Haben die Finanzmärkte die Ukraine aufgegeben?
Es war ein denkbar schlechtes Signal für das internationale Gipfeltreffen zum Wiederaufbau der Ukraine in Rom, der Ukraine Recovery Conference. Und auch für Friedrich Merz ganz persönlich.
Kurz vor dem 4. Treffen dieses Formats am Donnerstag in Italiens Hauptstadt war bekannt geworden, dass der weltgrößte Vermögensinvestor Blackrock seine Pläne gestoppt hat, ein Konsortium internationaler Investoren für den Wiederaufbau der Ukraine zusammenzutrommeln. Die Botschaft ist ebenso klar wie gefährlich: Die Finanzmärkte glauben nicht mehr an den Sieg des Landes.
180-Grad-Wende bei Blackrock
Ausgerechnet Blackrock, jener Konzern, für den Merz vor seiner Rückkehr in die Politik selbst mehrere Jahre tätig war. Und dessen Vorstandschef Larry Fink den Wiederaufbau der Ukraine beim Wirtschaftsgipfel in Davos 2023 noch als große Chance gefeiert hatte. "Wir werden eine neue Ukraine schaffen", hatte Fink damals gesagt. "Die Ukraine wird mit Kapital geflutet werden. Das Land könnte ein Leuchtfeuer der Hoffnung für die Kraft des Kapitalismus werden."
In Rom versuchte Friedrich Merz, den Aussagen des ehemaligen Arbeitgebers ein anderes Signal entgegenzusetzen. Er erinnerte in seiner Rede an das "Wirtschaftswunder", das nach dem Zweiten Weltkrieg das zerstörte Deutschland erleben konnte. Einige Rezepte von damals seien auch auf die Ukraine anwendbar. "Um eine kriegszerstörte Wirtschaft wieder aufzubauen, braucht es starke Partner und internationale Unterstützung. Und die Ukraine hat starke internationale Partner – alle, die wir heute hier versammelt sind."
Aber stimmt das noch?

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Weltbank schätzt Schaden auf eine halbe Billion Dollar
Der Schaden, den der Krieg in der Ukraine angerichtet hat, ist immens. Allein im zivilen Bereich wurden laut einer Studie der Kyiv School of Economics von Kriegsbeginn bis Ende 2024 rund 2000 Schulen sowie 7000 Wohnblöcke beschädigt oder ganz zerstört. Schwer getroffen ist auch die Energieversorgung. Hier lag der Schaden bei zwölf Milliarden Dollar, fast jedes Kohle- und Wasserkraftwerk war betroffen.
Die Bundesregierung schätzt die Kosten für den Wiederaufbau auf rund 500 Milliarden Euro. Andere gehen von noch höheren Kosten aus.

Ukraine-Unterstützung Merz' raffinierter Rüstungs-Trick
Merz unterstrich bei seinem Auftritt in Rom, wie stark sich Deutschland schon jetzt engagiert. So ist es wichtigster Unterstützer bei der Stabilisierung und Rekonstruktion der ukrainischen Energieversorgung. Insgesamt sind seit Kriegsbeginn 34 Milliarden Euro an bilateralen Hilfen an die Ukraine geflossen.
Aber der Bundeskanzler machte auch klar, dass der Wiederaufbau nicht allein aus staatlichen Geldern gelingen kann. "Wirtschaftswachstum setzt Freiheit für den Privatsektor voraus, sich zu entfalten. Das ist im Fall der Ukraine besonders wichtig, denn die enormen Kosten der Rekonstruktion können nicht durch öffentliche Mittel finanziert werden."
Gemeinsam mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigt er die Gründung des "European Flagship Fund" an, eines gemeinsam mit Italien, Frankreich, Polen und der Europäischen Investitionsbank betriebenen Investmentfonds, der mit 220 Millionen Euro startet und bis 2026 eine halbe Milliarde Euro an Privatkapital mobilisieren soll
Miriam Kosmehl, Ukraine-Expertin der Bertelsmann Stiftung, hält das Treffen in Rom trotz schlechter Vorzeichen für wichtig. "Die URC25 bringt immerhin wieder Aufmerksamkeit und konkrete Unterstützung", sagte sie. Die Reparatur und der Schutz lebenswichtiger Infrastruktur könne nicht warten, weil das Leben in Kriegszeiten weitergehen müsse. Sie warnt aber auch: "Die Konferenzen für Wiederaufbau machen nur Sinn, wenn Verteidigungsunterstützung ebenso Priorität eingeräumt wird. Selbst risikobereite Investoren erwarten ein Mindestmaß an Sicherheit. Sonst bleiben sie weg."
Dieses EU-Mitglied bekam von Merz eine Rüge
Ungewöhnlich scharf attackierte Merz in Rom auf offener Bühne ein anderes EU-Mitglied. "Ich rufe die Slowakei und seinen Premierminister dringend dazu auf, den Widerstand aufzugeben und den Weg für das 18. Sanktionspaket freizumachen." Der Hintergrund: Bislang ist das von der EU geplante neue Sanktionspaket gegen Russland am Widerstand der slowakischen Regierung gescheitert. Selbst ein Telefonat zwischen Merz und Premier Robert Fico bewog letzteren nicht, seine Blockadehaltung aufzugeben. Das scheint der Kanzler dem slowakischen Amtskollegen auch persönlich übelzunehmen.
Ungewohnte Rolle für Merz
Nicht erst in Rom findet sich Merz in einer ungewohnten Rolle wieder: der des Staatschefs, der die Ukraine immer wieder vehement verteidigt. Dabei war seine eigene Ukraine-Politik ambivalent. So sehr Merz die Ukraine in Reden auch unterstützte, so schleppend verlief mitunter die Umsetzung der versprochenen Solidarität. Die von Merz vor der Wahl angekündigte Lieferung von Patriot-Raketensystemen ist bisher ausgeblieben.
Das ist nicht allein schuld des Kanzlers. Anfang Juli hatte er mit US-Präsident Donald Trump telefoniert, nachdem dieser seine Zusage für Waffenlieferungen an die Ukraine, darunter Patriot-Raketen, zurückgezogen hatte. Merz bot an, Deutschland könne den USA zwei Patriot-Systeme abkaufen und sie selbst in die Ukraine schicken. Trump schien dem Angebot gegenüber offen zu sein. Doch nun, ein paar Tage später, herrscht in Berlin wieder Unklarheit, ob die USA darauf eingehen.
Ausgerechnet Meloni erweist sich als verlässlich
Trump bleibt die Sphinx der internationalen Politik, unberechenbar.
Unterstützung bekam Merz hingegen von einer Regierungschefin, die für viele immer noch unter dem Verdacht steht, eine andere Agenda zu verfolgen: der italienischen Premierministerin und Rechtspopulistin Giorgia Meloni.
Als Gastgeberin hielt sie in Rom eine flammende Rede: "Unsere Aufgabe ist es, der Ukraine zu helfen, und wir werden es tun, dieses neue Kapitel seiner Geschichte zu schreiben, um der Gerechtigkeit willen und als Mahnung für die Zukunft."
Merz schloss seine Rede mit zwei Botschaften an zwei abwesende Hauptakteure im Konflikt. Er habe eine Nachricht an den russischen Präsidenten Wladimir Putin, sagte er: "Wir werden nicht aufgeben." Und auch eine an Donald Trump: "Bleib bei uns."
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