"Es ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle"
Manche von ihnen sind noch in Teheran oder Ahvaz geboren, bevor sie vor den Mullahs fliehen mussten, als Kind, als Mutter, Lehrer, Wissenschaftler oder Oppositionelle. Doch die Verbindung in die frühere Heimat, das Land ihrer Vorfahren, ist nie ganz abgerissen – die Sorge um die Verwandten, die Wut auf das Regime aus Sittenwächtern und Revolutionsgardisten.
Über 300.000 Menschen mit iranischen Wurzeln leben in Deutschland. Seit einer Woche blicken viele mit gemischten Gefühlen in Richtung Iran. Seit einer Woche greift Israel das Land an – seine unterirdischen Atomanlagen, seine militärischen Führer. Die Raketen treffen aber auch zivile Wohnhäuser, in denen womöglich Angehörige leben.
Der stern hat mit neun Deutsch-Iranern gesprochen.

Die Komikerin und Aktivistin Enissa Amani wurde 1981 in Teheran geboren und floh 1985 mit ihrer Familie nach Deutschland.
"Ich mache in diesen Tagen eine regelrechte Achterbahnfahrt durch. Angesichts der israelischen Angriffe auf das iranische Regime empfinde ich eine große Ambivalenz. Einerseits werden Menschen getötet, die meine absoluten Feindbilder sind. Die meine Familie und mich die Heimat gekostet haben. Menschen, wegen derer ich keinen Fuß in das Land setzen kann, in dem ich geboren wurde – weil mich die Hinrichtung erwartet. Es ist eine korrupte, mörderische Regierung. Und jetzt kommt jemand wie Netanjahu, der unter dem Vorwand der atomaren Bedrohung den Iran angreift – aber eigentlich nur von den Menschenrechtsverbrechen in Gaza ablenken will.
Ich bin besorgt, dass sich jetzt viele Menschen uneingeschränkt hinter die iranische Führung stellen. Der Iran wird aber nicht von außen befreit – und erst recht nicht von einem Verbrecher wie Netanjahu. Der Iran muss sich von innen befreien. Wenn das anders funktionieren würde, dann wären Afghanistan und der Irak jetzt ein Paradies. Von der Bundesregierung erwarte ich in diesem Konflikt gar nichts. Ich habe meine Hoffnungen in sie verloren."

Der FDP-Politiker Bijan Djir-Sarai wurde 1976 in Teheran geboren. Er war von Dezember 2021 bis November 2024 Generalsekretär der Liberalen.
"Man macht sich natürlich Sorgen, weil viele Familienmitglieder in Teheran leben. Gelegentlich sind Gespräche möglich, am Samstag zu Beispiel. Während des Telefonates konnte man schon Explosionen hören. Die Stimmung war angespannt. Die Angriffe werden das Mullah-Regime massiv schwächen. Die EU muss den politischen Druck auf die Islamische Republik erhöhen. Eine neue Strategie im Umgang mit dem Regime ist notwendig. Das einseitige Festhalten der EU am Atomabkommen ist keine kluge Option für die Zukunft."

Die Musikjournalistin und Moderatorin Miriam Davoudvandi wuchs als Tochter eines iranischen Vaters und einer rumänischen Mutter in Bukarest auf.
"Ich möchte nicht für alle Iraner*innen sprechen, es ist ein großes, diverses Land mit vielen unterschiedlichen Auffassungen von dem, was gerade passiert. Wo man sich einig sein kann: Angriffe, bei denen Zivilist*innen, zum jetzigen Zeitpunkt schon einige Hundert, getötet werden, können niemals die Lösung sein – das man das überhaupt debattieren muss, ist unmenschlich.
Die IDF behauptet, dass man ja rechtzeitig vorwarne, damit Menschen fliehen könnten – viele Straßen sind dicht, Benzin rar, das Internet setzt aus. Was ist mit Menschen, die alt, krank oder arm sind?
Friedrich Merz hat gesagt, dass Israel die Drecksarbeit für uns alle mache, dass wir hier ja auch vom Regime betroffen seien. Herr Merz sollte lieber die bisherigen – vor allem wirtschaftlichen – Interessen, Kumpeleien und Beziehungen, die die Bundesrepublik mit dem Iran hat, überdenken. Davon sind wir nämlich betroffen, von sonst gar nichts. Die einzigen Betroffenen sind und bleiben die Menschen im Iran, die sich seit Jahrzehnten gegen das islamistische Regime auflehnen – oder sollen sie jetzt noch auf die Staßen gehen und protestieren, während sie gebombt werden? Und vielleicht möchte man noch einmal überdenken, ob es eine gute Idee war, vergangenes Jahr den Abschiebestopp in den Iran auszusetzen."

