Erste Bilanz der neuen Regierung: Das Vertrauen ist angeschlagen
- Nach gutem Start stürzt die schwarz-rote Koalition mit dem Richterwahl-Streit in ihre erste Krise.
- Die Richterwahl zeigt, wie brüchig der Koalitionsfrieden ist – beide Seiten haben den Konflikt unnötig verschärft.
- SPD und CDU sind überfordert von Zugeständnissen, Basisdruck und hohem Tempo – der Spielraum für Kompromisse schrumpft.
- Statt sich in Personaldebatten zu verlieren, sollten CDU und SPD jetzt liefern – damit Investitionen wirken, Vertrauen wächst und die demokratische Mitte gestärkt wird.
50 Tage lang sah das nach einem wirklich guten Start aus. Die Botschaft an alle: Diese Bundesregierung packt an. Auch wenn es ein paar Hakeleien um die vereinbarte Stromsteuersenkung für alle gab, die nun vorerst nicht kommen soll. Als große Krise wollte das niemand ansehen.
Doch am Tag 51 hat es nun doch geknallt und zwar gewaltig. Kein gutes Zeichen vor der politischen Sommerpause. Dirk Wiese, der erste parlamentarische Geschäftsführer der SPD, tritt am Freitag im Plenum des Deutschen Bundestages ans Mikrofon und verkündet das vorläufige Aus der Richterwahl – an diesem Tag zumindest. Das sei ein schlechter Tag für die Demokratie, verkündet Wiese. Die SPD halte an ihrem Personalvorschlag, der umstrittenen Jura-Professorin Brosius-Gersdorf fest, wird der SPD-Fraktionschef Miersch später noch nachlegen. Das Chaos ist perfekt. Verbale Steigerung kaum möglich.
Da hat die Große Koalition salopp gesagt an einem Tag eingerissen, was sie Wochen zuvor mühsam aufgebaut hat. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die abgesagte Richterwahl aber verpasst dem guten Start eine heftige Schramme, von der sich die Große Koalition nur erholen wird, wenn sie jetzt intern einmal alles auf den Tisch legen. Denn hinter der Wahl steckt mehr als nur ein Streit über Personalien.
Krach mit Ansage
Im Streit um den SPD-Vorschlag als Richterin für das Bundesverfassungsgericht ist einiges schiefgelaufen. Da stimmte offenbar die Abstimmung zwischen Kanzleramt und Unions-Fraktionschef nicht. Merz hatte in der Fragestunde im Bundestag am Mittwoch noch Zustimmung signalisiert. Im Richterwahlausschuss bekam die SPD-Kandidatin die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit, auch mit den Stimmen der Union.
Und dann plötzlich bekommt Unions-Fraktionschef Spahn kalte Füße. Es gebe Plagiatsvorwürfe gegen die Doktorarbeit von Brosius-Gersdorf, deshalb will die Union die Wahl aussetzen lassen. Das erfährt die SPD am Freitagmorgen. Es geht um mehr als 20 auffällige Textpassagen, die der selbsternannte Plagiatsjäger aus Österreich selbst noch nicht als Plagiat bezeichnen will. Es bleibe aber eine Auffälligkeit, lässt Weber die Öffentlichkeit in einem Fernsehinterview bei "Welt TV" wissen.
Für die Abstimmung im Plenum wirkt es dennoch wie ein vorgeschobenes Argument. Denn, dass es Widerstände gegen den Personalvorschlag der SPD geben würde, hatte sich die Woche über schon angedeutet. Teilen der Union gehen die Positionen von Brosius-Gersdorf zu weit. Ihre Analyse, dass das ungeborene Leben erst mit der Geburt beginne, ist für viele in der Union eine untragbare Position. Die sehr liberale Einstellung der Jura-Professorin rüttelt an einer Kernidentität von CDU und CSU.
Das hätte der Unions-Fraktionschef wissen müssen. Doch Spahn fehlte offenbar das Fingerspitzengefühl für die eigenen Leute. Die späte Entscheidung, die Richterwahl kurzfristig auszusetzen, musste den Koalitionspartner zwangsläufig empören.
