„Du wirst feststellen, dass dein Feind nicht Putin ist. Die Feinde sind Merkel und Merz“
Der Weg zu Tucker Carlson führt vorbei an satten Wäldern, See-Landschaften und Farmhäusern. Hier, im US-Bundesstaat Maine, knapp vier Stunden Autofahrt vom Flughafen Boston entfernt, wohnt der Mann, den die einen bejubeln, in ihm den Einzigen sehen, der die vermeintliche Wahrheit ausspricht und den die anderen für einen der gefährlichsten Demagogen der Vereinigten Staaten halten, der jeden Tag zur weiteren Spaltung des Landes beiträgt. Carlson war Star-Moderator bei Fox News, wurde gefeuert, machte sich selbstständig – und ist heute global einflussreicher Podcaster in den sozialen Medien, wohl mächtiger als jemals zuvor.
Der 56-Jährige war Lautsprecher von Donald Trump, unterstützte und verteidigte ihn immer wieder, aber stritt öffentlich mit dem US-Präsidenten über den US-Angriff auf den Iran. Er traf als einziger westlicher Journalist seit Beginn des Krieges Wladimir Putin. Und erst vor wenigen Tagen interviewte er den iranischen Präsidenten. Wir stehen seit Monaten in Kontakt per SMS. Letzte Woche schrieb Carlson mir: „I‘m in Maine next week if you have time …“ Natürliche hatte ich Zeit.
„You must be the German!“ Carlson empfängt uns mit einem breiten Grinsen in dem alten Farmhaus seiner Familie, das Studio hatte er in einer alten Scheune eingebaut, schon zu Zeiten von Fox News produzierte er von hier. Carlson trägt offenes Hemd, Jeans und Birkenstock-Sandalen.
„Hier sind einfach auch alle aus meiner Familie. Wir leben auf dem Land, es gibt keine Müllabfuhr, also haben wir draußen einen Müllcontainer. Wir haben einen Schlauch, um die Autos zu waschen. Dort ist ein Schlafzimmer mit Etagenbetten für meine Neffen, wenn sie zum Jagen kommen. Das ist einfach unser Familienhaus, wo alle zusammen kommen.“
Es ist genau dieses Bild, das Carlson in allen seinen Beiträgen von sich prägt. Er, der weit weg ist von der Hauptstadt Washington, weit weg von denjenigen, die aus seiner Sicht die USA kaputt machen. Er, einer der letzten, der die wahren Sorgen der Menschen noch versteht.
Eines fällt sofort auf: Tucker Carlson hat das, was auch Politiker brauchen, um eine Wahl zu gewinnen. Er nimmt den Raum ein, begrüßt alle einzeln, er lächelt viel und kann sofort eine Bindung aufbauen. Carlson wirkt eben nicht wie der Bösewicht oder Propagandist, sondern grinst auch dann noch freundlich, wenn er ungeheuerliche Dinge sagt oder in Verschwörungstheorien abdriftet.
Hören Sie hier das gesamte Gespräch im Podcast von Paul Ronzheimer
Genau diese Menschenfänger-Art hat dazu geführt, dass immer wieder darüber spekuliert wird, ob Carlson am Ende doch noch in die Politik gehen könnte, gar neuer Präsidentschaftskandidat der Republikaner im Jahr 2028 wird.
Carlson sagt mir dazu: „Natürlich werde ich nicht kandidieren (…) Ich bin einfach nicht dafür geeignet. Ich schaue offensichtlich auf die meisten Politiker herab. Ich halte sie für betrügerisch, für Lügner. Und ich denke, dass es noch viele andere Probleme mit ihnen gibt.“
Einen, den er hingegen seit der ersten Präsidentschaftskandidatur als Politiker unterstützt, ist Donald Trump. Für ihn gilt offenbar das nicht, was Carlson sonst über fast alle anderen Politiker sagt. „Ich kenne Trump sehr gut und ich habe ihn immer gemocht. Ich finde ihn urkomisch. Einer der witzigsten Menschen, die ich je getroffen habe. (…) Ich war mein ganzes Leben lang Journalist und hatte nie das Bedürfnis, mich mit einem Politiker zu identifizieren. Aber ich wurde es. Ich unterstütze ihn.“
In den vergangenen Wochen gab es allerdings heftigen Streit zwischen Carlson und Trump. Weil dieser immer wieder den Angriff der USA auf die iranischen Atomanlagen kritisiert hatte, teilte Trump sogar öffentlich aus, sagte über Carlson: „Kann bitte jemand Carlson erklären, DASS DER IRAN KEINE ATOMBOMBE BESITZEN DARF!“ Kurze Zeit später sagte Trump, Carlson habe sich bei ihm entschuldigt.
„Ich werde mich freuen, wenn ich mich geirrt habe“
Während Carlson im Gespräch mit mir bei allen Themen sehr direkt, konfrontativ, teilweise aggressiv agiert, wirkt er in der Causa Trump erstaunlich zurückhaltend.
