Der FC Bayern stellt die alte Hierarchie im deutschen Fußball wieder her und holt sich die Meisterschale aus Leverkusen nach nur einer Saison zurück. Trainer Vincent Kompany darf sich trotz Enttäuschungen in den Pokalwettbewerben als großer Gewinner fühlen.

Der FC Bayern hat die Minimalanforderung an diese Saison erfolgreich gestemmt. Die Münchner haben den aufmüpfigen Rivalen aus Leverkusen wieder eingefangen und die Schale schon am 32. Spieltag der Fußball-Bundesliga aus dem Rheinland zurückerobert - und das dank des SC Freiburg. Die Breisgauer knüpften mit dem 2:2-Remis der Werkself die entscheidenden Punkte ab. Die Münchner selbst hatten am Samstag in Leipzig mit ihrem wilden 3:3-Remis vorgelegt.

Am Ende einer guten, aber keineswegs sehr guten Spielzeit ist die Hierarchie der Fußball-Bundesliga in der Logik des FC Bayern wiederhergestellt. Und Bayer von Wolke sieben direkt auf den harten Beton unter dem Bayer-Kreuz gerissen worden. Der entthronte Meister kämpft um Trainer Xabi Alonso, der genau hinschaut, ob sich die Tür bei Real Madrid durch den nicht unwahrscheinlichen Abgang von Carlo Ancelotti öffnet, und Florian Wirtz. Ihre Sehnsucht nach dem Ausnahmespieler haben die Münchner Bayer beim Entreißen der Meisterschale noch als kleinen Liebesgruß dagelassen. Klub-Boss Fernando Carro fand das ziemlich doof.

Aber so sind die Bayern halt immer schon gewesen: Genug ist ihnen zu wenig. Und deshalb ist diese Spielzeit eben keine sehr gute. Und die Sehnsucht nach den Spielern, die das Maximum möglicher erscheinen lassen, ist umso größer. Der Unterschiedsfußballer Wirtz ist so einer. Das hat sich allerdings auch bereits nach England (Manchester City) und Spanien (Real Madrid) herumgesprochen.

Die Meisterschaft ist die Torte, wie Klubchef Jan-Christian Dreesen zuletzt gesagt hatte. Aber was ist die Torte ohne die Kirsche? Wenn das leckerste Fußball-Gebäck Europas am Ende dieser Saison serviert wird, sitzen die Münchner am Katzentisch. Dabei sehen sie ihren Platz doch eigentlich fest im Kreis der Könige. Doch aus diesem wurden sie im Viertelfinale von der abgezockten Internazionale aus Mailand verbannt. Zum vierten Mal in fünf Jahren waren sie schneller ausgeschieden als ihnen lieb ist. Und auch im DFB-Pokal ist der letzte Titel schon viel zu lange her. Im Sextuple-Jahr 2020 war das. Das kann so nicht bleiben. Für die Zukunft ist das der Auftrag von Trainer Vincent Kompany.

Der Belgier darf sich trotz der lediglich guten Saison als großer Gewinner fühlen. Nach einer Suche mit absurden Ausmaßen war er im Mai des vergangenen Jahres vom damals noch neuen Sportvorstand Max Eberl als weißes Kaninchen aus dem Hut gezaubert worden. Den Namen Kompany hatte niemand auf dem Zettel, der vor großen Namen nur so überquoll und Woche für Woche kürzer wurde. Kompany kam vom FC Burnley. Mit dem Klub stieg er erst auf und dann direkt wieder ab. Wie das so ist in der Fahrstuhl-Liga in England. Er weckte so nicht die gigantischen Erwartungen seiner Vorgänger. Das waren Julian Nagelsmann, der Weltrekordmann (gemessen an der Ablöse), und Thomas Tuchel, das polarisierende und unberechenbare Genie an der Seitenlinie. Beiden wurde die Begründung einer neuen Ära ins Pflichtenheft geschrieben. Es klappt jeweils nicht.

Die Kabine nicht verloren

Auch Kompany ist längst noch nicht in den Sphären einer neuen Ära gelandet. Dafür ist ein großer Titel zu wenig. Womöglich wird man auch ihm irgendwann nachsagen, dass er beim FC Bayern gescheitert ist. Der Fußball dreht sich so schnell, dass nichts vorhersehbar ist. Allerdings gibt es derzeit kaum Indizien dafür. Kompany hat etwas geschafft, das für den Moment wichtiger ist als Titel. Er hat die Mannschaft hinter sich versammelt. Und das in einem durchaus heiklen Jahr für den Verein. Mit Joshua Kimmich und Alphonso Davies hätten zwei Spieler den FC Bayern im Sommer ablösefrei verlassen können. Sie blieben, nach sehr geräuschvollen Verhandlungen. Klar, sie verdienen weiter gut in München. Aber sie hatten auch die sportliche Perspektive im Sinn. Vor allem Kimmich. Der sprach nach der Verlängerungen davon, wie überzeugt er von Kompany und dem Weg ist.

