Und was ist mit dem Osten, Herr Bundeskanzler?
Washington D.C. und Warschau. Aachen und Arnsberg. Dazu noch Paris, Rom, Vilnius, Turku, Tirana und natürlich: Berlin, Berlin, Berlin ...
Der Bundeskanzler aus dem Sauerland ist in seinen gut 70 Tagen im Amt ganz gut herumgekommen. Diese Woche stapfte er im warmen Mantel auf der Zugspitze mit seinem fränkischen Männerfreund Markus Söder durch den Nebel. Und nächste Woche wird er zum Antrittsbesuch bei der Landesregierung in Hannover erwartet.
Danach, so sieht es jedenfalls im Terminkalender aus, sind Ferien bei Kanzlers. Muss auch mal sein.
Komisch nur: In einer Region war Merz als Kanzler noch nicht. Dort, wo er einst die AfD halbieren wollte. Dort, wo seine Partei ohne Mehrheit oder mit der Linke-Abspaltung BSW regiert. Dort, wo einem Politiker trotz Sommerhitze der Wind gar schaurig ins Gesicht blasen kann.
Eine Nachfrage bei den betroffenen Staatskanzleien ergab: In diesem Sommer wird der Kanzler in jenen fünf Ländern, die 1990 dem Wirkungsbereich des Grundgesetzes beitraten, offenbar nicht mehr vorbeischauen.

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Friedrich Merz hat andere, höhere Prioritäten. Die Weltpolitik! Der Haushalt! Die Wahl der Bundesverfassungsri... Okay, das war jetzt kein gutes Beispiel.
Wahrscheinlich ist an dieser Gewichtung überhaupt nichts komisch. Dass Merz mit Ostdeutschland nichts anfangen kann, ist keine neue Erkenntnis, sondern seine Regierungspolitik. Im Koalitionsvertrag, der immerhin 144 Seiten zählt, wird gerade einmal siebenmal auf jenen Teil der Republik Bezug genommen, den ältere Menschen in der älteren Bundesrepublik gerne noch die "ehemalige DDR" nennen. In der Generaldebatte zum Haushalt erwähnte er den Osten ebenso wenig wie im jüngsten ARD-Sommerinterview.
Friedrich Merz und Wilhelm II.
Nun ließe sich vielleicht einwenden, dass Friedrich Merz der erste Kanzler ist, der die Wiedervereinigung wirklich leben will. Ähnlich wie einst Wilhelm II. könnte er sagen: "Ich kenne keine Ost- und Westdeutschen mehr! Ich kenne nur noch Deutsche!" Die identitätspolitische Teilung unseres Vaterlandes muss enden!
Dagegen spricht allerdings die westöstliche Wirklichkeit: bei der Wirtschaftsleistung, der Vermögensverteilung, der demografischen Entwicklung, allen sozialen Kerndaten – und dem Abstimmungsverhalten. In gut einem Jahr werden die Landtage von Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern neu gewählt. Vor allem die Magdeburger Staatskanzlei steht in der Gefahr, von der AfD erobert zu werden.
Immerhin scheint im Kanzleramt ein gewisses Problembewusstsein zu existieren. Denn es gibt Reisepläne. Ende September wird Merz in Thüringen zur Ost-Ministerpräsidentenkonferenz (ja, die gibt's auch noch) erwartet. Und bei der sächsischen Landesregierung ist ein Antrittsbesuch Ende Oktober im Gespräch. Auch aus Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern heißt es, dass etwa in diesem Zeitraum der Kanzler erwartet werde.
Die östliche Herbstoffensive dürfte auch damit zu tun haben, dass sich am 3. Oktober die Deutsche Einheit zum 35. Mal jährt – die Jubiläumsrotation aber den Festakt in Saarbrücken stattfinden lässt. Zumindest geografisch geht es kaum westlicher.

Bundespräsident Kommt da noch was, Herr Steinmeier?
Keine Idee für den Osten
Am Ende werden auch die Besuche in Weimar, Dresden oder Magdeburg nicht überdecken, dass dieser Kanzler bislang keinerlei Idee hat, was er mit Ostdeutschland anfangen soll. Er trifft ja noch nicht einmal den richtigen Ton.
Als er im Mai 2024, da war er noch Oppositionsführer, in der ARD auf die mehrheitliche Ablehnung der deutschen Ukraine-Politik in Sachsen oder Brandenburg angesprochen wurde, sagte er: "Man muss im Osten mehr erklären als im Westen, das ist wahr. Aber ich tu's gern."
Und weil Merz so schön im Schwung war, setzte er fort: "Und ich will auch immer wieder sagen: Ich fahr' da richtig gerne hin, ich bin da gern. Ich fühle mich da auch persönlich wohl, weil die Diskussionen dort sind anders, aber sie machen auch Freude."
Einmal abgesehen davon, dass sich Merz diese Sätze aus dem Musterfachgeschäft für westdeutschen Paternalismus ausgeborgt hatte: Sie stimmten nicht einmal. Denn wieso bereitete er sich dann als Kanzler noch nicht die Freude, Ostdeutschland zu bereisen?
Tja.
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