Roozbeh Farhangmehr alias Rooz ist HipHop-Journalist, Youtuber und Twitcher. 1986 floh er aus dem Iran nach Deutschland. Ein Teil seiner Familie lebt noch immer dort.
"Ich bin 1979 in Ahvaz geboren, mitten in die Revolution rein. 1986 flohen meine Eltern mit mir und meinem Bruder vor dem Iran-Irak-Krieg nach Deutschland.
Heute lebe ich in Sicherheit, aber mein Herz bleibt zerrissen. Als ich hörte, dass Iran angegriffen wurde, war ich im Schock. Man ist abgestumpft nach Gaza, Ukraine, so vielen Nachrichten, doch plötzlich geht es um Ahvaz, meine Schulstadt, um Isfahan, die Stadt, aus der meine Mutter stammt, um Teheran, wo 15 Millionen Menschen leben – und evakuiert werden sollen? Wie soll das gehen? In Berlin, mit vier Millionen Einwohnern, herrscht schon bei Regen Chaos auf den Straßen. Wie stellen sich dass die Verantwortlichen vor, einfach 15 Millionen zu bewegen, an einem Tag?
Ich wünsche mir, dass Deutschland als NATO-Partner versucht, Diplomatie zu retten, Gesprächsräume zu schaffen. Nach der ersten großen, emotionalen Aufregung wird jeder Krieg früher oder später nur noch technisch erklärt und behandelt. Aus dieser Distanz vergisst man schnell, dass es um Menschenleben geht, nach wie vor, jeden einzelnen Tag. Um unschuldige, unbeteiligte Leute. Die Menschen im Iran haben nicht für diesen Konflikt gestimmt. Regime können fallen – aber was, wenn danach nur Leere kommt? Iran ist kein Schachbrett. Es ist ein verletzlicher, vielfältiger Organismus. Und jeder Tote ist eine Welt."

Leyla Piedayesh, 54, Modedesignerin und Gründerin des Labels "Lala Berlin", verließ im Alter von neun Jahren mit ihren Eltern den Iran. Sie wuchs in Wiesbaden auf und lebt heute mit ihrer Tochter in Berlin.
"Warum gerade jetzt? Seit Jahrzehnten reden wir darüber, dass der Iran Uran anreichert. Doch eine Bombe hat er immer noch nicht gebaut. Vielleicht gibt es die Angst vor einer 'Atommacht Iran', aber ich glaube, sie ist nur ein kleiner Teil dieser Attacke. Israel ist so gut gerüstet, es bekommt Milliarden von den USA und anderen. Der Iran ist dagegen so klein. Ich glaube, es geht um geopolitische Spiele, Erdöl, Gas, Vormachtstellung – und die Zivilisten müssen dafür leiden.
Für mich ist es ausgeschlossen, dass den Angreifern auch ein Wandel für die jungen Leute dort am Herzen liegt. Wo war denn der Westen, als diese Menschen vor drei Jahren unter Lebensgefahr auf die Straßen strömten und nach Unterstützung gegen das Regime riefen?

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Jetzt rät Trump der Zivilbevölkerung Teheran zu verlassen – das ist doch ein Witz! Wo sollen diese Millionen Menschen denn hin? Niemand weiß, wo sie sicher wären, es gibt kaum Benzin für eine Flucht. Ich habe mit meiner Cousine dort gesprochen, die Menschen haben einfach Angst. Und dann redet Friedrich Merz davon, dass Israel dankenswerterweise die 'Drecksarbeit' für den Westen erledigen würden. Das ist menschenverachtend. Wo ist das Mitgefühl für die Iranerinnen und Iraner?
Diese alten Männer, die irgendwo auf dem Lebensweg ihre Menschlichkeit verloren haben, ziehen die Strippen der Welt. Man sollte sie alle zusammen mit Musk auf den Mond schießen und uns Frauen machen lassen. Ich engagiere mich mit einigen tollen Frauen für die kleine Organisation IFP, Iranians for Peace: Wir sind eng verbunden mit den Stimmen der Menschen im Iran und setzen uns dafür ein, dass ihre Hoffnung nicht in Bomben und Sanktionen erstickt wird, sondern in echte politische Lösungen mündet.
Es deprimiert mich, dass wir im Jahr 2025 unsere Konflikte immer noch mit Gewalt lösen wollen, anstatt uns die Hand zu reichen und nach einer friedlichen Lösung zu suchen. Wir haben nichts dazugelernt. Vielleicht folgt auf diesen Krieg am Ende ein Wandel im Iran. Ein Wandel, der viel kosten und viele unschuldige Opfer mit sich bringen wird.

