Edzard Reuter, der Sohn des früheren Berliner Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter (SPD), war am 27. Oktober vergangenen Jahres im Alter von 96 Jahren gestorben und auf dem Waldfriedhof Berlin-Zehlendorf beerdigt worden. Seitdem machte die Ehrengrabstätte einen verwahrlosten Eindruck.

Matthias Kleinert, einst „Generalbevollmächtigter für Politik und Außenbeziehungen“ von Daimler, wandte sich deshalb am 4. Juni mit einem Protestschreiben an den amtierenden Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU). Darin beschwerte er sich darüber, dass die Ehrengrabstätte von Edzard Reuter „völlig ungepflegt und unwürdig“ sei. Kleinert hatte vor seiner Tätigkeit für Daimler-Benz lange als Regierungssprecher für den früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth (CDU) gearbeitet.

Auf der Grabstätte in Berlin-Zehlendorf ragen zwei dünne Holzstelen aus dem Boden, eine für Edzard Reuter und die andere für seine Ehefrau Helga. Beide waren im November gemeinsam im Friedhofsfeld „038“ beerdigt worden. Seitdem sieht es dort aus wie ein Armengrab. Vorn liegt nur ein roter Backstein mit dem Emblem eines Bären und der lädierten Aufschrift: „Ehrengrab Land Berlin“. Nebenan befinden sich die ebenfalls schlichten Ehrengräber von Ernst Reuter und des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt, die aber wenigstens jeweils eine Pflanzenschale zieren.

Zuständig ist in diesem Fall nicht der Senat, sondern das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf. Die Bürgermeisterin des Bezirks, Maren Schellenberg (Grüne), sieht die „Nutzungsberechtigte“ der Grabstätte in der Verantwortung – nach WELT-Informationen die Stiftung „Helga und Edzard Reuter“. Das Ehepaar hat keine Nachkommen. „Für die Pflege der Erstanlage der Ehrengrabstellen ist zunächst der Nutzungsberechtigte verantwortlich“, ließ Schellenberg auf Anfrage ausrichten.

Peer Fischer von der Stiftung teilte hingegen mit: „Bei der Grabstätte handelt es sich um ein Doppelgrab von Edzard und Helga Reuter. Das Grab von ihm ist ein Ehrengrab der Stadt Berlin.“ Man wolle sich an den Senat wenden, „um eine zumindest anteilige Kostenübernahme“ für das Grab von Edzard Reuter zu erreichen. Eine neue Berliner Posse bahnte sich an.

Die Stiftung war davon ausgegangen, dass ein solches Grab auch von der Stadt gepflegt wird – ein Irrtum. Nach den Anfragen von WELT dazu einigten sich Bezirk und Stiftung: Letztere übernimmt nun sämtliche Kosten für die Grabpflege. Der Ex-Daimler-Bevollmächtigte Matthias Kleinert begrüßt die Lösung: „Das Ganze hat lange gedauert. Manchmal braucht es einen Anstoß von außen.“ Nach WELT-Informationen bat der Senat nach Eingang seines Protestbriefs das Bezirksamt um Aufklärung. Damit scheint die ärgerliche Angelegenheit geklärt zu sein.

Im Jahr 1997 hatte es schon mal Ärger gegeben. Damals drohte Edzard Reuter, dem Ernst-Reuter-Platz, der in der Nähe der Technischen Universität im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf liegt, den Namen zu entziehen. Der Grund: Verwahrlosung. Die von Autos umtoste Grünanlage, die mit einem Durchmesser von 230 Metern größer ist als der Petersplatz in Rom, wurde schwer vernachlässigt. Der Brunnen mit einem Wasserbecken und 41 Fontänen war marode.

Der Sozialdemokrat Reuter hatte an die damalige SPD-Bezirksbürgermeisterin Monika Wissel einen geharnischten Protestbrief geschrieben. „Seit längerer Zeit macht mir der Zustand des Ernst-Reuter-Platzes große Sorge“, schrieb Reuter. Der Platz sei „verunziert“, der Zustand der Brunnenanlage „unerträglich.“ Deshalb behalte er sich eine Überprüfung vor, das Einverständnis der Familie für die Namensgebung des Platzes zurückzuziehen. Doch dazu kam es nicht, weil Reuter laut Senat keine entsprechenden rechtlichen Möglichkeiten hatte.

Spitzenmanager und Stifter

Edzard Reuter war in Ankara aufgewachsen, weil die Familie vor dem NS-Regime in die Türkei flüchtete. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte er Mathematik und Physik studiert, später zudem Jura in Göttingen und Berlin. Nach beruflichen Stationen als Prokurist bei der Ufa und als Mitglied der Geschäftsleitung der Bertelsmann Fernsehproduktion in München, wechselte Reuter 1964 zu Daimler-Benz. Im Juli 1987 stieg er auf Betreiben des Deutsche Bank-Chefs Alfred Herrhausen, der zwei Jahre später von der RAF ermordet wurde, zum Vorstandsvorsitzenden der Daimler-Benz AG auf. Reuter, der in Stuttgart in der Nähe des Konzernsitzes lebte, war 1998 zum Ehrenbürger von Berlin ernannt worden.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte Reuter nach seinem Tod als eine Persönlichkeit gewürdigt, die „ein Stück deutsche Industriegeschichte mitgeschrieben“ habe. Er hätte maßgeblichen Anteil daran gehabt, dass der Autohersteller zu einem großen, weltweit agierenden Technologiekonzern geworden sei. Laut Steinmeier hat Deutschland mit Reuter einen Manager, Stifter und engagierten Bürger verloren.

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