Die wundersame Rettung des VfL Osnabrück
Hinter dem VfL Osnabrück liegt eine außergewöhnliche Saison. In der Hinrunde spielen die Niedersachsen wie ein Absteiger, in der Rückrunde gehören sie zu den besten Teams der 3. Liga. Der Wendepunkt lässt sich ganz klar festlegen.
Es ist ein Sonntagabend vor Weihnachten, als der VfL Osnabrück tief in den Abgrund blickt. Der Zweitliga-Absteiger hat auswärts bei Viktoria Köln mit 0:2 verloren, ist zum achten Mal in Folge sieglos geblieben und steht völlig zu Recht auf dem letzten Platz der 3. Liga. Mit nur 11 Punkten aus 17 Spielen scheint der zweite Abstieg nacheinander unabwendbar. Erstmals in seiner 125-jährigen Geschichte würde der VfL in die Viertklassigkeit abstürzen. Dann aber knallt es in Osnabrück, und eine wundersame Reise beginnt.
Sie endet, typisch Fußball, natürlich mit dem Rückspiel gegen Viktoria Köln. Mittlerweile ist es Anfang Mai und der VfL gewinnt mit 2:0. Schon mit dem Abpfiff breitet sich im Stadion an der Bremer Brücke eine tiefe Erleichterung aus, doch erst nach den weiteren Partien dieses 36. Spieltags steht auch rechnerisch fest: Die Osnabrücker haben das scheinbar Unmögliche vollbracht und den Klassenerhalt gesichert. Sogar vorzeitig. Seit jenem Blick in den Abgrund sind sie wie ein Spitzenteam aufgetreten und haben in 19 Spielen herausragende 37 Punkte erspielt. Kein Drittligist punktet in dieser Zeit besser. Wie konnte das passieren?
Die Wende beginnt mit dem Knall im Dezember. Sportgeschäftsführer Philipp Kaufmann muss nach nur neun Monaten wieder gehen, Trainer Pit Reimers sogar nach nur neun Wochen, auch seine beiden Co-Trainer werden freigestellt. "Wir haben relativ hart Tabula rasa gemacht, mit einem sehr harten Cut", sagt Michael Welling rückblickend im Gespräch mit ntv.de. Welling ist damals als Geschäftsführer Wirtschaft eigentlich für die Themen abseits des Rasens zuständig, rückt nun aber ins Zentrum der Entscheidungen.
Kaufmann und Engelhardt als Gesicht und Symbol der Krise
"Ich glaube, dass ein Führungsvakuum dazu geführt hat, dass wir überhaupt in diese Krise geraten sind", sagt Welling: "So deutlich würde ich das formulieren." Der 54-Jährige stößt damals in dieses Vakuum und sorgt dafür, "dass wir wieder Klarheit bekommen in den Abläufen, den Entscheidungsprozessen und den Entscheidungen." Für all diese Dinge hatte eigentlich Kaufmann sorgen sollen, der jedoch mit seiner Aufgabe als erster Sportgeschäftsführer überhaupt beim VfL schon nach kurzer Zeit massiv überfordert wirkte.
Kaufmann steigt erst im März 2024 ein und benötigt dann Zeit, um sich einzuarbeiten und anzukommen, wie Welling sagt: "In dieser Rolle, die er vorher nirgendwo innehatte, in Deutschland, weil er vorher nur in der Schweiz tätig war und in dem Krisenmodus, in dem wir aufgrund der Abstiegssituation waren." Das zeigt sich darin, dass der Osnabrücker Drittliga-Kader trotz des frühzeitig feststehenden Abstiegs aus der 2. Bundesliga erst weit nach Saisonstart komplettiert wird.
Es wird aber auch dadurch deutlich, dass dieser Kader wenige der Fähigkeiten abdeckt, die es braucht, um in der 3. Liga erfolgreich zu sein. Welling baut deshalb im Winter um: Sieben Spieler gehen, sieben Spieler kommen. Unter den Abgängen ist mit Erik Engelhardt der beste Torschütze der Vorsaison. Er wird im Verlauf der Hinrunde zum Symbol für die Ansammlung von Individualisten, die statt einer Mannschaft im VfL-Trikot auf dem Platz steht. Engelhardt möchte lieber mit Energie Cottbus um den Aufstieg spielen als in Osnabrück gegen den Abstieg. Welling lässt ihn ziehen, um sein Ziel zu erreichen: "Eine Mannschaft, von der wir wissen, wer sich mit der Aufgabe identifiziert und wer nicht. Ich glaube, das ist uns ganz gut gelungen."
