In Washington zeigt Wadephul ein neues deutsches Selbstbewusstsein – aber unfreiwillig
Es regnete Bindfäden am Mittwoch in Washington, für Ende Mai war es viel zu kalt. Überhaupt hatte der deutsche Außenminister eine schlechte Woche erwischt. Der US-Kongress ist in der Sitzungspause, Termine mit hochkarätigen Gesprächspartnern waren nicht zu bekommen.
Johann Wadephul betonte deshalb, dass sich Amtskollege Marco Rubio an dessen 54. Geburtstag Zeit für den Besucher aus Berlin genommen habe. Wadephul betonte auch, dass die „historisch gewachsene Beziehung“ zwischen beiden Ländern ein Fundament sei – „gerade dann, wenn wir unterschiedliche Perspektiven haben. Dann kann man auch klar und selbstbewusst miteinander umgehen und kommunizieren.“ Nur diese zwei starken Pfeiler könnten die Brücke über den Atlantik tragen.
Der CDU-Politiker hatte Rubio nicht nur ein Geburtstagsgeschenk mitgebracht, ein gerahmtes Ankündigungsposter von einem Spiel der Miami Dolphins, Rubios Football-Team, im November 2023 in Frankfurt, Limited Edition. Sondern auch das neue außenpolitische Selbstbewusstsein, das sein Bundeskanzler ausgegeben hat.
Doch in den vielen internationalen Konflikten, mit denen der Westen konfrontiert ist, wirkt dieses deutsche Selbstbewusstsein unfreiwillig. Die Entscheidungen des US-Präsidenten sind unberechenbar. Auf Schnittmengen mit Donald Trump, sei es in Sachen Ukraine oder Gaza, kann sich Berlin nicht mehr verlassen.
Beispiel Israel. Zum Vorgehen der Regierung von Benjamin Netanjahu kommen dieser Tage scharfe Töne aus Berlin. Eine Tatsache, die auch in Washington wahrgenommen wird. Von einer „180-Grad-Wende“ sprach die Fox-News-Moderatorin, der Wadephul ein Interview gab. Ob Deutschland weiter Israel militärisch unterstütze, fragte sie den deutschen Gast. Wadephuls Antwort: Ja, aber. „Unsere Forderung an Israel ist, dass humanitäre Hilfe in den Gaza-Streifen gelangt“, sagte er.
Wadephul hielt damit an der neuen deutschen Position fest. Am Montag hatte Merz gesagt, er „verstehe das Ziel nicht mehr“, das Israel mit seiner Offensive im Gaza-Streifen verfolge, und dass man das Leiden der Zivilbevölkerung nicht mehr mit dem Kampf gegen die Hamas „begründen“ könne. Eine Aussage, die die Sprecherin von Rubios Ministerium, Tammy Bruce, noch am Dienstag kritisierte. Die Hamas habe die Menschen in Gaza „in diese Lage gebracht“ und „wenn wir über Maßnahmen nachdenken, die nicht mehr zu rechtfertigen sind“, solle man sich fragen, „wie es überhaupt zu dieser Situation gekommen ist.“
Auch beim Thema Ukraine gehen die Meinungen zwischen Washington und Berlin auseinander. Wadephul und Rubio konnten sich lediglich auf den Minimalkonsens verständigen, dass man für ein Ende des Krieges sei und Putin an den Verhandlungstisch bringen müsse. „Wir wollen einen sofortigen Waffenstillstand“, beteuerte der deutsche Chef-Diplomat.
Für Berlin ist das schmerzhaft. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte sich weit aus dem Fenster gelehnt, als er nach Amtsantritt bei seinem Besuch in Kiew die kurzzeitig per Telefon erreichte Einigung mit Donald Trump feierte. Der Westen werde gemeinsam Konsequenzen ziehen, sollte Putin nicht die Waffen ruhen lassen, hieß es. Der Kreml-Diktator zeigte sich davon unbeeindruckt. Das bringt Merz unter Druck.
Denn Washington ist derzeit nicht bereit, Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Zwar äußerte Trump sich in den vergangenen Tagen verärgert über Putin, nannte ihn „verrückt“ und unterstellte ihm, „mit dem Feuer“ zu spielen. Doch die Konsequenz ist weiterhin nicht, dass die USA Sanktionen verhängt.
Der Grund ist einfach. Trump glaubt immer noch daran, einen Deal mit Putin schließen zu können. „Ich möchte es nicht vermasseln, indem ich Sanktionen verhänge“, sagte er am Mittwoch im Oval Office. In „anderthalb bis zwei Wochen“ wisse man, ob ein Abkommen möglich sei, so Trump. „Wir werden dann wissen, ob er uns hinhält oder nicht.“ Wenn er die USA hinhalte, „werden wir ein bisschen anders antworten“, so der Präsident.
Wie das „Wall Street Journal“ zu Beginn der Woche berichtete, kursieren im Weißen Haus Pläne für die Verhängung von Sanktionen. Allerdings scheut man wohl vor wirksamen Sanktionen für den Bankensektor zurück und erwäge „andere Optionen“.
Für Deutschland ist das ein Problem. Berlin würde im Gleichschritt mit den USA handeln wollen. Doch ob die USA das wollen, dessen kann man sich nicht sicher sein. Um seine Glaubwürdigkeit gegenüber Putin zu bewahren, muss Europa deshalb im Zweifel allein handeln. Wadephul deutete an, dass die Europäische Union unabhängig von den USA vorgehen könnte. „Wir Europäer werden die Sanktionsschrauben anziehen, das 18. Sanktionspaket wird vorbereitet.“
Der US-Senat stehe auch zum Handeln bereit, fügt der CDU-Politiker eher vage hinzu. Damit bezieht er sich auf ein Gesetzespaket des republikanischen Senators Lindsey Graham, das sekundäre Sanktionen gegen Abnehmerländer russischer Energie in Form von Strafzöllen in Höhe von 500 Prozent vorsieht. Das Paket hat derzeit 82 Unterstützer in der Kammer. Es hat jedoch nur eine Chance verabschiedet zu werden, wenn Trump sich nicht offen dagegen sperrt, sagen Republikaner im US-Kongress hinter vorgehaltener Hand.
Stefanie Bolzen berichtet für WELT seit 2023 als US-Korrespondentin aus Washington, D.C. Zuvor war sie Korrespondentin in London und Brüssel. Hier finden Sie alle ihre Artikel.
Gregor Schwung berichtet für WELT seit 2025 als US-Korrespondent aus Washington, D.C. Zuvor war er als Redakteur in der Außenpolitik-Redaktion in Berlin für die Ukraine zuständig.
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