Die Bundesregierung will mit den Taliban verhandeln, die Empörung ist groß. Der Sicherheitsexperte Peter Neumann plädiert für Realismus – und die Anerkennung des Regimes.

Herr Neumann, Bundesinnenminister Alexander Dobrindt will direkt mit den Taliban über Abschiebungen sprechen. Darf eine deutsche Bundesregierung mit solchen Islamisten verhandeln?
Darf? Sie sollte mit den Taliban sogar verhandeln. Seit Jahren sprechen deutsche und europäische Diplomaten über den Vermittler Katar mit den Taliban. Das ist eine Tatsache – bisher wurde sie nur gut versteckt. Deutschland hat an direkten Gesprächen aber ein hohes Interesse. Wenn man etwa Ausreisepflichtige nach Afghanistan zurückführen will, braucht man ein Abkommen mit dem Land. 

Muss es ein Abkommen sein? Vergangenes Jahr ging schon ein Abschiebe-Flug nach Afghanistan.
Ich glaube, wir müssen uns da ehrlich machen: Wenn es kein Abkommen gibt, wird es außer symbolträchtigen Einmalaktionen auch keine systematischen Rückführungen geben. Wir wissen doch, dass die Taliban letztlich eine diplomatische Normalisierung wollen. Und wenn sie diese am Ende eines Verhandlungsprozesses bekommen, wären sie vermutlich auch bereit, Deutschland beim Thema Migration entgegenzukommen.

Peter Neumann, Professor für Security Studies am King's College in London, bei einem Termin im Februar 2025 © IMAGO/Marc John

Russland hat die Taliban schon anerkannt. Aber sollte Deutschland ein islamistisches, frauenverachtendes Regime anerkennen?
Die Taliban sind seit 2021 relativ stabil an der Macht. Es gibt seit Jahren keine echte Bedrohung ihrer Herrschaft. Dies anzuerkennen ist kein Werturteil über ihre Herrschaft, sondern Realpolitik. Hinzu kommt: Die Taliban sind seit jeher anders als der Islamische Staat oder Al-Qaida. Sie haben keine Terror-Interessen gegen Europa. Jetzt, wo sie an der Macht sind, ist sogar das Gegenteil der Fall: Sie versuchen, sich vom Terrorismus zu distanzieren.

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Und was ist mit der massiven Unterdrückung von Frauen und Minderheiten? 
Die Unterdrückung von Frauen oder Minderheiten hat uns in der Vergangenheit auch nicht davon abgehalten, mit anderen Regierungen diplomatische Beziehungen zu unterhalten, etwa mit dem Iran oder Saudi-Arabien. Eine diplomatische Anerkennung ist keine Belohnung für gutes Verhalten. Sie bedeutet nicht, dass wir gut finden, was dort geschieht. Wir würden damit lediglich eine Realität akzeptieren. Und mit einer offiziellen Präsenz im Land könnten wir ganz sicher mehr für Menschenrechte und unterdrückte Bevölkerungsgruppen erreichen als ohne.  

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Das hört sich nach einer wohlwollenden Strategie an, ähnlich, wie es Europa in Syrien versucht mit der Regierung der islamistischen Miliz HTS.
Der syrische Übergangspräsident Al-Scharaa war früher sogar jihadistischer als die Taliban. Trotzdem ist der Fall anders: Die syrische Führung ist heute deutlich pro-westlicher als es die Taliban sind. Auch wenn es noch viele Unwägbarkeiten und Gefahren gibt: In Syrien scheint die Umarmung durch den Westen bisher zu funktionieren.

Kann das auch in Afghanistan klappen?
Ich fürchte, die Taliban werden sich nicht so schnell in diese Richtung entwickeln. In beiden Ländern lauten die europäischen Kernforderungen: Schutz für Minderheiten, Schutz für Frauen, Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Syrien hat das zugesagt. Bei Afghanistan sehe ich Fragezeichen, die bekämpfen zwar den IS, aber beim Minderheitenschutz und Schutz von Frauen gibt es keine Fortschritte – sondern starke Rückschritte. Das zeigt auch, dass die bisher praktizierte Politik der Isolation und Nichtanerkennung völlig fehlgeschlagen ist. 

Und dahin sollen Menschen abgeschoben werden?
Ob und unter welchen Bedingungen Ausreisepflichtige dorthin abgeschoben werden können, entscheiden am Ende deutsche Gerichte. Das ist richtig so in einem Rechtsstaat. Was die Politik tun kann, ist die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Das bedeutet: dafür zu sorgen, dass Afghanistan ausreisepflichtige Staatsangehörige tatsächlich zurücknimmt und deren Sicherheit garantiert.

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Russland, China, Iran und – wenn es nach Ihnen geht – bald auch Deutschland erkennen die Taliban an. Klingt nach einer ungewöhnlichen Allianz.
Ich glaube nicht, dass Deutschland diesen Weg alleine gehen sollte, sondern zusammen mit anderen europäischen Ländern. Auch skandinavische Länder haben viele Afghanen aufgenommen und ein Interesse an Gesprächen, bei Italien kann ich es mir auch vorstellen. Gemeinsame Verhandlungen würden auch die Erfolgswahrscheinlichkeit erhöhen – und die europäische Position stärken. 

Peter Neumann arbeitet als Professor für Security Studies am King's College in London. Neumann gründete dort das International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR) und gilt als Experte für islamistischen Terrorismus. 2021 war er im Zukunftsteam von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet für Sicherheitspolitik zuständig. Neumann lebt in London.

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