Wenn ein Terror-Verherrlicher bei Amnesty und Linke gegen Israel hetzen darf
Vor dem Auswärtigen Amt in Berlin steht ein älterer Herr und wirft Israel vor, eine „Maschine der Zerstörung und Besatzung“ zu betreiben. Den Mann umgibt Anfang Juni eine Menschenmenge, die gegen den Besuch des israelischen Außenministers Gideon Sa‘ar in der Hauptstadt protestiert. Geladen hat unter anderem Amnesty International Deutschland.
Der Mann am Mikrofon – schwarze Regenjacke, rotes T-Shirt, weißer Haarkranz – ist der 69-jährige Ibrahim Ibrahim. „Was hier geschieht, ist kein gewöhnlicher Krieg, sondern eine systematische ethnische Säuberung, bei der die Lebensgrundlagen zerstört, Städte und Lager dem Erdboden gleichgemacht und das Blut von Kindern und Frauen vergossen wird“, lässt Ibrahim seine auf Arabisch gehaltene Rede ins Deutsche übersetzen. „Alles unter einer beschämenden weltweiten Stille – und noch mehr: unter offensichtlicher Kollaboration von Staaten, die diese kriminelle Entität mit Waffen und politischer Unterstützung versorgen.“
Der „Wille der Völker“ werde siegen, lässt Ibrahim ausrichten. Und endet: „Ehre den Standhaften, Sieg der gerechten Sache!“
Katja Müller-Fahlbusch lobt anschließend Ibrahims Engagement. Stimmen wie Ibrahims würden „gecancelt werden, gesilenced werden“ und „Repressionen erleben“, so die Fachreferentin für den Nahen Osten und Nordafrika von Amnesty Deutschland. „Vielen Dank, Herr Ibrahim.“
Ibrahim klingt an diesem Donnerstag in Berlin zwar radikal – doch sehr viel sanfter als sonst. Denn der Mann tritt als Unterstützer der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), in Deutschland auf, wie die Nichtregierungsorganisation „democ“ recherchierte. Die linksextreme palästinensische Terrororganisation lehnt den israelischen Staat ab, ihre Mitglieder begingen Selbstmordattentate und Anschläge, schossen Raketen auf Israel, entführten Flugzeuge, auch zur Unterstützung der RAF.
Den Terror gegen den jüdischen Staat verherrlicht Ibrahim seit vielen Jahren – offen, mitten in Europa, mitten in der deutschen Hauptstadt.
Dezember 2015, Berlin: „Das Blut der Märtyrer, meine Brüder und Schwestern, ebnet uns den Weg in die Freiheit“, sagte Ibrahim und lobte den „edlen Widerstand“ von Samir Kuntar. Ibrahim sprach auf einer Gedenkveranstaltung für jenen kurz zuvor verstorbenen Terroristen. Kuntar entführte im April 1979 den Israeli Danny Haran und dessen vierjährige Tochter Einat im israelischen Küstenort Naharijah, kurz darauf soll er den Vater vor den Augen der Tochter erschossen und das Kind daraufhin erschlagen haben. Auf der Gedenkfeier in Berlin sagte Ibrahim auf Arabisch: „Wir setzen den Weg von Samir Kuntar fort.“
Juni 2016, Sofia in Bulgarien: Ibrahim betrauerte den Tod von Omar Nayef Zayed, der zuvor aus einem israelischen Gefängnis floh, wo er für den Mord am 22-jährigen Eliyahu Amadi einsaß. In seinen Händen hielt Ibrahim die Flagge der PFLP. Mit dabei: Leila Khaled, die 1969 an der Entführung eines Flugzeugs von Rom nach Tel Aviv beteiligt war.
Mai 2017, Berlin: Ibrahim lobte bei einer Jubiläumsfeier zum Jahrestag des Abzugs der israelischen Truppen aus dem Südlibanon die Hisbollah. Dem „Widerstand“ unter Leitung der Terrororganisation attestierte er laut PFLP-Webseite eine „brillante Leistung der Standhaftigkeit, des Blutes und der Opferbereitschaft“.
