Das Atomprogramm des Iran sorgt wieder einmal für internationale Spannungen. Nach dem Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen von 2015 suchen beide Seiten nun einen neuen Deal. Doch die Gespräche sind heikel, der Spielraum klein.

Und die Zeit drängt: Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) meldete zuletzt einen Anstieg fast waffenfähigen Urans im Iran auf fast 409 Kilogramm mit 60 Prozent Reinheit. Nach Schätzungen des amerikanischen Geheimdienstes würde es einige Wochen dauern, bis daraus ein mit 90 Prozent angereicherter Brennstoff für eine Bombe entsteht – und zwischen wenigen Monaten und einem Jahr, eine Atomwaffe herzustellen.

Paul Fritch, früher US-Diplomat bei Nato, OSZE und der IAEO, beobachtet die Entwicklungen heute als Senior Fellow am Middle East Institute in der Schweiz.

WELT: Herr Fritch, die Spannungen im Zusammenhang mit dem iranischen Atomprogramm nehmen wieder zu. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?

Paul Fritch: Die Lage ist derzeit in vielerlei Hinsicht interessant – mit Risiken, aber auch Chancen. Als die neue US-Regierung ihr Amt antrat, übernahm sie eine erheblich verbesserte strategische Perspektive gegenüber dem Iran. Der Iran war regional geschwächt – durch den Gaza-Krieg mit der Hamas, durch die Niederlage der Hisbollah im Libanon und die Situation mit den Huthis im Jemen. Auch die Golfstaaten zeigten sich erstmals offen für eine diplomatische Lösung mit Teheran – ein fundamentaler Wandel im Vergleich zur ersten Trump-Administration. Aber diese Schwächung Irans hat zugleich eine riskante Dynamik ausgelöst: Die Führung in Teheran scheint nun verstärkt auf den Aufbau nuklearer Abschreckung zu setzen.

WELT: Wie hat sich die Haltung der Amerikaner entwickelt?

Fritch: Die Trump-Regierung bemüht sich überraschend intensiv um ein neues Abkommen – teils unter dem Einfluss der Golfstaaten, teils aus strategischem Interesse, sich aus weniger prioritären Regionen zurückzuziehen. Allerdings sind die technischen Voraussetzungen heute schwieriger. Zugleich wächst die Entkopplung von Israel: Waffenstillstand mit den Huthis, ein Geiselabkommen ohne Rücksicht auf Jerusalem, die Nahostreise des Präsidenten ohne Israel-Besuch – das alles zeigt, wie schwach die Abstimmung inzwischen ist. Und je näher ein Abkommen mit Iran rückt, desto größer wird ironischerweise das Risiko, dass Israel militärisch allein gegen iranische Nuklearanlagen vorgeht.

WELT: US-Präsident Donald Trump will eine eigenständige Urananreicherung des Iran nicht zulassen. Medienberichten zufolge sieht ein neuer Vorschlag des US-Sondergesandten Steve Witkoff aber vor, Teheran unter Auflagen eine begrenzte Anreicherung für zivile Zwecke zu erlauben. Wie realistisch ist die Forderung nach einer Nullanreicherung?

Fritch: Ja, die USA haben gesagt, dass die Nullanreicherung eine rote Linie ist, aber das war nie die Grundlage für ein Abkommen und wurde immer als Eröffnungsangebot in einer Verhandlung verstanden. Der jüngste Vorschlag scheint dies zu bestätigen, wenn die Berichte korrekt sind.

WELT: Iran beruft sich auf sein Recht – gemäß dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen von 1968 – auf eine friedliche nukleare Anreicherung für zivile Zwecke. Wie lässt sich zwischen zivilen Aktivitäten und der möglichen Entwicklung von Atomwaffen unterscheiden?

Fritch: Entscheidend ist ein Kontrollsystem, das internationalen Inspektoren uneingeschränkten Zugang zu Nuklearanlagen gewährt – ähnlich dem iranischen Atomabkommen von 2015. Da das iranische Programm gewachsen ist, gibt es auch mehr Anlagen zu überwachen, was noch strengere Inspektionen erfordert. Aber die Fähigkeiten der USA in Bezug auf Umsetzung, Überwachung und Inspektion sind nicht mehr das, was sie vor zehn Jahren waren.

WELT: Wie real ist die Gefahr einer militärischen Eskalation? Sind Israels Signale echte Vorbereitungen oder strategische Kommunikation?

Fritch: Israel bereitet sich ständig auf einen Militärschlag gegen Irans Nuklearanlagen vor – das ist fester Bestandteil der Ausbildung und Notfallplanung. Was die Wahrscheinlichkeit angeht, dass es tatsächlich passiert – ja, ich denke, das liegt absolut im Bereich des Möglichen. Sollte Israel den Eindruck gewinnen, dass Verhandlungen die eigenen Sicherheitsinteressen gefährden, ist ein einseitiger Militärschlag realistisch.

WELT: Wie würden die USA reagieren? Würden sie Israel militärisch unterstützen?

