Keine Pfiffe, keine Krawalle: Die Fans des VfL Bochum zeigen nach dem Abstieg im Ruhrstadion Größe und unterstützen ihr Team am Ende einer katastrophalen Saison. Trainer Dieter Hecking entschuldigt sich und gibt ein großes Versprechen ab.

Der VfL Bochum hat in dieser Saison auf sportlichem Weg vier Spiele gewonnen und durfte, was völlig absurd ist, bis zu diesem 33. Spieltag noch darauf hoffen, zum vierten Mal in Serie den Klassenerhalt in der Bundesliga zu stemmen. In der Geschichte der jüngsten Fußballwunder "anne Castroper" wäre dieser nächste Ligaverbleib vielleicht das Größte gewesen. Trotz der epischen Relegation vor nicht mal einem Jahr gegen Fortuna Düsseldorf. Doch mit diesem unfassbaren Moment Ende Mai 2024 hatte der VfL seinen Vorrat an Verzehrgutscheinen für "Wunder" aufgebraucht. An diesem Samstagnachmittag wurde VfL im eigenen Stadion in den Abgrund gestoßen. Gegen den FSV Mainz 05 gab es eine 1:4-Niederlage. Die Bochumer sind künftig wieder ein Zweitligist.

Der schmerzhafte Gang ins Unterhaus wurde überraschend würdevoll begleitet. Von den Fans gab es keine Pfiffe, keine Wut, keine Krawalle,. Schon früh an diesem Samstagnachmittag waren ihnen unumstößlich klar geworden: Heute ist der Abstieg, der sich so lange angebahnt hat, nicht mehr zu verhindern. Mainz war viel zu stark und Konkurrent 1. FC Heidenheim ließ bei Union Berlin nichts anbrennen. Sie besangen die Liebe zu ihrem Verein, applaudierten Spielern und Trainer Dieter Hecking. Keine Pfiffe, keine Wut. Was für ein ungewöhnlicher Abstieg.

"VfL, wir sind da, jedes Spiel, ist doch klar", ließen die Anhänger mit Blick auf die kommende Saison wissen und machten die Protagonisten auf dem Rasen damit emotional fassungslos. "Vor euch verneige ich mich, vor dem ganzen Publikum im Stadion - Chapeau", sagte Hecking. "Wir haben es leider nicht gelöst, dafür entschuldige ich mich bei euch", sagte der Coach mit brüchiger Stimme und versprach alles dafür zu tun, diesen Unfall reparieren zu wollen. So schnell wie möglich. "Ich werde nicht sagen, dass wir direkt wieder aufsteigen, aber wir müssen alles versuchen, um eine Mannschaft aufzustellen, die oben dabei sein kann", sagte Hecking bei Sky. Der Klub hatte vor wenigen Tagen Klarheit geschaffen: Der Trainer bleibt.

Auch Kapitän Anthony Losilla, der seit 2014 in Bochum ist und vor der Partie ebenso wie Cristian Gamboa, der minutenlang weinte, verabschiedet wurde, war schwer beeindruckt von der Reaktion auf den Tribünen. "Leider ist diese Saison ein bisschen schiefgegangen, aber ich bin überzeugt, mit solchen Leuten, mit solchen Fans, dass wir sehr schnell wieder die Bundesliga erleben werden", sagte die Vereinsikone bei Sky und ergänzte: "Weil die haben das einfach verdient. Der Verein hat das verdient, diese Fans haben das verdient."

Einfach nicht bundesligatauglich gewesen

Wieder einmal hatten die blauweißen Fußballer alles gegeben, hatten sich gewehrt und waren wieder einmal daran gescheitert, Aufwand und Ertrag in ein vernünftiges Verhältnis zu bringen. Es ist die große Geschichte der Saison: Seit der Amtsübernahme von Dieter Hecking konnte die Mannschaft oftmals überzeugen, brachte den Lohn aber nicht nach Hause. Völlig absurd dabei: Unter den vier Teams, die der VfL besiegen konnte, waren der FC Bayern München (auswärts) und die im Februar noch kriselnde Borussia aus Dortmund. Der FC St. Pauli und die im Hinspiel gnadenlos schwachen Heidenheimer waren die weiteren Gegner, gegen die es auf dem Rasen erspielte Siege gab. Hinzu kam noch der Dreier aus dem Feuerzeugeklat-Spiel gegen Union Berlin.

