RB Leipzig verendet in der eigenen Komfortzone
RB Leipzig spielt Fußball, wie der Eigentümer es möchte. Lange ist der Plan der Sachsen eine Erfolgsgeschichte. Mittlerweile werden sie aller Flügel zum Trotz links und rechts überholt. Wenn das Projekt wieder nach vorne will, wird es sich neu erfinden müssen.
Wrestling ist speziell. Aus etlichen Gründen. Einer von ihnen ist, dass Wrestling einen der wenigen Rahmen bietet, indem es von Vorteil ist, ausgebuht zu werden. Es geht schließlich um Unterhaltung, darum, den Zuschauern eine Reaktion zu entlocken. Ob sie jubeln oder buhen, ist zweitrangig. Erst wenn sie sich vom Spektakel abwenden, wird es gefährlich. Und so dürfte jeder Wrestling-Promoter besorgt sein, wenn er das Saisonfinale von RB Leipzig miterlebt hat.
Denn mit dem Abpfiff und der 2:3-Niederlage gegen den VfB Stuttgart, die das endgültige Ende aller verbliebenen Europapokal-Träume bedeutet, dreht sich Torwart Péter Gulácsi zum Block hinter seinem Tor und klatscht. Kaum jemand bekommt es mit, der Großteil der Zuschauer steht mit dem Rücken zu dem Ungarn und schleppt sich schon die Treppen zum Ausgang hinauf. Das Geschehen auf dem Rasen scheint mit dem Moment des Abpfiffs abgehakt. Es ist windig, dazu schüttet es wie aus Eimern. Am Abend ist noch ESC.
Soviel Elan wie ein Handtuch
Auf dem Platz ist die Stimmung nicht besser. Loïs Openda und Xavi Simons, die Shooting-Stars der vergangenen Saison, bleiben mit dem Spielende minutenlang wie versteinert an Ort und Stelle stehen. Gerade Xavi scheint beinahe erschlagen von der traurigen Gewissheit. Als die Mannschaft zu allem Überfluss auch noch ein Banner ausrollt und damit durch das mittlerweile nahezu leere Stadion trottet, hält der Niederländer Sicherheitsabstand hinter der Spielertraube. Sein auf dem Boden schleifendes Handtuch versprüht so viel Elan wie er selbst.
Während der Partie ist das anders. Xavi ist der Grund, warum die Leipziger zwischenzeitlich überhaupt noch auf internationalen Fußball hoffen dürfen. Das erste Tor der Sachsen erzielt er zauberhaft mit der Hacke selbst, das zweite entsteht nur durch einen gefühlvollen Schlenzer der Nummer 10, den VfB-Torwart Nübel nur abprallen lassen kann, und Riedle Baku schließlich verwandelt. Xavi steht dabei symbolisch für die Probleme des RB-Kaders.
PR-Fantasie wird Fußballtaktik
Jürgen Klopp, seit Beginn des Jahres Head of Soccer bei Red Bull, betont bereits vor einigen Jahren in einem Interview, Red Bull sei "die Fußball-Idee und nicht die Geld-Idee". Und ja, das stimmt. Aber es ist auch wirklich nur eine(!) Fußball-Idee. Die leitet sich aus einmalig konsequent zu Ende gedachtem Sponsoring ab. Statt schlicht das Logo auf dem Trikot zu präsentieren, soll der Klub Fußball spielen, wie der Energy-Drink wirkt: energisch, wach, aufregend. Das mit dem Logo auf dem Trikot kann man ja trotzdem machen. Was klingt wie eine absurde PR-Fantasie, funktioniert - und das erstaunlich gut. Ab der Gründung 2009 marschiert der Klub in einem irren Tempo durch den deutschen Profifußball, 2017 kommt er schließlich im Oberhaus an, mit einem Überfall einer Saison. Vizemeister als Aufsteiger. Der vorher niemandem bekannte Emil Forsberg bricht den Rekord für die meisten Vorlagen der Ligageschichte, Timo Werner erzielt 21 Tore.