Saeid Fazloula, 32, gewann als Kanute bei den Asian Games 2014 Silber für den Iran. 2015 flüchtete er nach Deutschland. Bei den Sommerspielen 2021 und 2024 startete für das Olympic Refugee Team.
"In diesen Tagen schaue ich oft auf mein Smartphone in der Hoffnung, dass eine neue Nachricht von meinen Eltern eintrifft. Sie leben in Bandar Anzali, im Norden des Iran. Das Internet ist schwach dort, man braucht Glück, um eine Verbindung herstellen zu können. Ich habe Angst um meine Eltern. Und ich habe Angst um mein Heimatland. Angst, dass der Oberste Führer Ali Khamenei auch diese Krise übersteht und es weitergehen wird mit dem diktatorischen Regime wie all die Jahrzehnte zuvor. Es war ein Fehler, dass der Rest der Welt so geduldig und nachsichtig war mit dem Iran. Es wurden Verhandlungen geführt, die keine waren – sie haben dem iranischen Regime nur zusätzlich Zeit gekauft, sein Atomprogramm weiterzuentwickeln.
Ich kann verstehen, dass Israel sich bedroht fühlt vom Iran, was aber nicht bedeutet, dass ich ein Befürworter dieses Krieges bin. Nein, das bin ich nicht. Und ich glaube auch nicht, dass der Krieg die Menschen auf die Straße treibt und dass Demonstrationen das System zum Zusammenbruch bringen werden. Das ist westliches Wunschdenken. Die Iranerinnen und Iraner sind emotionale Menschen, sie halten in einer solch existenzbedrohenden Lage zusammen. Das Regime muss unbedingt beseitigt werden – aber nicht vom Volk. Da müssen andere Kräfte wirken. Es braucht großen politischen Druck von außen, damit die alten Eliten weichen und der Iran in eine neue, bessere Zeit aufbrechen kann."

Danial Ilkhanipour ist SPD-Politiker und Mitglied der Hamburger Bürgerschaft. Er kommt aus einer iranischen Einwandererfamilie.
"Es ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle, eine Mischung aus Angst und Hoffnung. Niemand will Krieg – aber noch weniger wollen dieses Regime. Zu sehen, wie dieses verhasste Regime ins Wanken gerät und die Täter in Panik geraten, tut gut. Gleichzeitig wächst die Sorge um die Zivilbevölkerung.
Egal wie man zu dem Krieg steht – Fakt ist: Heute ist das Regime so schwach und angeschlagen wie nie zuvor. Diese Chance müssen wir nutzen. Sie ist vielleicht einmalig. Das Regime schafft es auch bisher nicht, die Menschen hinter sich zu versammeln – sie geben der Führung – zu recht – die Schuld für ihr Leid. Das höre ich ausnahmslos aus dem Iran – von Menschen, die in Teheran derzeit feststecken.
Nutzen wir diese Chance nicht – gibt es keinen regime change – wird die Rache der blamierten, außenpolitisch dann nicht mehr so relevanten Mullahs innenpolitisch umso grausamer sein.
Im Übrigen: Wenn der Kanzler nun von 'Drecksarbeit' spricht, sollte er nicht vergessen, welch fatale Rolle Deutschland, Europa und die USA in den vergangenen Jahren gespielt haben. Wir haben durch die falsche Iran-Politik von Friedrich Merz' Partei, aber auch meiner eigenen mit dazu beigetragen, dass dies geschehen konnte. Und wir haben nicht zuletzt durch Geschäfte mit den Mullahs von diesem 'Dreck' schamlos profitiert. Ein wenig Selbstkritik wäre angemessen. Man hätte möglicherweise diesen Krieg verhindern können, wenn man auf die Experten gehört hätte anstatt Appeasement zu betreiben."

