Der Tod des Transportministers Roman Starowoit am Montag ist ein Schock für die russischen Eliten. Die Leiche des 53-Jährigen wurde laut Angaben der Ermittlungsbehörden am Steuer seines Tesla Model X gefunden, in einem Park unweit der Moskauer Villengegend Rubljowka. Wenige Stunden zuvor war bekannt worden, dass Russlands Präsident Wladimir Putin Starowoit entlassen hatte – ohne Begründung. Russlands Reiche und Mächtige wurden vor ihrer Haustür daran erinnert, wie prekär ihre Lage in Wirklichkeit ist.

In Starowoits Heimatregion Kursk, die er bis Mai 2024 als Gouverneur regierte, sind Korruptionsermittlungen im Zusammenhang mit dem Bau von Befestigungsanlagen entlang der ukrainischen Grenze im Gange. Russischen Medienberichten zufolge könnte Starowoit mit seinem Selbstmord einer Festnahme durch das Ermittlungskomitee zuvorgekommen sein.

Der Fall Starowoit zeigt, wie groß der Druck auf Russlands Eliten im dritten Kriegsjahr ist. Worauf man als hoher Staatsdiener früher zählen konnte, gilt nicht mehr. Wladimir Putins Top-Beamte leben in ständiger Unsicherheit. Die Tatsache, dass sie zur Verwaltungselite des Landes gehören, ist für sie nun zu einer „Falle ohne Ausweg“ geworden, wie es Expertin Alexandra Prokopenko von der US-Denkfabrik Carnegie in einer Analyse formuliert.

Früher hatte in Wladimir Putins System folgende Regel gegolten: Wer loyal ist und die richtigen Beziehungen zu den Clans im Umfeld des Herrschers pflegt, genießt faktische Immunität vor Strafverfolgung. Ins Gefängnis – oder ins Jenseits – befördert das System nur Verräter.

Abgesetzte Minister und hohe Beamte wurden trotz Korruptionsermittlungen oder Verfehlungen auf andere Posten verschoben, ohne allzu stark degradiert zu werden. Das beste Beispiel ist der 2012 nach einem Korruptionsskandal in seinem Ressort entlassene Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow. Heute sitzt er im Aufsichtsrat des staatlichen Luftfahrtkonzerns OAK, der alle zivilen und militärischen Flugzeughersteller Russlands unter einem Dach verbindet.

Vorbote einer neuen Normalität

Die Haftstrafe für den früheren Wirtschaftsentwicklungsminister Alexei Uljukajew, die vor fast zehn Jahren Russlands Eliten in Unruhe versetzte, schien wie eine Ausnahme, die die Regel bestätigt. Nach einem Streit mit Igor Setschin, dem mächtigen Chef der staatlichen Ölfirma Rosneft, im Jahr 2016 verbrachte Uljukajew mehr als fünf Jahre im Gefängnis wegen eines angeblichen Bestechungsversuchs. Der Fall Uljukajew schien auf einen Machtkampf innerhalb der Eliten zurückzugehen, aber nicht auf den Zusammenbruch eines Systems. Dabei war er ein Vorbote der neuen Normalität, die sich nach der Großinvasion der Ukraine entfaltete.

Loyalität und demonstrativ zur Schau gestellter Patriotismus reichten nicht länger aus, wenn Putin Ergebnisse sehen wollte – und sein Blick richtete sich von nun an vor allem auf seinen Ukraine-Krieg. Ab 2024 begannen im Verteidigungsministerium massive Säuberungen.

Putin ließ seinen persönlichen Freund Sergej Schoigu, den damaligen, in Teilen der Armee umstrittenen Verteidigungsminister, absetzen und auf den Posten des Sekretärs des Sicherheitsrates verschieben. Schoigu blieb juristisch unangetastet. Aber mehrere seiner loyalen und bestens vernetzten Stellvertreter bekamen wegen Korruption lange Haftstrafen.

Loyal und gut vernetzt war auch Starowoit. Er war ein Mann der Brüder Arkadi und Boris Rotenberg. Die Kindheitsfreunde Wladimir Putins gelten als „Könige der staatlichen Aufträge“ und machten Milliarden im Infrastruktursektor. Ohne ihre Protektion wäre Starowoit, ein Unternehmer und später Staatsbeamter aus Sankt Petersburg, nie ins Machtzentrum Moskau gekommen. Dort leitete er erst die föderale Fernstraßenagentur und war nach der Krim-Annexion für den Straßenbau auf der besetzen Halbinsel verantwortlich, darunter die von den Rotenbergs erbaute Krim-Brücke.

Starowoit galt als aussichtsreicher Kandidat für eine große politische Karriere. Er absolvierte die sogenannte „Schule der Gouverneure“, die Polit-Neulinge in die hohe Verwaltungselite des Landes bringen und diese verjüngen sollte. 2018 wurde er als Gouverneur in seine Heimatregion Kursk geschickt, in Putins System eine Bewährungsprobe auf dem Weg zu einem Ministerposten.

Starowoit wechselte im Mai 2024 tatsächlich ins Verkehrsministerium nach Moskau, was darauf hindeutet, dass Putin mit seiner Leistung zunächst zufrieden war. In Kursk hinterließ er seinen Stellvertreter Alexej Smirnow, der geschäftsführender Gouverneur wurde.

Drei Monate später besetzten ukrainische Streitkräfte Teile der Region, brachten dutzende Ortschaften unter ihre Kontrolle und verwickelten Russlands Streitkräfte in monatelange Kämpfe. Erst im April 2025 stand die gesamte Region wieder unter russischer Kontrolle. Smirnow, der schon im Dezember 2024 abgesetzt wurde, wurde angeklagt.

Laut dem Wirtschaftsblatt „Kommersant“ hat Smirnow kürzlich gegen Starowoit ausgesagt. Das klingt zumindest plausibel. Die Beschaffung von Technik und Material für den Bau der Befestigung, die sogenannten „Drachenzähne“, liefen während Starowoits Amtszeit als Gouverneur. Er hat sie beaufsichtigt und könnte für das Smirnow vorgeworfene Verschwinden von rund vier Milliarden Rubel mitverantwortlich sein, zumindest aus der Sicht der Ermittlungsbehörden.

Während Russlands Top-Politiker sich fragen, ob ihre Gönner sie im Zweifelsfall vor dem Inlandsgeheimdienst FSB und dem Ermittlungskomitee beschützen können, gibt es eine Elitefraktion, die sich ihrer Position vorläufig sicher sein kann: die Rotenbergs. Der von Putin neu eingesetzte Transportminister Andrej Nikitin, früher Starowoits Vize, pflegt laut der Exilzeitung „Nowaja Gaseta“ gute Beziehungen zum Bruderpaar.

Pavel Lokshin ist Russland-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2017 über Russland, die Ukraine und den postsowjetischen Raum.

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