April 2019: Ibrahim kooperierte mit der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) im Europawahlkampf – und bekannte sich als Sympathisant der PFLP. In der MLPD-Wahlwerbung wird die PFLP als „Befreiungsorganisation gegen die Besatzung Palästinas durch das zionistische israelische Regime“ beschrieben und die Streichung von der Terrorliste der Europäischen Union gefordert.
Doch all die offene Verherrlichung von Terrorismus gegen den jüdischen Staat scheint keine Hürde für breite gesellschaftliche Bündnisse im Hier und Jetzt zu sein. Denn Ibrahim sprach im Juni nicht nur bei Amnesty, sondern tags darauf auch bei der Linkspartei in Berlin-Neukölln. Auf jener Kundgebung vor dem Rathaus Neukölln sprach auch der Linke-Bundestagsabgeordnete Ferat Koçak, der bei der Bundestagswahl im Bezirk das Direktmandat gewann. „Israel is a terror state“, rief die Menge, „Massenmörder Israel, Völkermörder Israel“. Und der Sprecher des Linke-Bezirksverbands Neukölln, Hermann Nehls, begrüßte den Gastredner ganz herzlich: „Ich freue mich sehr, dass Ibrahim jetzt zu uns spricht.“
Bei einer Kundgebung der linken „Friedenskoordination Berlin“ vor dem Brandenburger Tor lässt sich Ibrahim als Mitglied des „Vereinigten Palästinensischen Nationalkomitees“ ankündigen – laut Berliner Verfassungsschutzbericht von 2024 eine Dachorganisation für gemeinsame Veranstaltungen von PFLP und der islamistischen Terrororganisation Hamas. Am Terrorüberfall auf Israel vom 7. Oktober 2023 mit über 1200 Toten beteiligten sich neben der Hamas auch die PFLP.
„Legitimiert barbarischsten Terror“
Ibrahims Aufstieg ist vor diesem Hintergrund bemerkenswert. Linus Kebba Pook, Geschäftsführer von „democ“, beobachtet mit seiner Nichtregierungsorganisation antidemokratische Bewegungen – und recherchiert zu Ibrahims Engagement, das in den 1980er-Jahren in Berlin begonnen habe. Funktionäre und Aktivisten der PFLP seien in Berlin seit vielen Jahren aktiv, organisierten nahezu wöchentlich kleine Proteste. „Bei internen Versammlungen werden völlig offen verurteilte Mörder gefeiert und treten teils namhafte Vertreter der terroristischen PFLP auf“, so Kebba Pook. Bei großen Protesten zum israelisch-palästinensischen Konflikt nutzten PFLP-nahe Aktivisten in den vergangenen Monaten diese Erfahrung und fungierten als Anmelder und Organisatoren.
