Der verlachte Trainer Hansi Flick verführt die Fußball-Welt
Der FC Barcelona ist zurück auf dem spanischen Fußball-Thron. Im Stadtderby gegen Espanyol macht das Team die Meisterschaft klar. Trainer Hansi Flick hat die Mannschaft auf eine beeindruckende Weise neu aufgestellt und sich selbst rehabilitiert.
Pep Guardiola erfand einst das Tiki-Taka. Jürgen Klopp stand für Heavy Metal auf dem Rasen. Carlo Ancelotti ließ ein heldenhaftes Laissez-faire spielen. Und Xabi Alonso erstaunte die Welt mit seinem "Kill-me-slow-and-late"-Dampfhammer. Für große Trainer werden große Beschreibungen gesucht. Man möchte ihre Geschichten bis in alle Ewigkeit erzählen. Das ist der Fußball. Das ist das, was die Menschen lieben. Zurück im Kreis der großen Trainer ist seit diesem Donnerstagabend auch Hansi Flick. Mit dem FC Barcelona machte er im Derby gegen Espanyol die 28. Meisterschaft der Klubgeschichte klar. Was für eine Auferstehungsgeschichte.
Mit 2:0 hatte Barça das Derby gewonnen, doch zur Party auf dem Rasen sollte es nicht kommen. Flick hatte es eilig, seine Mannschaft in die Kabine zu holen. "Ich weiß, was vor zwei Jahren passiert ist und wollte deshalb lieber drinnen feiern." Vor fast genau zwei Jahren, am 14. Mai 2023, hatte der FC unter Xavi die Meisterschaft schon einmal im Espanyol-Stadion klargemacht. Damals eskalierte die Situation, aufgebrachte Espanyol-Fans stürmten den Platz, die feiernden Barca-Stars mussten die Flucht ergreifen. Das sollte sich nicht wiederholen.
"Eine wahre Dampfwalze geschaffen"
Die Party stieg dann in den Katakomben. "Die Rückrunde war unglaublich, wir haben kein einziges Spiel verloren. Das Niveau war fantastisch, aber wir haben das Potenzial für mehr. Ich gratuliere der Mannschaft, dem Verein, den Fans", sagte Flick. Und bekam große Hymnen entgegengeworfen: "Das ist Hansi Flicks Titel. Der Schöpfer eines Projekts, das eine Ära prägen wird", schrieb die Zeitung "Mundo Deportivo". Der ehemalige Bundestrainer habe "eine wahre Dampfwalze geschaffen, eine Tormaschine, schwindelerregend und unterhaltsam."
Flick war einst Supertrainer des FC Bayern. In der Pandemie übernahm er für den immer glückloseren Niko Kovac und schuf im aberwitzigen Tempo ein Münchner Monster, das der Konkurrenz alle verfügbaren Titel wegfraß. Im Jahr 2020 waren das gleich sechs Stück. Unter anderem schnappte es sich den Henkelpott. Flick wurde so zum Sextuple-Champion. Und danach zum Bundestrainer, zum traurigen. Die darbende Nationalmannschaft konnte er nur in ganz wenigen Momenten erstrahlen lassen und stürzte mit ihr bei der Weltmeisterschaft 2022 in Katar ins nächste Desaster. Flick war krachend aus dem Supertrainer-Olymp geflogen. Und durfte hernach reichlich Spott über sich ergehen lassen. Die WM-Doku schmeichelte ihm nicht. Er wurde zur Graugans unter den Trainern.
Auf ein schillerndes Comeback im großen Fußball deutete nach dem Wüsten-Fiasko kaum noch etwas hin. Doch dann hatte der taumelnde Gigant FC Barcelona, in Person des umstrittenen Klub-Präsidenten Joan Laporta, im vergangenen Sommer eine Weltidee und holte Flick. Auf Anraten von Ralf Rangnick. Flick hatte die Bosse aber bereits zuvor auf schmerzhafte Weise beeindruckt. Am 14. August 2020, als der FC Bayern hungrig wie vielleicht nie war, ging Barça mit Lionel Messi beim Finalturnier der Champions League mit 2:8 unter.
Barça, Flick und das gemeinsame Schicksal
Im vergangenen Sommer fanden sich nun also zwei zusammen, die das Schicksal für sich wenden wollten. Barça kämpfte gegen den sportlichen und finanziellen Untergang. Und Flick darum, seine Reputation als Trainer wiederherzustellen. Und wie das gelang. Mit einem Fußball, über den man noch in vielen Jahren reden wird. Er ist auf Mut aus, auf Krawall, auf Tempo. Er ist mitreißend, spektakulär, in vielen Momenten episch. Vielleicht wird man in einer fernen Zukunft über den fantastischen "Flickismus" reden. Über dieses hochriskante Spiel, das für den Gegner atemraubend sein kann und von der eigenen Mannschaft ein Höchstmaß an Mut und Konzentration einfordert. Wohl kaum eine andere Mannschaft im Spitzenfußball verteidigt so hoch wie Barcelona.
