Würgegriff und Vorschlaghammer – Putins neue Drohnen-Taktik im Bodenkrieg
Im westlichen Publikum hat sich die Vorstellung durchgesetzt, dass Putins Armee mit großer Rücksichtslosigkeit gegenüber eigenen Verlusten mehr oder minder primitiv-brutal vorgeht – ein Stichwort sind die "Wellenangriffe", die es im Ukrainekrieg tatsächlich nicht gibt. Experten wie Mark Takacs, der darauf hinweist, dass in keinem Land der Krieg so sehr als Wissenschaft betrieben wird wie in der ehemaligen UdSSR und später in Russland, sind in der Minderheit.
Der Aufstieg des Drohnenkriegs
Seit der gescheiterten Sommeroffensive der Ukrainer im Jahr 2023 drängen die Russen die Verteidiger unablässig zurück. Zwar erschwert die Perfektionierung des Drohnenkriegs Angriffe und Bewegungen am Boden und macht sie verlustreich. Und hier kann die Ukraine den Russen Paroli bieten. Anders als bei anderen Waffensystemen wie Panzern oder Luftabwehrsystemen ist sie nicht hoffnungslos unterlegen.
Gerade auf kleinen FPV-Drohnen basiert jedoch die jüngste Verbesserung im taktischen Vorgehen der Russen. Neben FPV-Drohnen setzen die Russen zunehmend auch Lancet-Drohnen ein, die mit höherer Präzision und größerer Sprengkraft ausgestattet sind, was die Bedrohung für ukrainische Stellungen und Fahrzeuge verstärkt. Die Überschrift nennt es "Würgegriff und Vorschlaghammer", auch der Begriff "Dreifacher Würgegriff" wurde genutzt– passend wäre auch die Bezeichnung "Drohnenkessel".

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Funktionsweise des Drohnenkessels
Was ist damit gemeint? Den Russen gelingt es, regional die Herrschaft über den unteren Luftraum, in dem die kleinen Drohnen operieren, zu erlangen. Sie nutzen diese, um alle Verbindungswege der ukrainischen Fronttruppen systematisch und dauerhaft zu blockieren. Niemand kommt rein, niemand kommt raus. Ein klassischer Kessel, nur dass die ukrainischen Truppen nicht von russischen Soldaten umzingelt sind. Diese Taktik erinnert an historische Belagerungsstrategien, wie sie etwa in der Schlacht um Stalingrad eingesetzt wurden, allerdings modernisiert durch den Einsatz unbemannter Systeme, die eine physische Umzingelung überflüssig machen. Auf Karten wird das Gebiet weiterhin als "unter ukrainischer Kontrolle" geführt – nur dass die Ukrainer es aufgrund der Drohnenbedrohung kaum betreten können.
Vier Phasen der russischen Taktik
Dieser Einschluss ist jedoch nur ein Element. Tatsächlich lässt sich das Vorgehen der Russen in vier Phasen unterteilen. Zunächst müssen die Voraussetzungen für den Drohneneinsatz geschaffen werden. Die Russen rücken nah an die lebenswichtigen Versorgungslinien der Ukrainer heran. Dafür suchen sie Schwachstellen in der Front, die in der Nähe eines ukrainischen Stützpunkts liegen. Die Verteidiger sind in der Lage, ihre Bastionen zu halten und zäh zu verteidigen, können aber entlang der über 1000 Kilometer langen Front keine gestufte Verteidigungslinie mit sich gegenseitig deckenden Stellungen aufbauen.
Zwischen den starken Punkten gibt es große, kaum oder schwach besetzte Lücken. Hier sickern die Russen mit kleinen, mobilen Trupps ein, sobald sie eine Schwachstelle erkannt haben, und treiben einen Keil in das ukrainische Gebiet – so weit, bis links und rechts des eigentlichen Ziels zwei Vorsprünge entstanden sind. Diese müssen sich nicht wie Zangen schließen.