Besonders bitter: Nach dem 3:2 im März beim FC Bayern holte Bochum aus acht Spielen nur noch mickrige zwei Punkte. "Wir waren in der Pole Position und haben sie hergegeben. Wir hatten es in der Hand und haben es nicht gelöst", resümierte der selbstkritische Trainer-Routinier.

Drei Jahre hatte sich der Verein erfolgreich gegen den Abstieg gewehrt. Hatte ein Wunder nach dem anderen ausgerufen. Und das größte vor nicht mal einem Jahr geschafft, als die nach dem Hinspiel mausetoten Bochumer (0:3) Fortuna Düsseldorf in der wohl epischsten Relegation der Geschichte doch noch irgendwie niederrangen. Wieder einmal wurde das Bermudadreieck gekapert und die eigene Unabsteigbarkeit besungen. Doch an diesem Abend des 27. Mai 2024 zerbrach viel.

Mit Kevin Stöger verlor die Mannschaft ihren Spielmacher, der auf den letzten Metern der vergangenen Saison zum Riesen geworden war. Bisweilen hatte er über 150 Ballkontakte pro Spiel. Das Schicksal lag auf seinen Füßen – und fühlte sich dort sehr wohl. Mit Keven Schlotterbeck ging ein emotionaler Anführer. Er wechselte zum FC Augsburg. Wie schon zwei Jahre zuvor Elvis Rexhbecaj. Auch der war ein Typ, der das Stadion mitriss. Beide hatten ihre ins Stocken geratene Karriere wiederbelebt und verschwanden dann.

Der große Irrtum mit Peter Zeidler

Dafür tauchte Trainer Peter Zeidler auf. Er ließ die Mannschaft einen wilden Fußball spielen, der zum Abschluss der Vorbereitung Le Havre AC mit 6:0 überrollte. Die blauweiße Welt war rosarot – und völlig vernebelt. Die Mannschaft, die gerade so die Klasse gehalten hatte, wurde plötzlich von zarten Europapokalträumen flankiert. Und gewann unter dem 62-Jährigen in der Liga nie. Nach acht Spielen und einem Punkteschnitt von 0,13 endete der gemeinsame Weg. Hernach gab es wilde Gerüchte über die chaotische Trainingsgestaltung von Zeidler.

Hecking übernahm ab Spieltag zehn. Er übernahm Chaos, 29 Gegentore, eine verunsicherte Mannschaft ohne Plan und den Fall Manuel Riemann. Noch vor der Relegation gegen Düsseldorf war es zum heftigen Bruch zwischen dem Klub und der langjährigen Nummer eins gekommen. Riemann konnte sich mit der Mannschaft offenbar nicht mehr identifizieren und wurde aus dem Profi-Kader verbannt. Er kehrte nicht zurück und zog den VfL in einen juristischen Streit, der vor dem Showdown vor Gericht das Potenzial gehabt hätte, die Mannschaft endgültig zu zerreißen. In ihr gab es zwei Lager. Die Bochumer wendeten dieses Horrorszenario gerade noch ab. Riemann durfte wieder mit den Profis trainieren. Schnell wurden Rufe aus Fankreise laut, er soll auch wieder ins Tor zurückkehren. Patrick Drewes hatte zu selten überzeugen können. Riemann verließ den Verein. Und Drewes ein paar Wochen später das Tor. Timo Horn ersetzte ihn. Hecking wollte etwas verändern.