Das gesamte Klub-Netzwerk um Salzburg, Leipzig und Co. sucht, findet und fördert Fußballer, die zu diesem Spielstil passen. Red Bull produziert keine kreativen, wendigen Zauberfüße, sondern nimmermüde, unnachgiebige Maschinen wie Sadio Mané, Erling Haaland, Benjamin Sesko, Xaver Schlager oder Konrad Laimer. Jürgen Klopp hat seinen BVB mal als "Heavy-Metal-Fußball" bezeichnet. In dem Bild wäre RB Leipzig wahrscheinlich Scooter. Immer volle Intensität, immer nach vorne, kaum Finesse. Technisch hervorragende Dribbler a la Dani Olmo oder Xavi Simons muss sich RB Leipzig stets von außerhalb besorgen.
Nagelsmann zeigt, dass es geht
Und das ist das Problem. 2017 ist acht Jahre her. Welche Bundesliga-Mannschaft heute besonders gut pressen kann? So ziemlich jede. Um Titel zu gewinnen, gab es in den letzten Jahren zwei zuverlässige Wege. Einer ist, so banal das klingt, gut Fußball spielen zu können: Man denke an Spanien während der EM, Manchester City in jedem Jahr bis auf 2024/25, den FC Liverpool, Hansi Flicks Barcelona oder Bayer Leverkusen unter Xabi Alonso. Der zweite Weg zu Titeln ist, sich so eindrücklich und oft zu erzählen, dass man unbesiegbar ist, dass es nicht nur das eigene Team, sondern auch der Gegner glaubt. Das hat bisher aber nur Real Madrid umsetzen können.
Auch der VfB Stuttgart, der die Saison auf einem enttäuschenden neunten Platz beendet, aber noch das Pokalfinale gegen Arminia Bielefeld vor der Brust hat, ist RB Leipzig fußballerisch weit überlegen. Daran kann es nach den 90 Minuten keinen Zweifel geben, zu planvoll, zu strukturiert kommen die Gäste aus dem Schwabenland immer wieder zu Chancen. Das war mal anders. Unter Trainer Julian Nagelsmann lässt RB immer mehr kontrollierende, dem Image des fußballspielenden Energy-Drinks konträre Elemente in sein Spiel einfließen. Sie ziehen in das Champions-League-Final-Four 2020 ein und scheitern an PSG. Der FC Bayern hat kurz darauf genug gesehen, holt Julian Nagelsmann und Dayot Upamecano und Konrad Laimer aus Leipzig. Sicher ist sicher.
Ein fundamental falscher Schluss
Von den Bayern auf dem Transfermarkt zerlegt werden, das passiert - buchstäblich - den besten. Es ist eine Geschichte so alt wie die Zeit. Doch RB Leipzig zieht aus dieser Demütigung durch den Rekordmeister fundamental falsche Schlüsse. Man wolle wieder mehr RB-Fußball spielen, heißt es ab 2021. Während der Rest der Liga RB seinen Wettbewerbsvorteil im Pressing abjagt, lassen die Sachsen ihren Plan im Ballbesitz schleifen. Kreativität im letzten Drittel hängt nahezu vollständig am mittlerweile abgewanderten Dani Olmo und eben Xavi Simons.
Schließlich kommt der Tross aus RB-Spielern nach dem Stuttgart-Spiel vor der eigenen Fankurve an. Sie legen das Banner nieder, Willi Orban sagt einige Worte. Man versteht kaum etwas, weil die Gesänge aus dem Stuttgarter Block das nahezu leere Stadion fluten. "Hier regiert der VfB". Offensichtlich. Die Fans der Leipziger singen und springen wie aus Trotz, die Spieler gehen. Xavi verlässt den Rasen als Letzter. Er wird lange geherzt vom Maskottchen, dann klatscht er einigen Zuschauern zu und sieht sich um. Kurz wirkt er, als würde er zur Ehrenrunde ansetzen wollen. Dann fällt ihm auf, dass niemand mehr hier ist, dem er damit eine Freude machen könnte.
Wahrscheinlich wird RB Leipzig den Niederländer ersetzen müssen. Schwer vorstellbar, dass er sich eine Saison abseits der europäischen Bühne antut. Weniger wahrscheinlich ist, dass es ihnen gelingen wird. So oder so notwendig allerdings, bleibt die Entscheidung, die RB-Scheuklappen abzustreifen. Wenn Leipzig wieder vorne angreifen will, wird es sich neu erfinden müssen. Die fußballspielende Energy-Dose ist am Ende.
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