesregierung ist rechtlich verpflichtet, die Zusagen umzusetzen, und zwar schnell. Was uns außerdem Hoffnung macht: Ende vergangener Woche hat eine andere Kammer ein zweites Verfahren ebenfalls zugunsten der klagenden Familie entschieden.

Bis April 2024 hat die Bundesregierung nach eigenen Angaben 33.200 besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen nach Deutschland geholt. Was ist seitdem passiert?
Bereits die CDU-geführte Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel hatte im Sommer 2021 40.000 Aufnahmezusagen erteilt. Die Umsetzung fiel dann der Ampel-Koalition zu. Sonderlich motiviert, die Aufnahmezusagen umzusetzen, war aber auch die Ampel-Regierung nicht. 

Nach Afghanistan-Abschiebungen Taliban schicken erstmals Konsular-Mitarbeiter nach Deutschland

Das Bundesaufnahmeprogramm wurde erst im Oktober 2022 in Ergänzung zu den bereits bestehenden Aufnahmezusagen mit Zustimmung der damaligen Oppositionspartei CDU aufgesetzt. Laut eigener Zielsetzung sollte das Bundesaufnahmeprogramm bis zu 1000 Personen pro Monat eine sichere Aufnahme nach Deutschland gewähren. Nach 30 Monaten Laufzeit wurden aber nur insgesamt 3000 Aufnahmezusagen vergeben – und knapp die Hälfte dieser Menschen sitzt weiterhin in Pakistan fest.  

Was macht die Kabul Luftbrücke momentan?
Bis Anfang 2025 haben wir noch Transporte von Kabul nach Islamabad organisiert für Schutz suchende Menschen mit deutscher Aufnahmezusage. Dabei haben wir hauptsächlich allein reisende Frauen und Kinder unterstützt, die das Land sonst nicht hätten verlassen können. Inzwischen bieten wir vor allem juristische Unterstützung an: Zugang zu Anwälten oder Hilfe bei Klageverfahren.

Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, man prüfe auch für Afghanistan, wie das freiwillige Aufnahmeprogramm beendet werden kann. Überrascht Sie das?
Nein, faktisch ist es schon seit Juli 2024 beendet. Seitdem gab es keine neuen Aufnahmezusagen mehr.

  • Afghanistan
  • Aufnahmezusage
  • Deutschland
  • Bundesregierung
  • Pakistan

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke