Christine Lambrecht hat ein Buch geschrieben – es offenbart, warum sie gescheitert ist
Wäre ihr Buch eine Hausarbeit, hätte Christine Lambrecht jetzt Ärger am Hals. Den nervenaufreibendsten Teil kurz vor Abgabe, wenn die Seitenzählung nicht aufgeht, der Zeilenumbruch streikt und die letzten Rechtschreibfehler herausgefischt werden müssen, um den Text in seine finale Form zu bringen – diesen Teil hat die frühere Verteidigungsministerin aus der SPD offenbar übersprungen.
Der Titel „Auf Stöckelschuhen durch Absurdistan“ – für sich bereits eine Abrechnung mit der politisch-medialen Landschaft Deutschlands –, wurde im Layout so ungenau platziert, dass ein Teil der Schrift auf den Buchrücken gewandert ist. Der Text selbst ist so nah an der Buchfalz platziert, dass man die Seiten beinahe umklappen muss, um alles lesen zu können. Zückt man den Textmarker, leuchtet nie nur ein Satz gelb, sondern eine Seite weiter gleich noch ein zweiter, weil der Stift mühelos durch das dünne Papier drückt.
Lambrecht wurde Ende 2021 in schwierigen Zeiten überraschend Verteidigungsministerin der Ampel-Koalition. In ihrer Amtszeit zog sie durch manche aufgebauschten und manche tatsächlichen Vorfälle den Unmut von Teilen der Bundeswehr, der politischen Beobachter und Politiker-Kollegen auf sich. Anfang 2023 schmiss Lambrecht, damals unbeliebteste Spitzenpolitikerin des Landes, die Brocken hin. SPD-Parteifreund Boris Pistorius folgte ihr im Bendlerblock nach. Der führt das Amt seit nunmehr zweieinhalb Jahren vergleichsweise geräuschlos.
In Zeiten von Nahost-Krieg, des nicht enden wollenden Tötens in der Ukraine, der Sorge vor dem Erstarken autoritärer Regime und dem prognostizierten Tod von 14 Millionen Menschen, sollten die USA an der Zerlegung ihres Entwicklungshilfeprogramms festhalten, mutet es merkwürdig an, die Details einer Amtszeit, die vor zweieinhalb Jahren endete, in einem Buch jetzt neu aufzuwärmen.
Schon als die ehemalige Justiz-, Familien- und Verteidigungsministerin Lambrecht im vergangenen September ankündigte, einen Rückblick mit dem Titel „Auf Stöckelschuhen durch Absurdistan“ zu schreiben, löste sie damit Verwunderung aus: Macht sie das wirklich? Lambrecht bestätigte die entsprechende Nachfrage des „Spiegel“ per SMS: „Ernst gemeint.“
Da ist es nun also: 133 Seiten, zum gewürfelt anmutenden Preis von 19,15 Euro, erschienen im Selbstverlag, erhältlich bei Amazon. Lambrecht hat bei ihrem Projekt also auf professionelle Strukturen verzichtet, und das merkt man dem Ergebnis nicht nur bei Produktverarbeitung und Rechtschreibung an.
Inhaltlich interessant sind vor allem zwei Stellen. Lambrecht spricht die berühmt-berüchtigten 5000 Helme für die Ukraine an, die kurz vor der russischen Invasion Tatendrang symbolisieren sollten, in Kiew wie Berlin aber angesichts des Ausmaßes der Moskauer Bedrohung weithin als lachhaft verschrien wurden. „Aus heutiger Sicht“ habe sie „die Wirkung meiner Ankündigung und die dabei gewählte Formulierung falsch eingeschätzt“, gibt Lambrecht heute zu.
Tatsächlich „saß der eigentliche Bremser im Kanzleramt“, schreibt der stellvertretende WELT-Chefredakteur Robin Alexander in seinem neuen Buch, gemeint ist Ex-Kanzler Olaf Scholz. Für Lambrecht entlastend. Dennoch: Die Helme sind Lambrechts Eingeständnis Nummer eins.
Eingeständnis Nummer zwei hat mit ihrem Sohn zu tun. Der war mit ihr im Bundeswehr-Helikopter zu einem Truppenbesuch geflogen, dann ging es privat weiter in den Urlaub. Lambrechts Sohn hatte ein Foto aus dem Hubschrauber gepostet und damit einen Shitstorm ausgelöst. Bei ihrer Reiseroutenplanung habe sie „zweifellos das nötige Fingerspitzengefühl vermissen lassen“, schreibt Lambrecht über diesen Vorfall – es sei, nicht rechtlich, aber politisch, „ein Fehler“ gewesen.
