Die Befreiung – „Wir sind immer noch Deutschland“
Ob sie dort spielen werden, wissen sie zwar bislang nicht. Aber dass die Möglichkeit besteht – und das reichte am Montagabend dafür, in Anspielung auf einen der 16 Spielorte bei der WM 2026 die Boxen im Teambus mal etwas lauter aufzudrehen. „Ich war noch niemals in New York“ hallte es durch die Katakomben der Arena von Leipzig, als die Trainer und Betreuer in den Bus stiegen.
Mit den Klängen des Udo-Jürgens-Klassikers ging es zurück ins Hotel. Allerdings ohne die Spieler, die zuvor in Gruppen in Vans verschwanden und sich nach dem 6:0 (4:0) gegen die Slowakei noch in der Nacht auf den Heimweg begaben. Eine kleine gemeinsame Feier im Quartier gab es nicht, die hatte man kurzerhand in die Kabine verlegt und sich dort bei extra bestellter Pizza über die Qualifikation zur WM 2026 in den USA, Mexiko und Kanada gefreut.
Mit einem Gala-Auftritt, der nach Tagen, in denen es wieder mal große Zweifel in Bezug auf das deutsche Nationalteam gab, so nicht zu erwarten war, hatte sich die Mannschaft von Bundestrainer Julian Nagelsmann vor rund 40.000 Zuschauern im Stadion und 9,68 Millionen daheim vor den Bildschirmen für das WM-Turnier qualifiziert. Es war ein Spiel wie ein Befreiungsschlag. Balsam für die Seele – nach einer Qualifikation, die Anfang September mit einem 0:2 in der Slowakei begonnen hatte und sehr holprig war. Dass es am Montag so reibungslos ablief, überraschte.
Joshua Kimmich – Gesicht der Mannschaft, Antreiber, Taktgeber
„Ich bin sehr glücklich, was die Mannschaftsleistung angeht. Ich freue mich super für die gesamte Gruppe“, sagte Bundestrainer Nagelsmann, der in den vergangenen Monaten viel Kritik hatte einstecken müssen. Ob des wechselnden Spielsystems, ob der einen oder anderen Nominierung – oder ob einiger Aussagen. Von Genugtuung wollte der 38-Jährige nun, da eine erste große Hürde genommen war, nichts wissen. Der viermalige Weltmeister Deutschland fährt zum 21. Mal zu einer WM – das ist das, was für ihn offenbar zählt. „Genugtuung hat immer so einen leichten negativen Touch, als wenn ich irgendwie sauer wäre auf alle anderen.“ Froh war Nagelsmann dennoch. Das war zu spüren, das war ihm anzusehen.
Was wäre der Aufschrei groß gewesen, hätte seine Mannschaft die Partie verloren und versuchen müssen, das WM-Ticket über die Play-offs zu lösen. Ganz zu schweigen davon, was erst passiert wäre, hätte es nicht einmal beim Nachsitzen für die WM-Teilnahme gereicht. Sein ganzes Wirken als Bundestrainer hätte auf dem Prüfstand gestanden, wenn das schiefgegangen wäre. Durch die 6:0-Gala aber war alles Kritische wie weggeblasen. Das große Fußball-Glück schwappte förmlich über zu Rudi Völler, den DFB-Sportdirektor, den es am Ende nicht mehr auf seinem Tribünensitz hielt und der unten am Spielfeld die letzten Minuten der Partie verfolgte – und auch zu Jürgen Klopp auf der Tribüne, der unter seiner Schiebermütze grinste und Gefallen hatte an dem, was auf dem Rasen passierte.
Angeführt von einem starken Kapitän Joshua Kimmich hatte die deutsche Mannschaft eine furiose erste Halbzeit hingelegt, in der Nick Woltemade, Serge Gnabry und Leroy Sané die Tore erzielten. Letzterer traf zweimal. Nach dem Seitenwechsel sorgten Ridle Baku und Debütant Assan Ouedraogo für den Endstand in einem Spiel, das Kimmich mit seiner Monstergrätsche in der 14. Minute in die richtige Bahn gelenkt hatte. Im Vollsprint war der Münchner zum Slowaken Adam Obert geeilt, hatte ihm den Ball abgenommen und dann in die Mitte geflankt. Es war ein Signal des Siegeswillens.
Der 30 Jahre alte Kapitän ist das Gesicht der Mannschaft, ihr Antreiber – ihr Taktgeber. Niemand weiß nach den Turnierdebakel 2018 und 2022, als die deutsche Mannschaft bereits in der Vorrunde scheiterte, besser als Kimmich, wie es sich anfühlt, bei einer WM zu verlieren. Jetzt schon vor der Endrunde zu scheitern, wäre unerträglich gewesen. „Ich habe es den Jungs auch gesagt, die WM ist das Größte, was es gibt für einen Spieler in seiner Karriere, für sein Land bei der Weltmeisterschaft spielen zu dürfen. In Deutschland ist man es nicht gewohnt, dass das auf der Kippe steht“, sagte Kimmich – und lobte den Bundestrainer.
„All das, was der Trainer einfordert, all das, wie der Trainer uns auch vorbereitet hat – da muss man ihm ein Kompliment machen, wie ruhig er geblieben ist in den letzten Tagen. Ich kann mir vorstellen, dass auf ihm auch ein gewisser Druck lastet. Und dementsprechend hat er uns wirklich super eingestellt und heute haben wir es auch gut umgesetzt“, sagte Kimmich.