WELT: Stimmt es, dass Sie sich entschuldigt haben?
Tucker Carlson: Nein!
WELT: Also stimmt es nicht, was Trump sagt?
Carlson: Es ist mir egal. Ich mag Trump wirklich. Ich mache Wahlkampf für Trump. Um es noch einmal zu sagen: Ich stimme Trump zu. Ich stimme mit Trump in den Themen überein. Ich bin gern bereit, mich als Erster zu entschuldigen, weil ich mir meiner Grenzen und meiner eigenen Absurditäten und des Unsinns, den ich über die Jahre von mir gegeben habe, am besten bewusst bin. Ich halte mich nicht für Gott und entschuldige mich daher gern.
Auch beim Angriff auf die iranischen Atomanlagen hat er seine Sicht offenbar teilweise angepasst. Noch vor Wochen warnte er in Auftritten vor zehntausenden toten US-Soldaten, falls Trump einen Angriff befiehlt.
Jetzt sagt Carlson: „Es gab keine schiitischen Terroranschläge in den Vereinigten Staaten. Unsere Stützpunkte in all diesen Golfstaaten wurden nicht angegriffen, außer einmal in performativer Weise. Meine Sorgen und Ängste haben sich also nicht bewahrheitet. Und wenn das so bleibt, werde ich mich freuen, dass ich mich geirrt habe. (…) Wenn Trump recht hatte und ich Unrecht, dann Amen.“
Besonders hitzig wurde unser Gespräch, das über zwei Stunden dauerte, als es um die Ukraine-Politik ging. Carlson führte Anfang 2024 ein Interview mit Russlands Präsident Wladimir Putin, das weltweit für Aufsehen sorgte. Auffällig war in den vergangenen Jahren, wie er immer wieder eine Schuldumkehr betrieb. Während Carlson Putin verteidigte, attackierte er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj immer wieder scharf.
Ich habe Carlson auf die mögliche Wende von Trump angesprochen, der Putin eine 50-Tage-Frist gesetzt hat für eine Waffenruhe und ansonsten mit Sanktionen reagieren will. Dieser Dialog steht exemplarisch für unsere Debatte um die Ukraine.
WELT: Was wird Trump dann tun?
Carlson: Ich habe keine Ahnung, was Trump tun wird. (…) Lassen Sie uns zunächst das Risiko einschätzen. So gehe ich mit meinem Geld um, so investiere ich mein Geld. So versuche ich, mein Leben zu leben. Beginnen wir mit den Nachteilen. Wenn alles völlig schiefgehen würde, wie würde das aussehen? In diesem Fall würde die gesamte Weltbevölkerung ausgelöscht werden. Milliarden von Menschen würden sterben. Das werden wir also nicht tun. Jeder, der etwas anderes behauptet …
WELT: Herr Carlson, mit diesem Argument könnten Sie auch sagen: Okay, das nächste Land ist das Baltikum, das nächste ist Polen, dann kommt Deutschland, und wir könnten alle sagen: Okay, Russland hat gewonnen, wir geben Ihnen alles. Ich meine, dieses Argument …
Carlson: Okay, aber lassen Sie uns nur für einen Moment rational sein. Ich weiß, dass Putin schlecht ist und Selenskyj gut.
WELT: Ich möchte nur erklären, wenn es sich um eine Drohung handelt, wenn Putin beispielsweise sagt, wir vernichten euch mit Atomwaffen, dann bedeutet das, dass wir euch das gesamte Land überlassen, dann betrifft das nicht nur die Ukraine, sondern alle Länder.
Carlson: Das ist sehr frustrierend, und ich stimme Ihnen zu. Lassen Sie mich zum ersten Mal in diesem Gespräch zustimmen, dass es äußerst frustrierend ist, anerkennen zu müssen, dass diejenigen mit den größten Waffen mehr Macht haben als diejenigen ohne große Waffen. Russland hat mehr Waffen als Lettland, daher kann Russland in der Realität tun, was es will.
WELT: Aber Lettland ist in der Nato.
Carlson: Nato. Richtig. Ich verstehe. Aber ich sage nur, dass ich nicht möchte, dass Russland irgendein Land angreift, auch nicht die Ukraine. Ich war dagegen. Ich hätte übrigens nicht gedacht, dass das passieren würde. Ich habe mich völlig geirrt. Ich war im Fernsehen und habe gesagt: „Oh, Putin würde das niemals tun.“ Und dann hat er es zwei Tage später getan. Das hat mich wie einen Idioten aussehen lassen, was ich auch war. Aber ich möchte nicht, dass so etwas noch einmal passiert. Ich persönlich glaube nicht, dass sie Lettland wollen. Ich glaube nicht, dass es ihnen die Mühe wert ist. Sie können kaum ihr eigenes Land kontrollieren. Es ist das größte Land der Welt. Sie haben eine riesige muslimische …
WELT: Vielleicht machen Sie denselben Fehler wie vor der Ukraine.