Auf diesem Weg ging Vereinsikone Thomas Müller verloren. Im Sommer bekommt er keinen neuen Vertrag, er hatte sich das anders gewünscht. Der Weg zur Tür wurde abseits des Platzes zu einem unwürdigen Schauspiel. Die Art des Abgangs offenbarte für einen Moment Risse im Binnenverhältnis, die aber mit einem Grinse-Foto und Erklärungen wieder eingefangen werden sollten. Kompany dagegen gelang es, die brisanteste Personalie der vergangenen Jahre, die immer wieder gewaltige Detonationskraft entwickelte, mit ruhiger Hand zu entschärfen. Lediglich nach dem Viertelfinal-Hinspiel gegen Inter Mailand (1:2) entbrannte kurz eine Debatte, ob Torschütze Müller nicht viel früher hätte eingewechselt oder gar von Beginn an hätte spielen sollen. Die Debatte aber blieb im fußballtypischen Rahmen, sie uferte nicht aus. Und Kompany kommentierte stets ruhig und sachlich.

Dieser grundsympathisch-ruhige Trainer tut dem FC Bayern gut. Er öffnet nicht ständig Nebenschauplätze mit fliegenden Boards, modischen Trends oder viel beachteten Liebesgeschichten. Und er treibt den Klub nicht mit Kritik am Kader und unverhandelbaren Transferwünschen vor sich her. Einen Flächenbrand soll Tuchel mit seiner Art beim FC Bayern ausgelöst haben. Immer wieder schritt Uli Hoeneß ein und maßregelte den Trainer von seiner Machtzentrale am Tegernsee. Hoeneß ist zwar immer noch aktiv, aber nicht, um Kompany einzufangen.

Eine drängende Gefahr

Ob es dafür überhaupt jemanden braucht? Das weiß man nicht. Aber mit Sportvorstand Max Eberl ist jemand da, der sich immer in den Wind stellt. In bester Tradition des FC Bayern. Auch wenn es immer wieder Gerüchte um interne Kritik an seiner Arbeitsweise gibt, hat er das Gen des Rekordmeisters verinnerlicht. Eberl haut Sprüche raus und scheut keine Konflikte mit Reportern. Mit ihm ist wieder jemand da, der den Klub in der ersten Linie verteidigt. Mit diesem Vakuum hatten zuvor Tuchel und vor allem Nagelsmann zu kämpfen.

Der Bundestrainer wurde von dem damaligen Führungs-Duo Oliver Kahn und Hasan Salihamdizic immer wieder alleine gelassen. Etwa bei brisanten Themen wie der Impf-Zurückhaltung von Joshua Kimmich während der Corona-Pandemie. Nagelsmann musste weit über sein Amt hinaus moderieren. Und Tuchel hatte kein mächtiges Gegengewicht, welches ihn ausgleichen konnte. Sportdirektor Christoph Freund hatte nicht die Strahlkraft. So musste Hoeneß ran. Er sah sein Kind "FC Bayern" in Gefahr.

Noch ist diese nicht gebannt. Die Münchner kämpfen weiter darum, ein Superschwergewicht in Europa zu sein. Der FC Bayern trägt das Selbstverständnis in sich, in jedem Wettbewerb ein Topfavorit auf den Titel zu sein - mit allen Unwägbarkeiten, die das Spiel immer mit sich bringt. In diesem Jahr waren es Verletzungen von Spielern wie Musiala, Davies und Dayot Upamecano zur absoluten Unzeit. Und im DFB-Pokal eine frühe Rote Karte gegen Torwart Manuel Neuer. Aber diese Unwägbarkeiten sollen miniert werden. Je stärker die Mannschaft ist, desto geringer scheint das Risiko, vorzeitig irgendwo zu kollabieren. Aber wie stark ist diese Mannschaft, die bei den Kosten für Gehälter, noch vor den teuren Verlängerungen der Schlüsselspieler in dieser Saison, zu den sechs teuersten in Europa gehörte und in etwa gleichauf mit dem FC Liverpool lag.

Diese Frage richtet sich an Eberl und Kompany. Sie müssen den Umbruch gestalten. Eberl muss den Kader nach den teuren Verlängerungen finanziell abrüsten. Die Qualität aber gleichermaßen aufrechterhalten. Für künftige Transfers nannte er die Verpflichtung von Michael Olise im vergangenen Sommer als Benchmark. Der Franzose wurde für gut 50 Millionen Euro von Crystal Palace geholt und spielte die Bundesliga-Konkurrenz phasenweise schwindelig. Kompany muss sportlich liefern, die Mannschaft weiterentwickeln. Defensiv war sie bisweilen zu anfällig, auch nach einigen Anpassungen, die der Trainer schon früh in der Saison vorgenommen hatte. Und vorne leisteten sich die Bayern zu oft einen teuren Chancenwucher.

Der FC Bayern hat die Minimalanforderung an diese Saison erfolgreich gestemmt. Für den Moment reicht das aus. Für den Beginn einer neuen Ära aber nicht.

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