Ex-Bundesliga-Profi stabilisiert die Abwehr
Zu diesem "Uns" gehört auch Marco Antwerpen, den der VfL in den Tagen nach dem Knall präsentiert. Antwerpen ist ausgewiesener Experte im Abstiegskampf, hat in den Vorjahren auch den 1. FC Kaiserslautern und Waldhof Mannheim zum Klassenerhalt geführt. Der neue Trainer steigt noch vor der Winterpause mit einem 2:0-Heimsieg gegen Rot-Weiss Essen und einem 1:1 beim SC Verl ein, auch danach bleibt er lange ungeschlagen und holt aus den ersten neun Spielen sechs Siege und drei Unentschieden - darunter ein 2:1-Auswärtssieg am 26. Spieltag beim damaligen Tabellenführer Energie Cottbus.
"Marco hat mit klaren Ideen die Mannschaft übernommen, mit einer klaren Idee, wie wir Fußball spielen", sagt Welling. Was er meint: Antwerpen stabilisiert zunächst die Abwehr. Vor seinem Amtsantritt stellt der VfL mit 35 Gegentoren in 17 Spielen die schwächste Defensive, bis zum Klassenerhalt folgen nur noch 14 Gegentore in 19 Spielen. Auch das ist Drittliga-Bestwert in dieser Zeit. Eine Schlüsselrolle kommt dabei Jannik Müller zu, der Innenverteidiger mit Bundesliga-Erfahrung kommt nach einem halben Jahr Vereinslosigkeit nach Osnabrück und steigt trotz fehlender Spielpraxis umgehend zum Leistungsträger im Abwehrzentrum auf. Dass er gleich für dreieinhalb Jahre unterschrieben hat, ist ein Coup.
Auch die anderen Winterzugänge liefern ab: Außenverteidiger Niklas Kölle rennt Kilometer um Kilometer, Bryan Henning läuft im Mittelfeld die Räume zu und treibt den Ball nach vorn, Braydon Manu bringt als Einwechselspieler regelmäßig neue Dynamik für die Offensive. VfL-Eigengewächs Ismail Badjie kehrt vorzeitig von seiner Leihe in die Regionalliga zurück und belohnt sich beim 1:0-Heimsieg gegen den FC Ingolstadt mit seinem ersten Profi-Treffer vor der Ostkurve, der Heimat der Osnabrücker Fans.
Die Osnabrücker, die sind immer da
Badjies Tor ist einer der zahlreichen besonderen Momente, die Antwerpen vielen verschiedenen Spielern in seinem Kader entlockt: Beispielhaft ist da Stürmer Chance Simakala zu nennen. Er pendelt normalerweise zwischen Ersatzbank und Tribüne, steht gegen 1860 München aber plötzlich in der Startelf und erzielt prompt das Tor zum 1:0-Heimsieg. Welling spricht von "klaren Rollen auf den jeweiligen Positionen", die der neue Trainer offensichtlich erfolgreich vermittelt hat. 18 verschiedene Torschützen (bei 31 eingesetzten Spielern) gehen bislang in dieser Saison für Osnabrück in die Statistik ein.
Sie alle tragen dazu bei, dass der VfL nach einer katastrophalen Hinrunde eine phänomenale, so nicht zu erwartende Rückrunde abliefert. Die mit einem im besten Sinne bedeutungslosen Heimspiel gegen den SC Verl am heutigen 38. und letzten Spieltag endet. In der einmal mehr ausverkauften Bremer Brücke, an der zumeist nur ein paar Plätze im Gästeblock freibleiben.
Das ist die vielleicht erstaunlichste Zahl in dieser Saison: Mit 14.610 Fans im Schnitt ist das dringend sanierungsbedürftige Stadion so gut besucht wie nie zuvor in einem Drittliga-Jahr. Trotz der Hinrunden-Tristesse und trotz der zweitschlechtesten Endplatzierung in mittlerweile 126 Jahren VfL. Kurz vor dem so wichtigen Heimsieg gegen Viktoria feiert der Klub wieder Geburtstag. Lange war zu befürchten, dass es eine Trauerfeier hätte werden können. Und doch kommen zu den 19 Heimspielen nie weniger als 13.000 Fans, viermal waren alle 15.741 Plätze inklusive Gästeblocks besetzt. Der eingängige Gesang "Wir sind die Osnabrücker, wir sind immer da!" hat also weit mehr als nur einen wahren Kern.
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