Mit Euphorie war Flick bei den Katalanen nicht empfangen worden. Der gescheiterte Trainer eines darbenden Fußball-Riesen sollte plötzlich erfolgreicher Nothelfer für einen anderen schwer verwundeten Patienten werden? Das schien unmöglich - und wurde mindestens die größte Erfolgsgeschichte dieser Saison. "Er hat eine sehr direkte, sehr schnörkellose Vorstellung vom Fußball. Damit hat er alle verführt: Spieler, Funktionäre, Medien", sagte "El País"-Reporter Juan Irigoyen im Februar im Gespräch mit ntv.de-Journalist Stephan Uersfeld.
Barcelona wurde in dieser Saison zur Spektakel-Garantie. Nicht immer zur Begeisterung von Flick, der ließ nach dem siegreichen Clásico (4:3) gegen den Erzrivalen Real Madrid, der die Tür zur Meisterschaft endgültig aus den Angeln pfefferte, am vergangenen Wochenende durchblicken, dass er nicht der allergrößte Fan der sich ständig wiederholenden, irrwitzigen Comebacks sei. Das sei nicht immer lustig für ihn, sagte er. Mehrfach hatte er sein wild gewordenes Team auf den Pfad der Seriosität zurückholen müssen, es zu wildesten Comebacks getrieben. Es war ein Rausch. Ein Fest. Für die Zuschauer. Nicht für Flick. Aber frei von Schuld ist er an den aberwitzigen Wendungen auf dem Rasen nicht. Sein Fußball ist Dauersprint auf dem Berggrat. Immer droht der Fall.
Ein graugansiger Rückfall drohte
Oft ist seine Mannschaft in dieser Saison nicht gefallen. Aber einmal ganz tüchtig. Im Spätherbst, zwischen Mitte November und Mitte Dezember, ging in der Liga nicht viel, es ging eigentlich fast nichts. Nach dem 12. Spieltag führte Barcelona die Tabelle mit 33 Punkten an, eine Niederlage hatte es bis dahin lediglich gegeben, sonst nur Siege. Europa war verschossen in diese Mannschaft, die Fußball auf eine unglaubliche Art und Weise zelebrierte. Und dann plötzlich in sich zusammen fiel. Bis drei Tage vor Weihnachten kamen nur noch fünf Zähler hinzu. Der souveräne Tabellenführer war nur noch Dritter, die Madrider Großklubs waren vorbeigeflogen. Hansi Flick drohte ein graugansiger Rückfall.
Aber Barcelona entwickelte eine erstaunliche Resilienz und war nicht mehr zu besiegen. Dauer-Kontrahent Real fehlte zudem der Raketenschub, um einen dauerhaften Höhenflug zu stemmen. Mit Kylian Mbappé, aber ohne Toni Kroos kam das Starensemble einfach nicht zusammen. Coach Ancelotti fand keine Balance.
Bis zum 15. April rauschte Barcelona durch alle Wettbewerbe, unbesiegbar. Doch dann erwischte es sie doch, als das Team beinahe in der "Hölle" von Dortmund gestolpert wäre (1:3), aber dank der herausragenden Vorleistung aus dem Hinspiel in der Champions League blieb. Dort schuf Flicks Barça im Halbfinale gegen Inter Mailand eine Sternstunde des europäischen Fußballs. Die beiden Duelle waren von einem atemberaubenden Wahnsinn ergriffen, dass sie bereits jetzt als die besten der Geschichte der Königsklasse glorifiziert werden. Dass die Italiener am Ende gewannen, war fast nebensächlich. Die gut 210 Minuten samt Verlängerung im Rückspiel waren ein Geschenk an Fußball-Europa. Und verdichteten das Spektakel des Flick-Fußballs.
Auf "La Masia" ist auch in der Krise Verlass
Das Pressing, erdrückend, erstickend. Der offensive Fußball, ein kaum fassender Genuss. Die Verteidigungslinie, ein Spiel mit dem Feuer. Inter nutzte das eiskalt aus. Gewann, weil es noch resilienter war, abgezockter. Auf keinen Fall besser, auf keinen Fall aufregender. Das große Prickeln hat Flicks Mannschaft für sich gepachtet. Womöglich auf Jahre, denn diese Mannschaft ist ein gigantisches Versprechen an die Zukunft. Ein wenig aus der finanziellen Not geboren, fußend auf der Ausbildungsschule "La Masia".
