„Es war furchtbar traurig, dass ich damals das Gefühl hatte, es hilft mir“
Mit Rückkehrerin Ann-Katrin Berger im Tor geht Bundestrainer Christian Wück in die Nations-League-Finalpartien gegen Spanien, wie der Deutsche Fußball-Bund mitteilte. Das Hinspiel gegen die Weltmeisterinnen findet am 28. November (20.30 Uhr/ZDF) in Kaiserslautern statt. Das Rückspiel steht am 2. Dezember (18.30 Uhr/ARD) im Madrider Estadio Metropolitano an.
„Es werden elf gute Individualisten gegen ein Team verlieren - und dieses Team wollen wir dann auf dem Platz sein“, kündigte Wück auch mit Blick auf die 0:1-Niederlage nach Verlängerung im EM-Halbfinale gegen Spanien an.
Bergers Rückkehr spielt für den 52 Jahre alten Ex-Profi eine große Rolle: „Ich glaube, es ist unheimlich wichtig, dass sie wieder auf dem Platz steht, dass sie wieder zu hundert Prozent fit ist, dass sie wieder ihre Leistung im Verein gezeigt hat, und wir hoffen, dass sie das bei uns auch wieder auf dem Platz zeigen kann“, sagte Wück über Berger: „Von ihrer Erfahrung her wird die Mannschaft profitieren.“
Die 35 Jahre alte Torhüterin vom US-Club Gotham FC hatte die Halbfinal-Partien gegen Frankreich (1:0/2:2) wegen einer Knieverletzung verpasst und ihren Stammplatz Wolfsburgs Stina Johannes überlassen müssen. Gleich um zwei Titel spielt Berger in den nächsten Wochen. Neben dem in der Nations zunächst am Samstag mit Gotham gegen Washington Spirit um die Meisterschaft in der National Women's Soccer League (NWSL). Flankierend dazu treibt die gebürtige Schwäbin etwas sehr Persönliches um: ihre frisch gedruckte Autobiografie.
Frage: Frau Berger, in dieser Woche kommt Ihr Buch „Das Spiel meines Lebens“ auf den Markt. Warum wollten Sie Ihre Biografie schreiben?
Ann-Katrin Berger: Von wollen kann keine Rede sein. (lacht) Als die Anfrage an mein Management gerichtet wurde, war meine erste Reaktion: Wer soll sich für mein Leben interessieren? Das ist doch langweilig. Dietmar (ihr Berater Dietmar Ness, die Redaktion), meine Mom und mein Opa haben sehr gute Arbeit geleistet, mich zu überzeugen. Aber ich habe schon viele Biografien gelesen, weil ich es faszinierend finde, wie Menschen durch ihr Leben gehen und Herausforderungen erleben. Und es stimmt schon: Manche Dinge habe ich zu erzählen. Und wenn ich anderen Leuten mit meiner Geschichte helfen kann, dann mache ich das gern.
Frage: Sie sprechen vor allem von Ihrer Krebserkrankung?
Berger: Auch. Aber ja: Die Möglichkeit, anderen Betroffenen Mut zu machen, oder nur zu zeigen, dass sie nicht allein damit sind, war damals der Grund, warum ich mit meiner Erkrankung an die Öffentlichkeit gegangen bin. Dass ich damit so viele Menschen erreicht habe, hat mir eine Genugtuung gegeben. Im Buch versuche ich, beide Seiten zu erklären: das Schöne am Fußball, aber auch, dass es manchmal nicht so reibungslos klappt, wie man denkt. Zum Beispiel ist meine Botschaft bei der Krankheit, dass man positiv sein sollte, aber nicht immer positiv sein kann.
Frage: Sie schreiben über sehr persönliche Themen. Zum Beispiel über die Herzinfarkte und Demenz Ihres Vaters, die Liebe zu Ihrer Verlobten Jess Carter, Probleme in Ex-Mannschaften oder auch Schwierigkeiten, akzeptiert zu werden. Gab es im Buch Tabus?
Berger: Ich bin ein sehr privater Mensch und sehr selten in Deutschland. Ich behaupte, dass die meisten Deutschen in den vergangenen zehn Jahren gar nicht wussten, wer ich bin. Deshalb habe ich bei jeder Geschichte genau überlegt, ob ich sie erzählen möchte. Wenn ich ein Buch schreibe, möchte ich aber auch nicht nur alles schönreden, sondern zeigen, dass das Leben schwarz und weiß sein kann. Dazu gehört, dass ich über meinen Schatten springen und offener sein musste.
Frage: Wollen Sie auch Mädchen erreichen?
Berger: Mir ist es egal, ob ich junge Mädchen oder Jungs erreiche. Beide haben es nicht immer leicht. Ich möchte, dass Kinder sehen, wie hoch der Aufwand ist, um ganz oben anzukommen. Viele sehen uns im Fernsehen und möchten so sein wie Giulia Gwinn, Lea Schüller oder Linda Dallmann und denken, alles ist Friede, Freude, Eierkuchen. Aber das stimmt nicht. Vielleicht kann ich dabei helfen, den Ehrgeiz bei Kindern zu entwickeln, aber auch den Realismus zu haben. Ich wünsche mir, dass es mehr schaffen, die ihr ganzes Herzblut in den Fußball stecken.
