„Im digitalen Zeitalter inakzeptabel“ – Polizei soll leichter an Daten kommen
Organisierte Kriminalität, Online-Betrug, Drogenhandel oder sexueller Missbrauch von Kindern – immer mehr Verbrechen finden im Netz statt. Die Polizei ist in vielen EU-Staaten oft machtlos, weil ihr die Befugnisse fehlen, die Spuren der Verbrecher im Netz zu verfolgen. Immer wieder behindern in den einzelnen Mitgliedsländern auch Datenschützer oder rigide gesetzliche Vorschriften die Arbeit der Polizei.
Die EU-Kommission hat das Problem erkannt: Sie will die Befugnisse der Sicherheitsbehörden bei der Verbrechensbekämpfung in der Europäischen Union künftig stark ausweiten. Dazu legte die Behörde am Dienstag einen Fahrplan vor, der einen effektiven Zugang zu Daten im Internet für Strafverfolgungsbehörden sicherstellen soll. Die Vorschläge sind Teil der EU-Strategie zur inneren Sicherheit (ProtectEU).
„Unsere Ermittlungsbehörden sind heute schon in 85 Prozent aller Fälle auf die Sicherstellung von Beweismaterial aus dem digitalen Raum angewiesen. Gleichzeitig sind ihnen viel zu oft die Hände gebunden, weil ihnen die Berechtigung fehlt, auf die Daten zuzugreifen. Das ist im digitalen Zeitalter inakzeptabel“, kritisierte der zuständige EU-Innenkommissar Magnus Brunner. „Wir müssen unseren Strafverfolgungsbehörden die nötigen Werkzeuge in die Hand geben, Terrorismus und Verbrechen effektiv zu bekämpfen und um unsere Bürgerinnen und Bürger effektiv zu schützen. Selbstverständlich unter der Wahrung aller Grundrechte“, fügte der frühere Finanzminister aus Österreich hinzu.
Was plant die EU nun genau? Der Fahrplan von Kommissar Brunner besteht aus sechs Maßnahmen.
Erstens: Noch in diesem Jahr möchte die Kommission eine Folgenabschätzung durchführen, um die EU-Vorschriften über die Vorratsdatenspeicherung zu aktualisieren. Zweitens: Die EU-Kommission wird bis 2027 Maßnahmen prüfen, die die grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der Datenüberwachung verbessern sollen. Drittens: Strafverfolgungs- und Justizbehörden soll künftig erlaubt sein, digitale Beweismittel zu analysieren und aufzubewahren.
Viertens: Im Jahr 2026 wird die EU-Kommission einen Technologiefahrplan zur Entschlüsselung vorlegen. Ziel ist es, den rechtmäßigen Zugang der Strafverfolgungsbehörden zu verschlüsselten Daten unter Wahrung der Cybersicherheit und der Grundrechte zu ermöglichen. Fünftens: Brüssel will einen EU-Standard im Bereich der digitalen Forensik schaffen, der die rechtmäßige Analyse und Wiederherstellung von in digitalen Geräten gefundenen Daten umfasst. Sechstens: Bis 2028 wird die EU-Kommission die Entwicklung und den Einsatz von KI-Instrumenten zur Datenverarbeitung bei den Strafverfolgungsbehörden fördern.
Terroristen werden immer jünger
Unterdessen warnt die EU-Polizeibehörde Europol in den Haag davor, dass Terroristen immer jünger werden. Im vergangenen Jahr war fast jeder dritte Tatverdächtige unter 20 Jahre alt, der jüngste sogar erst 12. Das geht aus dem neuen Europol-Bericht zu Tendenzen im Terrorismus hervor. „Wir müssen besonders wachsam gegenüber der Radikalisierung junger Menschen und der Ausnutzung von Online-Plattformen durch Terroristen und Extremisten sein“, sagte Brunner dazu.
2024 wurden Europol zufolge insgesamt 58 terroristische Anschläge von 14 EU-Mitgliedsstaaten gemeldet – 34 von ihnen wurden demnach ausgeführt, die übrigen schlugen fehl oder konnten vereitelt werden. 449 Verdächtige wurden den Angaben zufolge festgenommen.
Laut Europol nutzen „Online-Kultgemeinschaften“ digitale Plattformen, um Bilder von extremen Grausamkeiten zu verbreiten und zu normalisieren, Opfer zu erpressen und junge Menschen zu Gewalttaten zu bringen. Viele dieser gewalttätigen Gruppen haben Europol zufolge Verbindungen zu dschihadistischem Terrorismus und rechtsextremen Gruppierungen.
Diese Gruppen hätten besonders gefährdete Jugendliche im Fokus, im Schnitt zwischen 8 und 17 Jahre alt. „Terroristische Gruppen haben es auf gefährdete Personen abgesehen“, sagte Europol-Chefin Catherine De Bolle. „Insbesondere auf solche, die mit psychischen Problemen, sozialer Isolation oder digitaler Abhängigkeit zu kämpfen haben.“
Auch geopolitische Spannungen würden Europol zufolge zur Radikalisierung beitragen. Die Behörde nennt in diesem Zusammenhang den Gaza-Krieg sowie den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, aber auch die unsichere Lage in Syrien.
Eine weitere besorgniserregende Entwicklung ist laut Europol der Einsatz neuer Technologien bei der Radikalisierung und Rekrutierung von möglichen Tätern. Künstliche Intelligenz sei in einem noch nie dagewesen Ausmaß eingesetzt worden, um Propaganda und Hass zu produzieren und zu verbreiten.
Christoph B. Schiltz ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet unter anderem über Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, die europäische Migrationspolitik, die Nato und Österreich.
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