Der Gigant hatte sich in dieser Saison aus den Trümmern erhoben. Dank Flick. Mit ihren kickenden Weltwundern im Teenageralter hatten sie Europa erobert, verblüfft, verzaubert. Sie durften ihren jugendlichen Wahnsinn ausleben, weil sie von Robert Lewandowski, Frenkie de Jong und Inigo Martinez flankiert wurden und werden, die ihnen Stabilität und Führung geben. Lamine Yamal wird bereits mit den Besten verglichen, die es jemals gab. Mit Lionel Messi, mit Cristiano Ronaldo. Spielmacher Pedri wandelt auf Pfaden, die beim FC Barcelona nur die Legenden Xavi und Andrés Iniesta begangen haben. Und Verteidiger Pau Cubarsi ist schon so gut, dass sein Marktwert mit 18 Jahren bei 70 Millionen Euro liegt. Flick hatte die beste Mannschaft in Europa geschaffen. Die Beste des FC Barcelona seit Pep Guardiola. Und in der tummelten sich eben Xavi, Iniesta oder Messi.
Die Zeitung "AS" schwärmte nach dem vollbrachten Meisterwerk: "Flick und seine furchtlosen Kinder. Eigentlich sollte es Kylian Mbappés Liga sein, aber ein arbeitsloser deutscher Trainer hat den gleichen Kader wie in der Saison davor übernommen und ist mit gefräßigen Veteranen und einem Haufen Kinder unter der Führung von Lamine durchgestartet."
"Hansi Flick ist wie ein Vater zu uns"
Flick trotzte dabei auch all den Sorgen. All den Rückschlägen. Der Negativserie zum Jahresausklang, die ihn an den Rand des Nervenzusammenbruchs trieb. Den schweren Verletzungen von Nationaltorwart Marc-André ter Stegen, von Kapitän Ronald Araujo oder auch den Toptalenten Gavi und Marc Bernal. Flick nahm es, wie es kam. Und fand immer eine Lösung. Er schaffte es, die gigantische, kindliche Spielfreude des hoch veranlagten Barça-Teams mit seinem Bedürfnis für Harmonie und seiner Beharrlichkeit auf Disziplin auf ein Maximum zu treiben. Und er fühlte sich in der Rolle des Anleiters augenscheinlich sehr wohl: "Hansi Flick ist wie ein Vater zu uns. Er kümmert sich um uns", sagte Pedri. "Er unterstützt dich, wenn du nicht spielst. Er versucht immer, dir zu helfen."
"Wir sind wie eine Familie", sagte Flick. Die Atmosphäre sei einzigartig, jeder kümmere sich um jeden: "Das habe ich noch nie erlebt." Barcelona liebt Flick und der ist einfach nur der Hans im Glück. Aber längst nicht alles ist rosarot im Paradies. Der Champions-League-Knockout tat weh, die finanziellen Sorgen bleiben groß. Gewaltige Probleme plagten den Klub schon im vergangenen Sommer, damit einherging das Transfer-Theater um RB Leipziger Dani Olmo, den man lange Zeit nicht registrieren konnte. Proteste gegen Boss Laporta wurden laut. Und weil die Sorgen nicht genommen sind, kommt wohl auch der geplante Transfer von Bayer Leverkusens Abwehrchef Jonathan Tah nicht zustande. Flick pfeift auf alle Umstände und konzentriert sich auf das, was er kann.
Dabei macht er sich selbst nicht wichtig. Um ihn entsteht ein Kult, den er selbst gar nicht will, für den er gar nichts tut. Anders als Guardiola, der den Super-Super-Superlativ zum Stilmittel machte. Anders als Ancelotti, der sich in der Rolle des mal charmanten, mal mürrischen Maestros gefällt. Anders als Klopp, der die echte Liebe zu seinem Ding machte und sie dann mit seinem Wechsel ins RB-Imperium selbst einriss. Flick ist in keiner Weise selbstherrlich, er ist nicht belehrend, nicht besserwisserisch. Er ist ein Kümmerer, ein Menschenfreund. Er ist aber auch ein Bessermacher und weist den besten Punkteschnitt seit Luis Enrique auf. Nun ist er Meister, hatte zuvor bereits in der Supercopa und Copa del Rey triumphiert - jeweils mit Finalsiegen gegen Real. Und ist nun auf dem Weg in eine goldene Ära? Mit dem fantastischen "Flickismus"?
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