Von diesen Keilen aus operieren die Drohnen. Die nominale Reichweite sagt bei kabelgesteuerten Drohnen wenig aus, da diese durch Glasfaserkabel über weite Distanzen präzise gesteuert werden können. Die Russen müssen auf unter zehn Kilometer an die Lebensadern der Ukrainer heran. Dann beginnen sie, diese langsam abzuschneiden und gleichzeitig die Besatzung des eigentlichen Ziels mit Drohnen, Artillerie und Gleitbomben zu zermürben.

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Die Falle schnappt zu
Und dann schnappt die Falle zu. Die Russen greifen die zentrale Position an, jedoch nicht, um sie zu stürmen. Ihr Angriff soll die Verteidiger zwingen, alle Stellungen zu besetzen und dafür im Hinterland versteckte Einheiten direkt an die Frontlinie zu schicken. Ist dies geschehen, zwingen ihre Drohnen die Ukrainer, in ihren Bunkern, Kellern und Gräben Schutz zu suchen. Dort sind sie vor den Drohnen mit ihren kleinen Sprengladungen einigermaßen sicher.
Doch der Sturm bleibt aus. Nun werden diese Stellungen systematisch von Artillerie und russischen Gleitbomben zerstört. Die Russen setzen Bomben von 1,5 und drei Tonnen ein, denen auch schwere Befestigungen nicht widerstehen können. Ein Ausweichen oder Rückzug sind wegen der russischen Drohnenübermacht nicht möglich. Sie kreisen über dem Kampfgebiet. Videos zeigen, wie diese Drohnen über den Zufahrtswegen patrouillieren – ununterbrochen und in Paaren überwachen sie die Routen. Drohnen, die von Glasfaserkabeln gesteuert werden, können elektronisch nicht gestört werden. Russland hat seine Drohnenproduktion seit 2023 massiv ausgeweitet und produziert Schätzungen zufolge mehrere tausend FPV-Drohnen pro Monat. Ein Durchkommen mit Fahrzeugen ist unmöglich, die Truppen an der Front sind isoliert.
Zermürbung und psychologische Wirkung
"Es handelt sich um eine sehr zermürbende Kriegsführung", so Nick Reynolds, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Landkriegsführung am Royal United Services Institute (RUSI). "Aufgrund der Drohnen ist die Ukraine gezwungen, die Frontlinie mit statischen Verteidigungspositionen zu besetzen. Das Eingraben und alle diese Schutzmaßnahmen sind gut geeignet, um die Verluste durch Artillerie oder FPVs zu verringern, doch Gleitbomben zerstören diese Befestigungen und begraben Menschen. Was die ukrainischen Streitkräfte an Ort und Stelle festhält, ist die kombinierte Bedrohung durch russische Bodenoperationen, Artillerie und Drohnen, insbesondere FPV und taktische unbemannte Luftfahrzeuge."
Eine ausreichende Versorgung wird unmöglich. Die Isolation durch Drohnenkessel wirkt sich nicht nur logistisch, sondern auch psychologisch auf die ukrainischen Truppen aus, da die ständige Bedrohung durch Drohnen und Gleitbomben die Moral untergräbt und die Verteidigung erschwert. Verwundete und Schwerverletzte, die in einem Krankenhaus gerettet werden könnten, bleiben zum Sterben in den Stellungen, die langsam eingeebnet werden. Irgendwann müssen diese aufgegeben werden. Die überlebenden Verteidiger versuchen dann in kleinsten Gruppen, sich durch Wälder und entlang von Baumgruppen abzusetzen – immer gejagt von den russischen Drohnen.

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Der Drohnenkessel in Kursk
Im großen Maßstab haben die Russen einen derartigen Drohnenkessel erstmals bei dem ukrainischen Frontvorsprung in der Region Kursk im Sommer 2024 erreicht. Dort hatten die Ukrainer einen Verteidigungsgürtel um die von ihnen eroberte Kleinstadt Sudscha errichtet. Doch als es den Russen gelang, die Frontbeule an der Wurzel einzudrücken und sich bis auf wenige Kilometer an die einzige Zufahrtsstraße heranzuarbeiten, errichteten sie über der Route eine totale Drohnenkontrolle. Diese Drohnen besiegelten das Schicksal der Ukrainer bei Sudscha, auch wenn der spektakuläre russische Überraschungsangriff durch die Tunnel einer Gaspipeline mehr Aufmerksamkeit auf sich zog.
