„Wenn jemand erst später in die Wechseljahre kommt, ist das eine gute Nachricht“
Das Buck Institut im kalifornischen Novato, an dem Jennifer Garrison als Assistenzprofessorin lehrt, ist die weltweit erste Einrichtung, die ausschließlich das Altern von Frauen erforscht.
WELT AM SONNTAG: Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrer Forschung? Ewige Jugend?
Jennifer Garrison: Ewig jung zu bleiben ist kein realistisches Ziel – im Gegensatz dazu, länger gesund zu sein. Die Altersforschung basiert auf der Annahme, dass das Altwerden in den Industrieländern der größte Risikofaktor für chronische Erkrankungen wie Alzheimer, Arthritis, Diabetes, Krebs, Parkinson und Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist. Wenn wir verstehen, welche Mechanismen dem Altern zugrunde liegen, können wir das Krankheitsrisiko im Alter senken. Bloß Krebserkrankungen zu bekämpfen würde wenig bringen. Selbst wenn wir wüssten, wie wir alle Krebsarten heilen könnten, würde sich die durchschnittliche Lebenserwartung kaum erhöhen.
WAMS: Warum?
Garrison: Weil es mit Erkrankungen im Alter ein wenig wie das Spielen von „Whac-A-Mole“ ist.
WAMS: Sie meinen das Spiel, bei dem man Maulwürfe, die aus Löchern aufploppen, mit einem Hammer zurück in die Löcher schlagen muss?
Garrison: Genau: Hat man eine Erkrankung abgewendet, tritt eine andere auf. Die Altersforschung verfolgt diesbezüglich einen ganzheitlicheren Ansatz, mit dem wir bestenfalls alle chronischen Krankheiten, die im Alter auftreten, angehen können.
WAMS: Sie haben sich auf das Altern von Eierstöcken spezialisiert. Warum?
Garrison: Weil ich mir nichts Wichtigeres vorstellen könnte. Eierstöcke altern 2,5-mal schneller als das restliche Gewebe im weiblichen Körper. Das ist ein Nachteil für die Frauen, deren Fruchtbarkeit deswegen ab Anfang 30 drastisch zu sinken beginnt. Für die Forschung aber ist das ein Vorteil: Es gibt uns relativ rasch Auskunft über die Ursachen des menschlichen Alterns. Die Herausforderung in der Altersforschung ist, dass man sie kaum an menschlichen Modellen ausführen kann. Eine klinische Studie würde dann 90 Jahre dauern. Bei Eierstöcken hingegen müssen wir nicht ein Leben lang auf Antworten warten.
WAMS: Welche Fragen möchten Sie beantwortet haben?
Garrison: Eierstöcke sind ein Enigma. Darum ganz grundlegende Fragen, wie: Warum altern Eierstöcke so schnell? Warum kommt der Mensch in die Wechseljahre, während die Mehrheit der Tiere es nicht tut? Oder: Warum variiert das Alter der Menopause bei Frauen so stark?
WAMS: Warum wissen wir das bisher nicht?
Garrison: Als Nicole Shanahan …
WAMS: … Anwältin, Unternehmerin, Philanthropin und 2024 vom unabhängigen US-Präsidentschaftskandidat Robert F. Kennedy Jr. für das Amt der Vizepräsidentin nominiert …
Garrison: … 2018 sechs Millionen Dollar an das Buck Institut spendete, erforschte trotz weltweitem Longevity-Hype kaum jemand, wie man die Alterung der Eierstöcke verlangsamen und Frauen helfen kann, länger Kinder zu bekommen und gesund zu bleiben. Ich sage immer: Was finanziert wird, diktiert, was wir wissen. Um Eierstöcke zu erforschen, gab es einfach nie Geld.
WAMS: Im Durchschnitt durchlaufen Frauen in Deutschland die Menopause, die letzte Menstruationsblutung, wenn sie 51 oder 52 Jahre alt sind, andere vor 40 oder nach 60.
