Sachbeschädigungen, Bedrohungen, körperliche Angriffe: Antisemitismus-Vorfälle haben 2024 in Deutschland laut der Meldestelle Rias einen neuen Höchststand erreicht.

Lahav Shapira hatte gerade mit einer Freundin die Bar in Berlin-Mitte verlassen, da sprach ihn ein Mann an. Ob er Lahav sei? Shapira bejahte, es folgte ein kurzer Wortwechsel, dann schlug der Angreifer unvermittelt zu. Shapira ging zu Boden. Als er sich aufrichten wollte, folgte ein Tritt ins Gesicht. Lahav Shapira erlitt eine komplexe Mittelgesichtsfraktur und eine Hirnblutung. Er war lange im Krankenhaus, musste unzählige Operationen über sich ergehen lassen. 

Lahav Shapira ist Jude. Der Angreifer, ein ehemaliger Kommilitone von Shapira, stammt aus einer palästinensischen Familie. Er wurde unlängst zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. "Der Angeklagte hat aus einer antisemitischen Motivation heraus gehandelt", erklärte der Richter.

Knapp 24 antisemitische Vorfälle – jeden Tag

Die brutale Gewalttat im Februar vergangenen Jahres ist einer von insgesamt 8627 antisemitischen Vorfällen, die der gemeinnützige Verein Rias (Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus) im Jahr 2024 dokumentiert hat. Das sind knapp 24 Fälle pro Tag und entspricht einem Anstieg von fast 77 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (2023: 4886 Vorfälle). Am Mittwoch hat die Meldestelle ihren Jahresbericht in Berlin vorgestellt.

"Das Ausmaß und die Qualität antisemitischer Vorfälle in Deutschland ähnelten auch 2024 stark dem Zustand in den ersten Monaten nach den Massakern im Oktober 2023", heißt es in dem Bericht. "Eine Entspannung der Situation war im Zeitraum dieses Berichts nicht zu erkennen."

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Die Schläge und Tritte gegen Lahav Shapira sind eine besonders krasse, nicht alltägliche Form der Gewalt. Rias dokumentiert die antisemitischen Vorfälle niedrigschwellig, auch solche, die nicht strafbar sind. Es mögen vermeintliche Kleinigkeiten darunter sein. Doch in der Masse lassen sie erahnen, wie weit verbreitet der Antisemitismus hierzulande ist, welchen Anfeindungen und Bedrohungen Jüdinnen und Juden heute in Deutschland tagtäglich ausgesetzt sind.

Da ist ein Hakenkreuz, das in einem Hamburger Mehrfamilienhaus neben die Wohnungstür eines jüdischen Ehepaars gemalt wurde. Da ist eine Schmiererei in einem Hörsaal der Chemnitzer Universität: "Je dicker der Jude, desto wärmer die Bude." Da sind Stolpersteine, die mit Säure übergossen und beschädigt wurden. Und da ist ein Plakat auf einer Demo in Düsseldorf, das dem mittlerweile getöteten Hamas-Führer Yahya Sinwar huldigte. Er gilt als Mastermind hinter dem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober 2023.

Angriffe, Bedrohungen und "verletzendes Verhalten"

Rias spricht von acht Fällen extremer Gewalt, 186 Angriffen und 300 Bedrohungen. Hinzu kommen 443 gezielte Sachbeschädigungen sowie 176 Massenzuschriften, etwa an jüdische oder israelische Institutionen. Der größte Teil fällt in die Kategorie "verletzendes Verhalten", hier wurden 7514 Vorfälle erfasst. Damit sind antisemitische Äußerungen oder Schmierereien, Plakate und Aufkleber gemeint – sowie Versammlungen, in denen etwa durch Redebeiträge judenfeindliche Stereotype verbreitet wurden. 1802 solcher Demonstrationen und Kundgebungen hat die Meldestelle im Jahr 2024 registriert.

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Mit 26 Prozent war im Jahr 2024 der "antiisraelische Aktivismus" der häufigste politisch-weltanschauliche Hintergrund antisemitischer Vorfälle. Gleichzeitig erfasste die Meldestelle mit 544 Fällen die bislang höchste Anzahl antisemitischer Vorfälle mit rechtsextremem Hintergrund seit Beginn des bundesweiten Vergleichs im Jahr 2020.

Antisemitismus für Juden ein "alltagsprägendes Problem"

Antisemitismus, heißt es von Rias, sei für Jüdinnen und Juden in Deutschland ein "alltagsprägendes Problem". Anschläge wie auf das israelische Generalkonsulat in München oder die Synagoge in Oldenburg verschärften "die ohnehin angespannte Sicherheitslage und verstärken das Gefühl von Verunsicherung".

“Mit großer Sorge beobachten wir die Entwicklung des wachsenden Antisemitismus in Deutschland", sagte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) zum Bericht. "Nachdem die erst kürzlich von mir vorgestellten Jahresfallzahlen der politisch motivierten Kriminalität 2024 einen neuen Höchststand antisemitischer Straftaten dokumentierten, zeigt der nun vorgelegte RIAS-Jahresbericht ein ähnlich bedrohliches Bild."

Der von Rias dokumentierte Anstieg antisemitischer Vorfälle korrespondiert mit den Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik. Im vergangenen Jahr wurde von den Polizeibehörden ein Höchstwert von 6236 Straftaten registriert.

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