Strategische Auswirkungen
Diese Methode soll die russischen Verluste begrenzen und die der Ukrainer steigern. Die Russen exponieren sich bei der Eroberung ihrer seitlichen Vorsprünge und bei dem angedrohten Angriff und werden in dieser Phase Verluste hinnehmen. Danach setzen sie jedoch auf die Wirkung ihrer Drohnen und Gleitbomben, ohne eigenes Personal zu gefährden.
Die Ukrainer hingegen können keine erfolgreiche zurückweichende Verteidigung mehr führen, auf der ihr strategisches Kalkül basiert. Dieses besagt, gut befestigte Positionen eine Zeit lang zu halten, dem stürmenden Angreifer schwere Verluste zuzufügen und sich – im Idealfall – rechtzeitig zurückzuziehen, um einige Kilometer weiter neue Befestigungen zu beziehen. So müssten die Russen die Kosten des Angriffs tragen, ohne je einen wirklichen Durchbruch zu erzielen. Bei dem geringeren Vormarschtempo der Russen würde es etliche Jahre dauern, bis sie den Dnepr erreichen, und lange vorher wären ihre Kräfte erschöpft.
Optimierung des Abnutzungskriegs
Das Konzept eines Drohnenkessels kehrt diese Verhältnisse um und "optimiert" den Abnutzungskrieg, den Putin führt. Die Russen setzen nur zeitweise Infanteristen ein, und dies nur in kleineren Gruppen. Sie versuchen jedoch, größere Truppenstärken der Ukraine an die Front zu locken, dort zu fixieren und möglichst vollständig auszuschalten. Damit packen sie Kiew an der verwundbarsten Stelle: der Truppenstärke an der Front.

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Grenzen und Gegenmaßnahmen
Man sollte nicht vergessen, dass dies ein Modell ist, das nur in der Theorie hundertprozentigen Erfolg verspricht. In der Realität kann es ganz anders aussehen, etwa wenn es den Russen nicht gelingt, sich an den Flanken des eigentlichen Ziels vorzuarbeiten, oder wenn Kiew eigene Drohnen konzentrieren kann, die ihrerseits die in der Umgebung zusammengezogenen Russen bekämpfen. Etwa indem ihre schweren Lastdrohnen die russischen Versorgungswege mit Minen bestücken oder es ihnen gelingt, die Drohnenoperatoren des Gegners zu entdecken und auszuschalten. Was bleibt, sind die gewaltigen Gleitbomben. Russland will im Jahr 2025 75.000 Stück produzieren, das wären rund 205 Bomben am Tag. Diese massive Produktion ermöglicht es Russland, die Intensität der Angriffe auf ukrainische Stellungen weiter zu steigern, was die strategische Lage für die Ukraine zusätzlich verschärft.
Herausforderungen für die Ukraine
Die russischen Gleitbomben können nur gestoppt werden, wenn es den Ukrainern gelänge, die Trägerflugzeuge anzugreifen. In der Luft ist dies wegen der russischen Luftabwehr kaum vorstellbar. Die Lieferung westlicher Waffensysteme wie F-16-Kampfjets, die seit 2024 in begrenzter Zahl in der Ukraine eingesetzt werden, könnte die Fähigkeit zur Bekämpfung russischer Trägerflugzeuge verbessern, erfordert jedoch eine erhebliche Ausbildung der Piloten und die Bereitstellung moderner Luft-Luft-Raketen. Denkbar wären dagegen Angriffe, wenn die Jets am Boden sind – etwa mit westlich gelieferten Raketen wie ATACMS oder Storm Shadow Marschflugkörpern oder dem deutschen Taurus. Waffen hoher Reichweite. Solche Angriffe erfordern jedoch präzise Geheimdienstinformationen aus westlichen Quellen und eine erhebliche logistische Koordination, was die Umsetzung zur Herausforderung macht.
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