Garrison: Und wir wissen bisher nur bedingt, warum es diese Altersunterschiede gibt. Was wir aber inzwischen wissen, ist, dass je später eine Frau die Menopause erreicht, desto gesünder dürfte sie sein – und desto länger wird sie wahrscheinlich leben.
WAMS: Unsere Eierstöcke lassen darauf schließen, wie alt wir werden?
Garrison: Ja. Wenn jemand erst später in die Wechseljahre kommt, ist das eine gute Nachricht. Auch für die Familie: Nicht nur bleibt man ihr länger erhalten, auch die Töchter und Söhne dürften ebenfalls gesünder sein und länger leben. Töchter werden im ähnlichen Alter in die Wechseljahre kommen und von den damit verbundenen Vorteilen profitieren; Brüder werden durch einen genetischen Zusammenhang ebenfalls gesünder sein und länger leben.
WAMS: Wenn Männer wissen wollen, wie es um ihre Langlebigkeit steht, sollten sie sich also bei ihren Müttern und Schwestern nach deren Menopause erkunden?
Garrison: In der Tat.
WAMS: Nun ist es aber so, dass Frauen im Durchschnitt länger leben als Männer.
Garrison: Das stimmt, allerdings verbringen sie einen deutlich längeren Teil ihres Lebens bei schlechter Gesundheit.
WAMS: Laut dem Weltwirtschaftsforum 25 Prozent mehr Lebensjahre.
Garrison: Auch diese Diskrepanz hängt mit dem schnellen Altern der Eierstöcke zusammen. Ich nenne die Eierstöcke auch „Schrittmacher des Alterns“ im weiblichen Körper. Das sehen wir zum Beispiel, wenn wir die Eierstöcke im Rahmen der Krebsprävention aus dem weiblichen Körper operativ entfernen.
WAMS: Der Körper kommt in eine frühe Menopause, was das Risiko auf chronische Erkrankungen wie Depressionen, Demenz, Parkinsons, Arthritis, Osteoporose, Schlafapnoe erhöht.
Garrison: Das zeigt: Eierstöcke sind nicht nur wichtig, um Kinder zu bekommen, sondern auch, um länger gesund zu bleiben. Ihre Funktion stellt sich mit dem Ende der Fruchtbarkeit nicht einfach ein. Zwar produzieren sie nach der letzten Menstruationsblutung keine Eizellen mehr, doch sie pumpen weiterhin Hormone in den Körper, die dazu beitragen, dass Gehirn, Herz, Knochen und Immunsystem gesund bleiben. Eierstöcke haben sowohl eine reproduktive als auch eine gesundheitsfördernde Funktion. Ich nenne sie deshalb „Architektinnen der Gesundheit“.
WAMS: Sie haben sich dafür eingesetzt, das Wort „reproduktiv“ aus den Namen des Forschungszentrums zu streichen. Statt „Centre for Reproductive Longevity and Equality“ heißt es jetzt „Centre for Healthy Aging in Women“. Warum?
Garrison: Wie ich über Eierstöcke denke, hat sich seit der Spende von Nicole Shanahan stark verändert. Ich habe aufgehört, sie als „Fortpflanzungsorgane“ abzutun und spreche spezifisch von Eierstöcken, Eileitern, Gebärmutter und Hoden. Sie sind nicht nur fürs Kinderkriegen wichtig, sondern können Auskunft darüber geben, warum und wie wir altern und wie wir diesen Prozess vielleicht verlangsamen können.
WAMS: Es geht also nicht darum, die Eierstöcke länger fit zu halten, damit Frauen mit 70 noch Kinder bekommen können?
Garrison: Nein, das dürfte auch schwer zu schaffen sein, da es für eine erfolgreiche Schwangerschaft mehr als nur funktionierende Eierstöcke braucht: Der ganze Körper muss dafür in Höchstform sein. Die Menopause so hinauszuzögern, dass Frauen länger – wenn auch nicht ewig – Kinder bekommen und ein längeres Leben bei besserer Gesundheit führen können, ist ein lösbares Problem.
WAMS: Wenn es so lösbar ist, warum wurde es noch nicht erledigt?
