„Das mag eine bittere Erkenntnis sein, aber das Völkerrecht gilt auch für Schurkenstaaten“
Grünen-Politiker Anton Hofreiter (55) ist Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union im Bundestag.
WELT: Die G 7 konnten sich nicht auf eine gemeinsame Erklärung zur Unterstützung der Ukraine einigen. Hat man das Land aufgegeben, weil man weiß, dass die USA nicht mehr mit an Bord sind?
Anton Hofreiter: Es waren überwiegend leere Worte und das ist ein Riesenproblem. Denn es muss uns allen klar sein: Wenn die Ukraine nicht mehr weiterkämpfen kann, hat die russische Armee bereits fertige Pläne in der Schublade, Länder der Europäischen Union anzugreifen. Deshalb ist die Ukraine letztendlich eine Garantie dafür, dass der Krieg sich nicht weiterträgt in weitere europäische Länder. Ich erwarte von Merz, dass er nicht nur ständig schöne Worte findet und in die Ukraine reist, was alles gut und richtig ist, sondern dass die fünf Milliarden (Euro, Anm. d. Redaktion) Ukraine-Unterstützung endlich freigegeben werden. Wir haben mit grüner Hilfe und auf grünen Druck die Schuldenbremse so reformiert, dass wir die Ukraine unterstützen können. Russland ist deutlich schwächer, als das bei uns wahrgenommen wird. Aber wenn die Unterstützung so schwach bleibt aus Europa, dann kommen die Ukraine und am Ende wir in großen Schwierigkeiten.
WELT: Kommen wir zur Auseinandersetzung im Nahen Osten. Kanzler Merz stellte sich mit deutlichen Worten hinter das Vorgehen der Israelis. Zitat: „Das ist die Drecksarbeit, die Israel für uns alle macht.“ Wie stehen Sie denn bei den Grünen diese maximale Rückendeckung von Kanzler Merz für Israel?
Hofreiter: Ich halte die Wortwahl für ungeschickt. Man darf eines nicht vergessen: Im Iran sind je nach Umfragen 80 bis 90 Prozent der Menschen gegen das islamistische Terrorregime, was dort herrscht. Bei den Angriffen Israels auf den Iran sterben auch Zivilisten, unter Umständen auch Menschen, die in starker Opposition zum Mullah-Regime stehen. Deswegen sollte man da immer sehr, sehr vorsichtig sein, wie man seine Worte wählt. Aber natürlich wäre es wünschenswert für viele Menschen auf dieser Welt und insbesondere auch für die Menschen im Iran und in Israel, wenn das Mullah-Regime fallen würde.
WELT: Aber was ist nun der richtige Weg? Mit allen militärischen Mitteln vorzugehen?
Hofreiter: Da gibt es eine große Unsicherheit darüber, weil man einfach schlichtweg nicht weiß, was im Iran passiert. Und auch nicht, ob das, was Israel gerade macht, wirklich hilft, den Iran von der Bombe abzubringen oder ihn nicht eher motiviert, mit noch mehr Energie nach der nuklearen Bombe zu streben. Niemand darf vergessen: Die israelische Armee verfügt zwar über große Fähigkeiten, aber nicht darüber, bunkerbrechende Waffen einzusetzen – beziehungsweise sie haben weder die Flugzeuge noch die Waffen dafür. Die haben nur die USA. Nach allem, was man weiß – man muss da vorsichtig sein –, ist oberflächlich einiges zerstört, aber die tief im Fels verbunkerten atomaren Anreicherungsanlagen des Irans sind noch nicht zerstört. Und Israel hat auch nicht die Fähigkeiten, sie zu zerstören.
WELT: US-Präsident Donald Trump hat flapsig angedeutet, die USA könnten das iranische Oberhaupt Ayatollah Ali Chamenei umbringen. Was halten Sie davon?
Hofreiter: Es ist selbstverständlich völkerrechtswidrig. Das mag eine bittere Erkenntnis sein – aber das Völkerrecht gilt auch für Schurkenstaaten, und es ist im Kern undenkbar, einen, wie auch immer man ihn nennen mag, Diktator, islamistischen Herrscher eines Schurkenstaates umzubringen. Das ist ein ganz, ganz schwieriger Präzedenzfall. Das kann sich in alle möglichen Richtungen auswirken, und vor allem, glaube ich, sollte man bei gerade den Äußerungen von Trump eins nie vergessen: Trumps Worte sind einfach nichts wert. Und ich glaube, das muss eine Mahnung an uns alle sein, eine Mahnung an Israel, eine Mahnung an Europa – man kann sich auf Trump nicht verlassen. Selbst, wenn man scheinbar ein gutes Gespräch hat; selbst, wenn man scheinbar die Unterstützung von ihm hat, das kann in fünf Minuten schon wieder anders sein. Die überwölbende Lehre dieses G-7-Gipfels ist: Europa steht, was seine eigene Sicherheit angeht, alleine da. Und wir müssen endlich lernen, alleine für unsere Sicherheit zu sorgen – egal, ob es die Ukraine ist oder die südliche Nachbarschaft. Und ich glaube, Israel muss sich ähnliche Fragen stellen. So schlimm es ist, aber wir müssen uns sehr ernsthaft darum kümmern.
WELT: Wie ist das für Sie als Vorsitzender des Europaausschusses, dass wir hier im Grunde ja eigentlich nur zugucken, was da auf der Welt passiert? Ein Player sind wir nicht.
Hofreiter: Wir könnten in der Ukraine ein Player sein, weil sich da die Lage im Verhältnis zu Nahost für uns besser darstellt. In Nahost sind wir kaum in der Lage einzugreifen. Wenn man sich das alles anschaut, muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Europäische Union deutlich verteidigungsfähiger werden muss. Wir müssen mehr – man kann es ganz simpel sagen – Waffen produzieren, wir müssen aufrüsten, so bitter das ist, aber das ist dringend notwendig. Es gab so viele Warnschüsse. Jetzt sollten es die Europäer endlich kapieren. Ich habe manchmal das Gefühl, dass es auch bei uns noch viele naive Transatlantiker gibt, die darauf hoffen, weil das Gespräch von Merz mit Trump gut gelaufen ist, dass man darauf doch irgendwas bauen kann. Nein, ich glaube, darauf können wir nichts mehr bauen. Wir sind ein Kontinent – allein die Europäische Union hat 450 Millionen Einwohner. Wir haben eine gigantische Wirtschaftskraft. Wir müssen jetzt endlich lernen, selbst zu handeln.
Das Interview wurde für WELT TV geführt. In dieser schriftlichen Fassung wurde es zur besseren Lesbarkeit leicht gekürzt und redaktionell bearbeitet.
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