Immerhin. Allerdings hätte es für diese sehr späten Eingeständnisse kein Buch gebraucht.
Dass Lambrechts Text es trotzdem auf 133 Seiten schafft, hat vor allem zwei Gründe: Die Absätze sind oft nur zwei, drei Zeilen lang, zwischen denen zudem großzügig die Enter-Taste bemüht wurde. Und sie bläht den Text zusätzlich dadurch auf, dass sie immer wieder im Wikipedia-Stil historische Ereignisse referiert: von den einzelnen Eskalationsstufen der CDU-Spendenaffäre über den chronologischen Ablauf der Terroranschläge vom 11. September 2001 bis hin zur Genese einer von der Staatsanwaltschaft Osnabrück veranlassten Durchsuchung des Bundesjustizministeriums im Jahr 2021. Zwar schafft man es deshalb in wenigen Stunden durch das Buch – wirklich schlauer wird man durch die Lektüre aber nicht.
Auch, weil es keinen kohärenten Erzählstrang gibt. Lambrecht springt ohne erkennbare Gliederung oder inhaltlich sinnvolle Übergänge von einem kleinteiligen Thema zum nächsten, vor, zurück und wieder vorwärts in der jüngsten deutschen Geschichte. Das Fehlen einer Chronologie kündigt sie sogar im Vorwort an – es wirkt wie eine Ausrede dafür, sich nicht um eine leserfreundliche Struktur bemüht zu haben.
Keiner der drei Einzelteile des Buchs funktioniert
Was will das Buch also sein? Das wird auch nach 133 Seiten nicht klar. Letztlich besteht „Auf Stöckelschuhen durch Absurdistan“ aus drei wild ineinander verrührten Einzelzutaten: Der Kern des Projekts, die Beschwerde über den Umgang der deutschen Öffentlichkeit mit ihr, beschränkt sich auf wenige Seiten. Eingefasst wird dieser Part von langen autobiografischen Passagen und enzyklopädischen Nacherzählungen historischer Ereignisse.
Aber keiner der drei Teile funktioniert, weder für sich noch in Kombination. Für die Zeitgeschichte hat man Historiker und ihre Werke. Für erkenntnisbringende politische Memoiren war Lambrecht offenbar zu weit weg von weltpolitisch relevanten Entscheidungen. Zum Projekt „Zeitenwende“, der größten sicherheitspolitischen Zäsur der Nachkriegszeit in Deutschland, finden sich kaum konkrete Details über die Entscheidungen.
Und die Klagen über ihre mediale Rezeption muten wie eine beleidigte Abrechnung an – zu einem Zeitpunkt, an dem der Rest des Landes die ganze Geschichte längst vergessen hat, weil seitdem so viel anderes passiert ist. Eine Abrechnung soll es laut Lambrecht zwar explizit nicht sein. Das dürften aber die „Spiegel“-Journalistin Melanie Amann, der ehemalige ukrainische Botschafter Andrij Melnyk und der Politologe Carlo Masala anders sehen, an denen im Buch in teils auffälliger Häufung kaum ein gutes Haar bleibt.
Dabei hat Lambrecht grundsätzlich sogar einen Punkt: Der Umgang der Deutschen miteinander – in der Politik, in den Medien, vor allem den sozialen – ist oft ein Desaster. Von unsachlicher Kritik bis zu inakzeptablen Drohungen oder gar Angriffen. Und sicherlich hat es auch über Lambrecht unfaire Berichte gegeben. Aber zum einen hat sie sich den Großteil der kritischen Berichterstattung selbst zuzuschreiben, durch fachliche Aussetzer und einen beizeiten erstaunlichen Mangel an Feingefühl.
Und zum anderen: Wenn ihr die Botschaft so wichtig ist, warum hat Lambrecht sie dann derart durch Nebenthemen und Nachtreten verwässert und das Ganze in der billig-möglichsten Produktqualität hingeklatscht? Vermutlich, weil einerseits kein Verlags-Lektorat das Buch in dieser inhaltlichen Ausgefranstheit durchgewinkt hätte – andererseits ohne die vielen biografisch-historischen Exkurse aber kein Text in Buchlänge übrig geblieben wäre.
So wirkt das gesamte Projekt – vom Timing über den Inhalt bis zur Produktqualität – wie eine Erinnerung an die Muster, die sie als Verteidigungsministerin verunmöglicht haben: ein zielsicheres Stapfen in vermeidbare Fettnäpfchen, die in ihrer Häufung irgendwann eine destruktive Eigendynamik entfalteten.
Nachrichtenredakteur Florian Sädler schreibt bei WELT vor allem über politische Themen, darunter Migration, Extremismus und Russlands Krieg gegen die Ukraine.
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