„Seit dem 7. Oktober 2023 hat dieses Vorfeld der PFLP massiv an Relevanz in Deutschland gewonnen: Während sich die Terrororganisation direkt an den antisemitischen Massakern in Israel beteiligte und die Eskalation feierte, gelingt es ihren Aktivisten in Berlin, als Organisator von vermeintlichen Friedensprotesten aufzutreten oder dort zu reden“, sagt Kebba Pook WELT. „Ihnen gelingt so eine deutliche Diskursverschiebung, indem sie den terroristischen Kampf gegen Israel als vermeintlich legitimen Widerstand normalisieren und beispielsweise die ‚Standhaftigkeit‘ des Widerstands in Palästina auf großer Bühne loben.“
Kebba Pook hält es für einen Fehler, die Terrorverherrlichung nicht ernst zu nehmen. „Organisationen wie die Linke oder Amnesty International sollten die PFLP und ihre Vertreter in Berlin endlich beim Wort nehmen: Der bewaffnete Kampf, wie wir ihn am 7. Oktober gesehen haben, ist dieser Ideologie zufolge der einzige Weg zur Befreiung“, so der „democ“-Geschäftsführer. „Mit dem Bemühen um Frieden oder die Wahrung von Menschenrechten hat das nichts zu tun.“
Der Zentralrat der Juden kritisiert die Auftritte Ibrahims scharf. „Wer PFLP-Unterstützern eine Bühne bietet, der legitimiert und relativiert den barbarischsten Terror, den Jüdinnen und Juden seit der Schoah erleben mussten“, sagt Zentralratspräsident Josef Schuster WELT. „Wer das zulässt, bewegt sich fernab jeglicher moralischer Integrität.“
Amnesty und Linkspartei verschöben beständig ihre Grenzen. „In Zeiten, in denen Angriffe und Bedrohungen für Jüdinnen und Juden auch in Deutschland zur Tagesordnung gehören, ist mir ein solches Verhalten unerklärlich und muss von der Linken sowie von Amnesty International aufgearbeitet werden“, so Schuster. Nachdem sich die Linke auf ihrem Bundesparteitag im Mai gegen die „IHRA“-Antisemitismus-Definition aussprach, sagte Schuster, die Linke stehe nicht mehr an der Seite der Juden. Amnesty International warf er im Dezember 2024 eine „dämonisierende Verurteilung Israels“ und eine Verharmlosung der Hamas vor.
Amnesty Deutschland verweist auf WELT-Anfrage auf die insgesamt 17 Organisationen, darunter Oxfam, Medico International, Ärzte der Welt und Israelis für Frieden, die hinter der besagten Kundgebung vor dem Auswärtigen Amt gestanden hätten. Die Rede Ibrahims – gehalten als Vertreter des „Vereinigten Palästinensischen Nationalkomitees“ – habe den Veranstaltern im Vorfeld auf Deutsch vorgelegen. „Während sich Amnesty nicht mit jeder einzelnen Formulierung in der Rede gemein macht, ist die in der Rede geäußerte Kritik an der israelischen Regierung sowie an der Bundesregierung von dem Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt“, so eine Amnesty-Sprecherin. Zu den aufgelisteten Auftritten und Äußerungen Ibrahims äußert Amnesty sich nicht.
Der Linke-Bundesvorstand um Ines Schwerdtner und Jan van Aken verweist auf WELT-Anfrage auf den Beschluss des Bundesparteitags in Halle, in dem die Partei unter anderem den „menschenverachtenden Terror der Hamas“ verurteilt, sich gegen Antisemitismus und für die Zwei-Staaten-Lösung ausspricht. Der Beschluss gelte für die Auswahl von Bündnispartnern und Rednern. Darauf dränge der Parteivorstand auch bei Veranstaltungen von Parteigliederungen.
„Die Gespräche dazu führen wir mit den zuständigen Personen direkt und nicht über die Presse. Fragen zur konkreten Demo bitten wir direkt an die dafür Verantwortlichen und Beteiligten zu richten“, teilt Bundesgeschäftsführer Janis Ehling mit. Der Vorstand der Linksfraktion im Bundestag um Heidi Reichinnek und Sören Pellmann lässt auf Anfrage ausrichten, dass man dem Statement der Bundesspitze „nichts hinzuzufügen“ habe.
Der Bundestagsabgeordnete Ferat Koçak sagt, er sei bei der genannten Kundgebung seiner Neuköllner Linken „nur kurz und mit Verspätung“ anwesend gewesen, um seine Rede zu halten. „Die Person Ibrahim Ibrahim ist mir nicht bekannt“, so Koçak. „Unabhängig davon gilt für mich eindeutig: Ich lehne jede Form von Terrorismus, Gewaltverherrlichung und extremistischen Positionen entschieden ab.“
Der Linke-Bezirksverband Neukölln und Ibrahim Ibrahim ließen WELT-Anfragen unbeantwortet.
Politikredakteur Kevin Culina berichtet für WELT über die Linkspartei und das Bündnis Sahra Wagenknecht. Er berichtet seit Jahren über Antisemitismus und Protestbewegungen.
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