Die WM-Teilnahme würde ihm viel bedeuten, ergänzte er. „Natürlich erwartet man immer, dass es als Deutschland gar nicht erst knapp wird. Wir alle wussten trotzdem, was heute auf dem Spiel stand. Dass wir dann in so einer Art und Weise spielen und gewinnen, ist besonders. Wir freuen uns alle sehr.“
Auf die Frage, warum denn ein Spiel nicht immer so gut verlaufen würde, entgegnete er, dass der Trainer all das, was man gegen die Slowakei gezeigt habe, auch sonst einfordern und von ihnen erwarten würde. Das, was man in Leipzig gezeigt habe, müsse die Basis sein. „Das war wirklich in allen Facetten des Spiels sehr, sehr gut. Wir waren gut im Gegenpressing, wir haben ein gutes Mann-gegen-Mann gespielt, hatten sehr, sehr hohe Ballgewinne, haben es mit Ball auch gut gespielt und hatten viele kreative Lösungen.“
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Als einen positiven Effekt wertet es der Kapitän, dass im Kader einige Spieler sind, die die letzten beiden Weltmeisterschaften nicht miterlebt haben. „Die waren leider nicht so erfolgreich. Dementsprechend ist das schon wichtig für uns, dass wir da auch Jungs haben, die negativen Erlebnisse bei der WM nicht gemacht haben.“
„Wir können bei der WM richtig was reißen“
Innenverteidiger Nico Schlotterbeck war 2022, als die Auswahl in Katar scheiterte, mit dabei. Mit Höhen und Tiefen in Bezug auf das Nationalteam kennt er sich also aus. „Wenn wir so spielen wie heute, sind wir eine sehr, sehr gute Mannschaft“, sagte er nach dem 6:0 gegen die Slowakei im ZDF: „Wenn dann die Jungs noch zurückkommen, die aktuell verletzt sind, dann glaube ich, dass wir eine sehr gute WM spielen. Der erste Schritt ist gemacht. Bei der WM gehen dann die nächsten Schritte weiter.“
Er sei sicher, ergänzte Schlotterbeck, „dass wir bei der WM auch richtig was reißen können“, wenn man so spielen würde, wie bei der Heim-EM im vergangenen Jahr – mit ein bisschen mehr Glück, mit ein bisschen mehr Leistung. „Wenn wir so spielen wie heute, egal ob der 46. oder der Weltranglistenerste kommt, dann können wir jeden Gegner schlagen. Wir sind immer noch Deutschland. Wir wollen etwas erreichen. Ich will auch zur WM gehen und das Ding gewinnen.“
Nick Woltemade pflichtete ihm bei. „Wenn ich irgendwo teilnehme, dann will ich auch gewinnen“, sagte der Stürmer von Newcastle United – und ergänzte: „Das würde ich genauso sagen, wenn ich jetzt eine vermeintlich kleinere Nation wäre. Das Ziel ist, jedes Spiel zu gewinnen. Ich glaube, die Attitude und das Mindset sind sehr gut. Ich glaube, das ist das, was wir als Deutschland brauchen. Was wir ausstrahlen wollen. Es ist ein weiter Weg.“
David Raum, der Linksfuß von RB Leipzig, bezeichnete das 6:0 als ein Statement des Teams. „Auch für alle da draußen – für alle Kritiker, für alle, die uns ein bisschen kritisch gesehen haben, auch nach dem Luxemburg-Spiel. Es war eine Befreiung. Nicht nur für uns, sondern auch nach draußen, für die Außendarstellung. Nicht nur, dass wir gewonnen haben, sondern wie wir gewonnen haben als Einheit. Heute haben wir wirklich alle eine brutale Mentalität, eine geile Einstellung auf den Platz gebracht. Ich glaube, das hat auch angezündet.“
Klare und offene Worte an einem Abend, der viel Freude bereitete, weil die deutsche Nationalmannschaft, die sich am vergangenen Freitag in Luxemburg noch gequält hatte, wie ausgewechselt wirkte. Mit viel mehr Einsatz, viel mehr Willen und viel mehr spielerischer Stärke agierte sie am letzten Spieltag der WM-Qualifikation, die so schwerfällig wirkte, auch wenn die Zahlen das gar nicht belegen: 16:3 Tore bei 15 Punkten – und fünf Siege in Serie und vier davon ohne Gegentor. Doch die von Julian Nagelsmann Ende August eingeforderte große Dominanz gab es erst jetzt zum Gruppenfinale gegen die Slowaken.
Ob die Fähigkeiten auch schon auf dem Niveau der WM-Topfavoriten aus Argentinien, Spanien und Frankreich sei, wollte Nagelsmann nicht kommentieren. „Ich sage jetzt nicht, was ich gerade denke. Das ist so besser. Aber wir arbeiten daran, dass wir gut präpariert sind“, versicherte der 38-Jährige.
Anfang Dezember geht es für den Coach und einige DFB-Verantwortliche zur Gruppenauslosung nach Washington, die am 5. Dezember stattfindet. Dann wird die DFB-Auswahl als nun Neuntplatzierter der Weltrangliste erwartbar unter den zwölf in Topf eins gesetzten Teams sein – auch ein Ziel, das der Bundestrainer immer hatte. In den USA wird noch das mögliche Quartier begutachtet. Wenn feststeht, in welcher Gruppe die deutsche Mannschaft spielt, kann der DFB beim Weltverband Fifa Quartierwünsche hinterlegen.
Im März hat der Bundestrainer erst wieder die Gelegenheit die Spieler zu berufen, dann steht in Stuttgart ein Testspiel gegen die Elfenbeinküste an (30. März). Ende Mai folgt ein Trainingslager in Herzogenaurach, ehe am 31. Mai in Mainz gegen Finnland getestet wird.
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