Union empört – SPD hält an umstrittener Personalie fest
Aber auch die SPD-Spitze hätte wissen können, wie groß das Unbehagen in der Union bei einer Personalie ist, die sich in Fragen zum ungeborenen Leben diametral zu den Grundwerten der Union bewegt. Der Schutz des ungeborenen Lebens ist eine Identitätsfrage, mit der sich die Partei und die Bundestagsfraktion in ihrer Vergangenheit immer wieder intensiv auseinandergesetzt hat, zum Beispiel bei Debatten zur künstlichen Befruchtung oder zu Regelungen bei Schwangerschaftsabbrüchen. In mancher CDU-geführten Staatskanzlei häufen sich inzwischen die empörten Zuschriften.
Der Unmut hat längst auch die Basis der Union erreicht. Dass die SPD nun fast schon trotzig an ihrem umstrittenen Wahlvorschlag festhält, wirkt dabei mehr als engstirnig. Aus der Union heißt es, man sei selbst auch schon bereit gewesen, auf einen umstrittenen Personalvorschlag zu verzichten und ihn zu ersetzen. Vielmehr scheint hier der Haussegen auch aus anderen Gründen schief zu hängen.
Ampel-Klima belastet Kompromissbereitschaft
Beide Seiten haben schon jetzt das Gefühl, dem anderen zu viele Zugeständnisse gemacht zu haben. Die Union hat sich den Zorn in Teilen ihrer Partei zugezogen, um das Milliardeninvestitionsprogramm auf den Weg zu bringen. Die SPD findet ihre Zugeständnisse beim Familiennachzug schon als Belastung für ihre Parteibasis.
Dazu kommt ein SPD-Vorsitzender, der sich nach seinem Wahldebakel beim Bundesparteitag, gerade keine Rückendeckung von der Basis eingeholt hat. Traumergebnisse haben sich andere abgeholt, vor allem Vertreter vom linken Flügel der Partei. Auch das dürfte nun die Bereitschaft zu Kompromissen im Bundestag schmälern.
Auch das Merz und seine Minister bei einigen Themen mächtig auf das Gaspedal treten, um Ergebnisse zu erzielen, etwa bei der Migrationspolitik, den intensiven Grenzkontrollen, geht einigen Abgeordneten in der SPD zu weit. Keine Zeit zum Luft holen. So empfinden es einige.
Einfach machen
Vielleicht war da ein bereinigendes Gewitter im politischen Berlin notwendig, um jetzt Vertrauen wieder aufzubauen. Wie kann es nun weitergehen? Wohl nur mit mehr Ruhe, Disziplin und Kompromissbereitschaft.
Den Haushalt verabschieden, die Milliardeninvestitionen auf den Weg bringen, den Menschen zeigen, hier passiert was. Die marode Straße in der Nachbarschaft wird vielleicht schon im kommenden Frühjahr gebaut. Die Schule meiner Kinder wird schon bald mit moderner Technik ausgestattet. Steuererleichterungen für den Maschinenbauer im Gewerbegebiet um die Ecke bringen die Firma wieder in Schwung.
Maßnahmen, für die in den Kommunen und den Landesregierungen schon die ersten Projekte ausgemacht wurden. Maßnahmen, für die der Bundesrat am Freitag seine Zustimmung gegeben hat. Mit den Stimmen von CDU und SPD-geführten Ländern wurde der Investitionsbooster auf den Weg gebracht. Es kann also losgehen.
Weniger Personaldebatten, mehr Fortschritt
CDU und SPD sollten sich jetzt vielmehr darauf besinnen, welche bürokratischen Hürden noch abgebaut werden müssen, damit die Modernisierungsmaßnahmen für Deutschland schnellstmöglich auch spürbar bei den Wählern ankommen.
Daran werden sich beide Parteien messen lassen müssen, vor allem in Sachsen-Anhalt. Hier wird im kommenden Jahr ein neuer Landtag gewählt. Es droht ein polarisierender Wahlkampf, der vor allem die politischen Ränder mobilisieren dürfte. Da sollten sich CDU und SPD im Bund nicht im Klein-Klein der Personaldebatten verlieren.
Denn hier, in Ostdeutschland, geht es um sehr viel mehr: um Mehrheiten in der demokratischen Mitte, um das Vertrauen der Menschen in Politiker, die ihre Versprechen umsetzen, die bürokratische Hürden abbauen, Arbeitsplätze schaffen, das Land modernisieren und so das Leben von vielen Menschen spürbar besser machen.
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