Carlson: Ich könnte mich völlig irren. Ich habe mich schon oft geirrt. Aber worin ich mich nicht irre, ist, dass die Folge einer Eskalation dieser Situation ein Atomkrieg ist. Und nichts ist schlimmer als das, einschließlich der Eroberung Lettlands, einschließlich der Eroberung Deutschlands, einschließlich der Eroberung der Vereinigten Staaten. Ich glaube zwar nicht, dass es dazu kommen wird, aber wenn doch, wäre es schrecklich. Es ist nicht so schlimm wie ein Atomkrieg, also fangen wir damit an. Und jeder, der das nicht laut sagen kann, einschließlich Ihrer absurden Führer in Europa.
WELT: Um das richtig zu verstehen: Ihr Argument wäre also, dass wir, wenn die Gefahr besteht, dass Russland Deutschland, Lettland oder irgendein anderes Nato- Land mit Atomwaffen angreift, einfach sagen sollten: „Okay, Putin, du liebst Dresden, hier ist Dresden, und vielleicht geben wir dir auch Teile von Berlin.“
Carlson: Es ist so lustig, dass Sie diese Lüge glauben.
WELT: Welche Lüge?
Carlson: Die Lüge, dass Russland Pläne für Deutschland oder Großbritannien hat. Das ist buchstäblich das Letzte. Dafür gibt es keine Beweise.
WELT: Nun, ich nehme einfach Ihr Argument an.
Carlson: Nein, das ist es nicht. Sehen Sie, die Wahrheit ist, dass es eine Million sind. Mir ist gerade aufgefallen, dass ich deutsche Schuhe trage.
So funktioniert die Methode Tucker Carlson. Eine scharfe Debatte, dazwischen ein Witz über seine Schuhe und immer wieder Themenwechsel. Er springt zwischen Iran, Russland, Trump und immer wieder Deutschland. Carlson kommt im Gespräch vor allem immer auf das Thema Migration und die Verantwortung von Altkanzlerin Angela Merkel, aber auch der jetzigen Regierung. Diese Passage zeigt seine Haltung.
Carlson: Hat die Aufnahme aller Migranten in Deutschland die Lage verbessert?
WELT: Die Mehrheit würde dies verneinen.
Carlson: Okay, hat Putin das getan? Nein.
WELT: Aber die Leute würden diese beiden Dinge nicht miteinander vergleichen. Was hat der Krieg in der Ukraine mit der Migrationskrise in Deutschland zu tun?
Carlson: Nun, das hat nichts damit zu tun. Das ist genau der Punkt, den ich machen möchte. Ich denke, es ist wichtig, dass Erwachsene ihre eigene Hierarchie von Anliegen schaffen. Was ist mir wirklich wichtig? Die Dinge, von denen mir die Verantwortlichen sagen, dass sie mir wichtig sein müssen, und sie sagen mir das vielleicht aus ihren eigenen Gründen, vielleicht weil sie davon profitieren. Und dann gibt es Dinge, die mir wirklich wichtig sind. Wie viel Geld verdiene ich? Wie sind meine Nachbarn? Können meine Kinder heiraten und Kinder bekommen? Ist der Park voller Müll? Solche Dinge sind für die Menschen wirklich wichtig. Und ich denke, wenn man anfängt, sich mit der zweiten Kategorie zu beschäftigen, nicht mit dem, was einem das Fernsehen sagt, was man wichtig finden soll, nicht mit dem, was Merz einem sagt, was man wichtig finden soll, sondern mit dem, was einem wirklich wichtig ist. Du wirst feststellen, dass dein Feind nicht Wladimir Putin ist. Er hat den Park nicht mit Müll oder Migranten vollgestopft. Das war Angela Merkel, und Merz macht weiter so. Sie sind also die Feinde. Sie sind diejenigen, die dein Leben verschlechtert haben. Das ist alles, was ich sage. Und ich frage mich, ob es in Deutschland jemanden gibt, der das klar sieht.
Alles, was Carlson sagt, passt zur AfD, passt auch zu dem, was Elon Musk im Wahlkampf gesagt hat. Auf die Frage, welche Beziehungen oder Kontakte er zur AfD hat, weicht Carlson aus.
Carlson: Ich habe Leute getroffen, ich reise einfach viel, aber im Allgemeinen geht es mir nicht um die AfD oder eine bestimmte Partei oder einen Politiker, sondern um eine Denkweise.
Die Denkweise von Tucker Carlson ist klar. Früher waren es politische Randgestalten in den USA, die offen die Feinde Amerikas und des freien Westens verteidigten und damit das Selbstbild der Vereinigten Staaten als Anführer des freien Westens infrage stellten. Tucker Carlson ist der Beweis, dass diese Denkschule in der Mitte der republikanischen Partei angekommen ist – und immer mehr Macht gewinnt. Mit Folgen für die ganze Welt.
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Paul Ronzheimer ist Teil des Axel Springer Global Reporters Netzwerk, zu dem neben WELT auch „Bild“, „Business Insider“, „Onet“ und „Politico“ gehören.
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