Garrison: Weil es um Frauengesundheit geht und dafür jahrzehntelang die Finanzierung gefehlt hat. Vieles, was wir heute über den weiblichen Körper wissen, wurde quasi querfinanziert. Nehmen wir die assistierte Reproduktion wie In-Vitro-Fertilisation (IVF): Dieses Wissen stammt aus anderen Bereichen, für die es eben Geld gab, zum Beispiel aus der Krebsforschung, um krebskranken Frauen nach ihrer Behandlung den Kinderwunsch noch erfüllen zu können, und aus der Tierhaltung, um die Fortpflanzung von Nutztieren zu beschleunigen.
WAMS: Gerade sorgt ein Medikament für Furore: Es soll die Fruchtbarkeit von Frauen um fünf Jahre verlängern und ihnen zu einem längeren Leben bei besserer Gesundheit verhelfen.
Garrison: Sie sprechen von Rapamycin, das Patientinnen und Patienten oft nach einer Organtransplantation verschrieben wird. Wenn dieses Immunsuppressivum wirklich die Fruchtbarkeit von Frauen erweitern kann, so wie es die laufende Studie unserer Stipendiatinnen und Stipendiaten andeuten, könnte das für Frauen bahnbrechend sein. Denn jede Entscheidung, die sie in ihrem Leben treffen, gleichen sie mit ihrer biologischen Uhr ab. So könnten sich Frauen länger ausprobieren, den Wohnort wechseln, Karriere machen, auf den richtigen Partner warten, ohne künstliche Befruchtung noch ein drittes Kind haben.
WAMS: Die Spenderin Nicole Shanahan kam zu dem Schluss, dass assistierte Reproduktionstherapien – wie IVF – „eine der größten Lügen“ in der Frauengesundheit seien. Teilen Sie diese Sicht?
Garrison: Ich nenne assistierte Reproduktionstherapien immer „Pflasterlösungen“. Gleichzeitig sind sie das Einzige, was Frauen probieren können, wenn sie nicht natürlich schwanger werden. Deswegen würde ich diese Hoffnung nicht zerschlagen wollen. Doch die Art und Weise, wie assistierte Reproduktionstherapien von der Industrie „verkauft“ werden, suggeriert, dass das Einfrieren von Eizellen eine sichere Garantie und IVF keine große Sache ist. Dabei sind die eigentlichen Erfolgsraten ernüchternd.
WAMS: Bei der künstlichen Befruchtung liegt die Chance für eine Schwangerschaft beim ersten Versuch bei rund 35 bis 50 Prozent.
Garrison: Frauen sollten sich ausführlich über den Aufwand und die Auswirkungen informieren. Die hormonellen Stimulationszyklen, die man für assistierte Reproduktionstherapien als Frau über sich ergehen lassen muss, sind invasive medizinische Eingriffe, die das Leben für Wochen, Monate, Jahre beeinträchtigen können.
WAMS: Sie sind kein Fan der IVF-Industrie?
Garrison: Nein. Sie führt Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch in die Irre und nutzt ihre Verletzlichkeit und Verzweiflung aus, um Gewinn zu machen. Es scheint mir schonender und sinnvoller, das eigentliche Problem – das verfrühte Altern von Eierstöcken – anzugehen, statt mit Druck ein einmaliges Ergebnis wie eine Schwangerschaft zu erzwingen.
Die promovierte Wissenschaftlerin ist am Buck Institute for Research on Aging und Assistenzprofessorin für Zelluläre und Molekulare Pharmakologie an der Leonard Davis School of Gerontology. Sie leitet ein Labor, das untersucht, wie das Gehirn über neurochemische Signale mit den Eierstöcken kommuniziert und wie diese Achse das Altern und die reproduktive Gesundheit von Frauen beeinflusst. Ihr Ziel ist es, grundlegend zu verstehen, warum Frauen in bestimmten Bereichen biologisch früher altern und ob sich diese Prozesse steuern oder verlangsamen lassen. Garrison ist außerdem Mitbegründerin und Direktorin des Global Consortium for Reproductive Longevity and Equality (GCRLE) und arbeitet eng mit internationalen Forschungsinstitutionen zusammen.
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