"Gerechter Frieden wahrscheinlich erst nach Putin"
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Die Frage nach dem Anzug scheint ihn zu überraschen: Der Präsident der Ukraine sitzt am späten Nachmittag RTL-Direkt-Moderatorin Pinar Atalay gegenüber. Sie möchte wissen, ob er jetzt doch Anzüge trage. Denn in der Tat – Wolodymyr Selenskyj hat so eine Art Jackett an. Er, der sonst immer nur Militärpullover anzieht. Weil er keinen Anzug tragen will, solange seine Ukrainer in Schützengräben sterben. Solange Russland jede Nacht seine Städte bombardiert. Solange sein Land nicht in Frieden leben darf. Bei seinem Besuch im Weißen Haus bei Donald Trump eckte er damit ziemlich an.
An diesem Mittwoch nennt er einen ganz praktischen Grund: "Berlin hat mich mit Regen empfangen und ich hatte mir etwas übergezogen", erklärt Selenskyj mit schmalem Lächeln. "Der Krieg ist noch nicht zu Ende", fügt er hinzu. "Die Kleidung ist etwas weniger wichtig." Geregnet hat es in der Tat, gewittert sogar, als er Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue besuchte. Doch als er mit seiner Entourage wieder abfuhr, war die Sonne durchgebrochen und ließ die benachbarte Siegessäule glänzen.
Nötige Schritte Richtung Frieden
Von einem Sieg ist die Ukraine noch weit entfernt. Russland rückt unerbittlich vor, jeden Tag einige hundert Meter. Allzu große Hoffnungen auf baldigen Frieden hat Selenskyj nicht: "Ich sehe keine Bereitschaft bei Putin, den Krieg zu beenden." Die Gespräche in Istanbul, das Telefonat mit Trump scheinen ihm Recht zu geben. "Ich weiß, welche Schritte wir gehen müssen, um den Krieg zu beenden", sagt er. Erst eine Waffenruhe, um dann über den Frieden zu verhandeln. "Wir werden wahrscheinlich erst nach Putin einen gerechten Frieden haben", sagt er.
Die Lage ist ernst, so wie bei seinen ersten drei Berlin-Besuchen. Und doch ist jetzt fast alles anders: Im Kanzleramt sitzt ein Neuer, der es besser als Olaf Scholz machen will. Kurz nach dem Amtseid reiste Friedrich Merz nach Kiew. Drei Wochen später macht Selenskyj den Gegenbesuch. Die Botschaft jenseits aller Vereinbarungen und Absichtserklärungen: Wir stehen zusammen, jetzt erst recht.
Das Interview bei RTL Direkt strahlt der Sender um 22:15 Uhr aus, aufgezeichnet wurde es am späten Nachmittag in einem Berliner Hotel. Selenskyj hat da schon ein volles Programm hinter sich. Ein langes Gespräch mit Merz und ein kürzeres mit Steinmeier, dazwischen eine Pressekonferenz mit dem Bundeskanzler. Der kündigte an, gemeinsam mit der Ukraine Waffen produzieren zu wollen. Die Dauerfrage nach dem Marschflugkörper Taurus umschiffte Merz. Die Rede war nur von Langstreckenwaffen, die man produzieren wolle.
Selenskyj: "Wir brauchen Taurus, wir brauchen Patriots"
Bei RTL Direkt wird Selenskyj deutlicher, wenn auch nur ein wenig. "Ich möchte nicht lügen", sagt er, "die Taurus-Frage wurde im Zweiergespräch besprochen. Wir arbeiten in diese Richtung", so der Präsident. Weitere Details wollte er nicht nennen, das habe er mit Merz vereinbart. Er möchte den Marschflugkörper haben, daran ließ er keinen Zweifel. Als Gamechanger oder Wunderwaffe sieht er ihn aber auch nicht. Es brauche viel mehr, um den Krieg zu gewinnen, sagt er. "Wir brauchen Taurus, wir brauchen Patriots, wir brauchen politischen Druck." Ebenso starke Sanktionspakete und, das ist ihm wichtig, deutsches Geld für die Waffenproduktion in der Ukraine. Und noch etwas sei elementar: Einigkeit zwischen Europa und Amerika.
Gerade daran hapert es seit der Amtsübernahme von US-Präsident Donald Trump. Atalay spielt Selenskyj einen Clip aus dem Oval Office vor. Sein Besuch im Februar geriet zum Mega-Debakel. Trump und sein Vize JD Vance wiesen ihn vor laufenden Kameras zurecht, warfen ihn anschließend aus dem Weißen Haus. Nicht nur in Deutschland schaute man mit offenem Mund zu. Selenskyj lächelt gequält, als er sich das noch einmal ansieht. Die Augenbrauen springen hoch, die Stirn liegt in Falten. Und dann hält er eine Art Grundsatzreferat, als Atalay fragt, was ihm da durch den Kopf gegangen sei. Tenor: Ich habe mein Land vertreten und wollte es mit Würde tun.

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Ähnlich grundsätzlich wird er bei der nächsten Frage. Ob Donald Trump mit seinem ständigen Hin und her mehr kaputt macht, als zum Frieden beizutragen, lautet die. Es ist so eine Frage, bei der vermutlich die meisten, insbesondere Selenskyj laut "Ja!" rufen möchten. Aber das kann er natürlich nicht sagen. Er braucht die Waffen, das Geld und die diplomatische Hilfe der Amerikaner wie die Luft zum Atmen. Da kann Deutschland noch so sehr seine Verteidigungsausgaben hochfahren.
Und so weicht er wieder ins Grundsätzliche aus. Die USA hätten in der Geschichte oft geholfen. Das könne auch Trump tun. Die Amerikaner hätten das Recht, keine Waffen zu liefern. Aber sie sollten die Waffenproduktion Russlands aufhalten.
Selenskyj spricht über seine Kinder
Sein ernstes Gesicht erweicht, als Atalay ihn nach seinen Kindern fragt. Einen Sohn und eine Tochter hat er. Fünf Minuten am Morgen und fünf Minuten am Abend spricht er mit ihnen. "Mein Sohn ist gerade in einem Alter, in dem er bestimmte Dinge mit mir teilen möchte. Die er vielleicht nicht mit seiner Schwester oder Mutter teilen möchte. Da gibt es bestimmte Themen zwischen Vater und Sohn", sagt er und über sein Gesicht huscht ein vielsagendes Lächeln, dann fast ein Lachen. Ein Moment, in dem man erahnt: Dieser Mann war mal ein erfolgreicher Schauspieler und Comedian, bevor er Politiker wurde.
Seine Tochter dagegen, erzählt er, die sei schon erwachsen. Die verstehe alles. Stelle ihm Fragen. Er berichte ihr, wie seine Minister ihm berichteten. "Alle Kinder in der Ukraine sind sehr schnell erwachsen geworden", sagt der Präsident. Er verpasse sicher viele wichtige Momente mit seinen Kindern. Weil er sich auf den Krieg konzentriere.
Das gesamte Interview mit Wolodymyr Selenskyj ist um 22.15 Uhr bei RTL Direkt zu sehen.
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