Shermine Shahrivar, 42, Model, kam 1982 in Teheran zur Welt. Ein Jahr später floh ihre Mutter mit ihr nach Deutschland, in ein Dorf nahe Aachen. Ihr Vater saß damals noch im Iran im Gefängnis. Shahrivar studierte Politikwissenschaften und wurde im Jahr 2004 zur Miss Deutschland gekürt.
"Meine Familie im Iran lebt gerade in Angst. Ein Teil ist in den Norden des Landes geflohen. Manchmal erreiche ich sie tagelang nicht, das macht mich wahnsinnig. Ich weiß nicht, wo genau mein Vater ist, wie es ihm körperlich und seelisch geht. Ich wünsche mir einen freien Iran, aber ich halte es für fatal, wenn politische Führer – egal wo – ihre Macht dafür nutzen, Konflikte zu verschärfen, statt Brücken zu bauen.
Zu glauben, dass militärische Angriffe von außen einen Wandel herbeiführen könnten, finde ich zynisch. Die Menschen im Iran kämpfen seit Jahren mit unglaublichem Mut für Freiheit, Gleichberechtigung und ein Leben ohne Angst. Es ist ihre Revolution – nicht die eines anderen Staates. Wenn Israel den Iran angreift, trifft es selten das Regime, es trifft die Menschen – Familien, Frauen, Kinder. Und das iranische Regime nutzt genau solche Angriffe, um sich als Opfer darzustellen und die Bevölkerung weiter zu kontrollieren. Ich sehe in Benjamin Netanyahu keinen Politiker, der sich für Frieden oder das Wohl der Menschen einsetzt. Seine Entscheidungen wirken oft getrieben von persönlicher Machtsicherung und dem Wunsch, sich historisch zu verewigen.

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Die blinde und uneingeschränkte Unterstützung Israels von Seiten unserer Bundesregierung – sei es politisch oder durch Waffenlieferungen – lehne ich entschieden ab. Ich vermisse eine differenzierte, faire und vor allem friedensorientierte Politik, die auch die Rechte der Palästinenser ernst nimmt und den Dialog fördert.
Ein freier Iran wird nicht durch Raketen entstehen, sondern durch Aufklärung, internationale Solidarität und den unerschütterlichen Mut der eigenen Bevölkerung. Diese Menschen verdienen unsere Unterstützung – nicht noch mehr Krieg."

Der Grünen-Politiker Omid Nouripour kam 1988 im Alter von 13 mit seinen Eltern aus Teheran nach Frankfurt am Main. Er ist Vizepräsident des Deutschen Bundestags.
"Die Gefahr, die durch einen nuklear bewaffneten Iran ausgeht, ist real. Man darf nie vergessen: Die Zerstörung Israels ist seit 1979 iranische Staatsdoktrin und Israel hat das Recht, seine Existenz und Sicherheit zu verteidigen.
Die Stabilität der ganzen Region steht auf dem Spiel und die Folgen eines Flächenbrandes wären unkalkulierbar, auch für Israel. Auch deshalb ist jetzt die Stunde der Deeskalation. Dazu kommt die Gefahr, dass ein potenzieller Austritt von Radioaktivität weit über den Iran hinaus verheerende Folgen für Mensch und Umwelt hätte.
Ich erwarte vom Außenminister Wadephul, dass er alle diplomatischen Hebel in Bewegung setzt, um eine weitere Eskalation zu verhindern.
Die innenpolitische Lage im Iran verschärft sich weiter: Die Bevölkerung wird von einer tiefen Wirtschafts- und Versorgungskrise hart getroffen. Landesweit entstehen Engpässe bei Treibstoff und Grundversorgung. Die Bevölkerung lebt in ständiger Unsicherheit, da das Regime durch systematisches Missmanagement keinen verlässlichen Zivilschutz gewährleistet und zentrale Versorgungssysteme kollabieren lässt. Gleichzeitig intensiviert die iranische Regierung ihre brutale Repressionspolitik: Festnahmen und Internetabschaltungen nehmen zu, um Proteste und politische Gegnerschaft im Keim zu ersticken."
- Iran
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- Deutschland
- Friedrich Merz
- Bundesregierung
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- Bijan Djir-Sarai
- Rooz
- Leyla Piedayesh
- Shermine Shahrivar
- Omid Nouripour
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