Frage: Was ist Ihre Botschaft?
Berger: Man darf sich für keinen verändern. Wenn man das macht, kann man nicht auf das nächste Level seiner eigenen Persönlichkeit kommen. Dann wäre man nur damit beschäftigt, es jedem recht zu machen. Also: Lieber Energie sparen, um sich selbst treu zu bleiben. Es hört sich immer sehr stressig an, wenn Leute in meinem Umfeld sagen, was sie alles machen müssen. Aber nein, man muss so vieles nicht machen.
Frage: Sie beschreiben in Ihrem Buch, dass Sie sich als Mädchen die Haare abgeschnitten haben, um in Ihrer Jungen-Mannschaft akzeptiert zu werden. Würden Sie sagen, so etwas sollte niemand tun?
Berger: Übrigens: Ich habe gerade meine Haare wieder kurz – und es aus freiem Willen gemacht. (lacht) Als Kind war das natürlich anders. Manchmal geht man dann eben doch Kompromisse ein. Es war furchtbar traurig, dass ich damals das Gefühl hatte, es hilft mir. Aber: Ich wollte zwar dazugehören, und mein Leben war danach einfacher. Dennoch mochte ich schon immer kurze Haare. Also war es noch der einfachste Schritt, den ich gehen konnte. Bei mir waren viele drastische Schritte dabei. Inzwischen bin ich weiser und cleverer. Und ich denke, heute sind der Frauenfußball und die Gesellschaft anders als vor 30 Jahren. Ich hoffe nicht, dass junge Mädchen das heute noch machen müssen.
Frage: Sie verraten im Buch, dass Sie als Kind ADHS diagnostiziert bekamen und mit autogenem Training Ruhe finden sollten. Dabei hat sich Ihr Mantra für Ihr Leben entwickelt. In schwierigen Situationen stellen Sie sich vor, dass Sie ein Schiffsmast sind, der den Stürmen standhalten muss.
Berger: Das war die erste Geschichte, die ich unbedingt erzählen wollte, und der Leitfaden für das Buch. Weil jeder diese Situationen kennt. Es gibt so viele Stürme im Leben und keinen, der ohne Probleme durch sein Leben geht. Im Moment sieht mich in der Öffentlichkeit jeder als coole Socke und mit Nerven aus Stahl. Aber das musste ich mir über einen längeren Zeitraum antrainieren, ich wurde ja so nicht geboren. Egal, welcher Sturm es ist, er macht mich als Schiffsmast stabiler. Bei jedem Elfmeterschießen oder jedes Mal, wenn ich in der Klinik war, hat mir der Gedanke an den Schiffsmast geholfen. Oder auch die Europameisterschaft im Sommer. Wie viel Mist ich mir da anhören musste. Mich hat das nicht interessiert, aber es hat auch meine Familie betroffen.
Frage: Sie schildern, wie Sie nach den ersten Spielen bei der EM mit Ihrer Familie durch Zürich laufen und Leute Ihnen zurufen, dass Sie andere deutsche Torhüterinnen besser finden und „Rüderes“, wie Sie es schreiben. Wie sehr wankte da der Schiffsmast?
Berger: Ich würde lügen, wenn ich sage, dass das einfach war. Meine Familie ist mein Rückzugsort. Dort bin ich die Tochter, Schwester oder Tante und nicht die Torhüterin. Wenn dann so was passiert, ist der Schiffsmast gehörig am Rütteln. Das hat ein paar Tage gedauert, wieder runterzukommen, weil es vorher nie passiert war. Es tat mir unfassbar leid für meine Familie, weil sie das noch weniger aus dem Alltag kennen, angesprochen zu werden. Solche Dinge sind ein No-Go. Ich habe meine Gedanken dann irgendwann umgedreht. Mir taten die Menschen, die sich so verhalten, unfassbar leid, dass sie keine anderen Probleme haben, als andere Leute zu verletzen.
Frage: Sie erklären in Ihrem Buch, wie Sie die Körperhaltung der Schützinnen analysieren und wann Sie wie wohin springen. Ist das nicht ein Eigentor?
Berger: (lacht) Nein, nein, es braucht viel mehr Details als das, was ich verraten habe. Aber ich muss sagen: Ich habe es immer schwerer. Vor einem Jahr war es noch einfacher, Elfmeter zu halten. Die Schützinnen entwickeln sich weiter und werden immer besser. Also: Es gibt viel, was ich nicht verraten habe. Das wird also noch mal ein richtig guter Bestseller.
Frage: Sie lassen im Buch Ihre Karriereplanung offen. Wie ist der aktuelle Stand?
Berger: Es gibt nichts Neues. Ich habe noch ein Jahr Vertrag bei Gotham FC in New Jersey. Mein Körper wird mir ein Signal geben, wenn ich aufhören oder eine Stufe runtergehen soll. Aber im Moment fühle ich mich gut. Und in der Nationalmannschaft haben wir rund um die Nations-League-Finals ein paar Gespräche. In die gehe ich ganz offen.
Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Sport Bild“ veröffentlicht.
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