Am 14. Dezember war Drewes im Skandalspiel von Köpenick von einem Feuerzeug am Kopf getroffen worden. Das Spiel endete zunächst 1:1 und bekam eine unschöne Verlängerung durch gegenseitige Vorwürfe und eine seltsam anmutende Täter-Opfer-Umkehr. Nach einem Justiz-Marathon bekam Bochum den Sieg zugesprochen (2:0). Es war ein kleiner Wendepunkt der Saison. Acht Tage später feierte der VfL den ersten sportlichen Sieg, ausgerechnet gegen das Bestattungsinstitut 1. FC Heidenheim. Hecking hatte dem leblosen Team wieder elementare Dinge beigebracht: Fußball spielen, Leidenschaft zeigen. Was er ihr nicht bringen konnte: ein effektives Offensivspiel. Die Mannschaft war die gesamte Saison über viel zu harmlos, um die Bundesliga erfolgreich zu stemmen. Es fehlte mindestens eine Kreativkraft und zuverlässig treffender Stürmer.

Pech, Unfähigkeit, herausragende Torhüter

Dani de Wit, um den sich der Klub lange bemüht hatte, kam als Ersatz für Stöger, war aber ein ganz anderer Typ und fand nie seinen Platz. Das Kreativloch war nicht zu stopfen. Ganz vorne im Sturm verkrampften erst Philipp Hofmann und dann Moritz Broschinski. Myron Boadu hatte gute Momente, aber noch mehr Verletzungspech und ein zu großes Ego. Der in der Winterpause verpflichtete Georgios Masouras lieferte erst groß ab, führte den Sirtaki "anne Castroper" wieder ein und verlor dann den Flow. Mittelfeldmann Tom Krauß, ebenfalls im Winter gekommen, ackerte wie ein Lastenpferd und spielte bisweilen auch guten Fußball. Aber auch er ist kein kreativer Geist ist im Stile Stögers. Bochum verdiente sich dennoch ein Lob nach dem anderen. Gegen Bayer Leverkusen, gegen Eintracht Frankfurt, gegen FC Augsburg, gegen Union im Rückspiel. Aber der Ball wollte zu selten rein, mal war es Pech, mal Unfähigkeit, mal die Extraklasse des gegnerischen Keepers.

Einer, der sich immer redlich mühte, immer alles reinwarf, war Stürmer Hofmann. In Heidenheim, am 32. Spieltag, als es wieder einmal um alles ging, musste er früh raus. Er hatte einen Rippenbruch erlitten, bei dem sich die Rippe ins Rippenfell bohrte und so einen Lungenkollaps auslöste. Der Verein sprach von einer Verletzung, die durchaus hätte lebensgefährlich werden können. Mittlerweile ist er auf dem Wege der Besserung. Der VfL nahm in diesem Jahr alles mit, was man eigentlich nicht haben möchte.

Nun ist das Abstiegssterben auf Raten endgültig vorbei. Der VfL geht runter. Bei gerade einmal vier Siegen auf dem Rasen ist das verdient. Nun beginnt endgültig die Zeit des neuen Sport-Geschäftsführers Dirk Dufner, die Zeit des erneuten Wiederaufbaus. Viele Säulen werden gehen. Mit einem Jahr Verspätung wird Bernardo das tun. Der Brasilianer war einst bei RB Leipzig. Und nun eben in Bochum. Für den Verein war er fast schon eine Nummer zu groß. Unter anderem Eintracht Frankfurt soll den flexiblen Abwehrspieler haben wollen. Tim Oermann, das größte Talent, soll sich mit Bayer Leverkusen einig sein.

Keine Themen für diesen Samstag, an dem der Verein würdevoll in den Abgrund fiel. Nach solch einer "verkorksten" Saison so gefeiert zu werden, wiederholte Hecking später mehrmals, sei "eine Verpflichtung für alle, die in der Verantwortung stehen, die Scherben zusammenzukehren und wieder aufzustehen". "Dafür liebe ich den VfL Bochum, weil ihr einfach alles gebt. Wir werden wie immer aufstehen und Vollgas geben", rief Losilla aus. Es ist niemals vorbei, auch wenn es Ende zu geht.

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