Fritch: Das hängt davon ab, wie und wo Iran reagiert. Wenn Angriffe US-Militäranlagen treffen, wäre eine direkte US-Reaktion wahrscheinlich, andernfalls eher nicht. Raketenangriffe auf israelisches Gebiet gab es schon, und bisher haben beide Seiten solche Eskalationen relativ gut gemanagt. Die derzeit ungewöhnlich schlechte Kommunikation und Koordination zwischen Washington und Jerusalem erhöht das Risiko allerdings zusätzlich.

WELT: In den vergangenen Jahren gab es vorsichtige diplomatische Annäherungen zwischen Israel und einigen Golfstaaten. Sehen Sie diese Entwicklungen als Teil einer koordinierten Strategie zur Eindämmung des iranischen Atomprogramms?

Fritch: So hat es zumindest begonnen. Die Abraham-Abkommen waren eine bewusste Initiative der USA, unterstützt von Israel, um die Beziehungen zwischen Israel und den Golfstaaten zu normalisieren. Das gemeinsame Ziel war, das iranische Atomprogramm und Irans Stellvertreteraktivitäten in der Region einzudämmen. Doch seit den Angriffen am 7. Oktober liegt die Normalisierung auf Eis, und je brutaler der Krieg in Gaza, desto geringer die politische Bereitschaft der Golfstaaten, den Prozess fortzusetzen. Das beeinflusst auch ihren Umgang mit Teheran.

WELT: Wie könnte ein realistischer Kompromiss für einen neuen Atom-Deal aussehen, der Irans Souveränität anerkennt und zugleich westliche Sorgen vor einer Proliferation ernst nimmt?

Fritch: Wahrscheinlich kämen wir auf eine erweiterte Version des Atomabkommens von 2015 zurück, aus dem Präsident Trump einst ausgestiegen ist. Das bedeutet, dass Iran seine Anreicherungskapazitäten freiwillig begrenzt und ein strenges Inspektionssystem dafür sorgt, dass diese Grenzen eingehalten werden. Im Gegenzug gäbe es eine gewisse Sanktionsentlastung. Diese drei Elemente – Begrenzung, Kontrolle und Entlastung – sind zentral, doch alle sind heute deutlich komplizierter umzusetzen als vor dem Ausstieg der USA.

WELT: Würden Verhandlungen um ein neues Atomabkommen von einem multilateralen Format profitieren – etwa mit Einbeziehung von China und Russland?

Fritch: Irgendwann wird das unvermeidlich sein, denn andere Akteure werden eine unausweichliche Rolle spielen. Iran bevorzugt derzeit ein bilaterales Format mit den USA. Aber sobald es einen möglichen Deal gibt, wird dieser wohl dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt, wo Russland und China wieder eine Rolle spielen. Alternativ könnte es ein Format geben, das auch die EU einbezieht, besonders wegen möglicher Sanktionserleichterungen.

WELT: Wie viel Zeit bleibt, um eine diplomatische Lösung zu finden, bevor eine kritische Schwelle überschritten ist?

Fritch: Das ist eine große Frage, denn es gibt viele Schwellen – einige sind bereits überschritten. Eine davon war Irans Fähigkeit zur Urananreicherung. Wir sind da schon drüber, und müssen einen Weg finden, das rückgängig zu machen.

WELT: Und es bräuchte nicht viel, um eine noch höhere Eskalationsstufe zu erreichen?

Fritch: Ja, theoretisch. Aber ich glaube nicht, dass wir diese Schwelle überschreiten werden, denn das aktuelle Niveau reicht, um die beabsichtigte Botschaft zu senden. Dieser Zustand könnte noch eine Weile andauern.

WELT: Trump kündigte an, bald ein Abkommen abzuschließen.

Fritch: Trump sagt viel – etwa, als er Russland und der Ukraine zwei Wochen gab, was vor zwei Monaten war. Was diese Pattsituation auflösen könnte, ist die Ungeduld der US-Regierung. Da keine militärische Option angestrebt wird, bleibt ein Deal das Ziel. Die Frage ist, ob die USA und Iran bereit sind, die nötigen Kompromisse einzugehen. Aber ich sehe nicht, dass sich die Lage in zwei bis vier Wochen entscheidet.

WELT: Glauben Sie, dass es zu einem Deal kommen wird?

Fritch: Im Moment ist vieles unvorhersehbar, weil der Entscheidungsprozess im Weißen Haus wie eine Black Box funktioniert. Es sieht allerdings ganz so aus, als wolle Trump unbedingt ein Abkommen abschließen – vor allem, um am Ende sagen zu können: „Ich habe den Deal gemacht, nicht Biden.“ Die Umsetzung eines Abkommens wäre jedoch alles andere als einfach. Ich bin nicht sicher, ob von Anfang an alle Details sauber geregelt würden. Gerade die Überwachung wird eine Herausforderung, nicht zuletzt, weil die US-Geheimdienste seit dem Regierungswechsel geschwächt sind. Aus meiner Erfahrung als Rüstungskontrolleur weiß ich: Der Schlüssel zu jedem Abkommen liegt im Inspektionsmechanismus.

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