Der Chef hatte jede Menge Spaß. Julian Nagelsmann schnappte sich nach einer öffentlichen Trainingseinheit der Fußball-Nationalmannschaft in Wolfsburg in dieser Woche eine Kiste mit kleinen Bällen, die der Deutsche Fußball-Bund (DFB) bereitgestellt hatte. Und kickte sie zu den Fans auf die Tribüne. Besonders die jungen Zuschauer waren begeistert. Und der Bundestrainer mit seinen Abschlägen ziemlich treffsicher.

Auf dem Rasen machen in diesen Tagen gleich vier Torhüter die Abschläge bei der deutschen Auswahl, die sich in Niedersachsen auf die abschließenden WM-Qualifikationsspiele in Luxemburg am Freitag (20:45 Uhr, RTL) und Montag in Leipzig gegen die Slowakei (20:45 Uhr, ZDF) vorbereitet. Warum hat Nagelsmann so viele Torhüter in seinem Aufgebot?

Der Bundestrainer ist in diesen Tagen nicht nur als Fußball-Lehrer gefordert. Er muss auch Nachhilfe in Regelkunde leisten. Weshalb er für einen vierten Torhüter auf einen Feldspieler im aktuellen Aufgebot verzichte, und ob ihm dieser nicht fehle, fragte ein Reporter Nagelsmann auf einer Pressekonferenz.

„Wieso soll der fehlen? Wir haben ja 21 Feldspieler dabei“, antwortete Nagelsmann nach einem Moment der Verwunderung freundlich und erklärend. „Es gibt ja Regularien, wie viele Torhüter auf der Bank sitzen dürfen. Also das ist immer gleich, ob du jetzt acht Torhüter mitnimmst oder vier, das ist immer gleich.“

Nagelsmann kann für das Training so viele Feldspieler und Torhüter nominieren, wie er möchte. Bei den Partien in Luxemburg und in Leipzig dürfen dann aber nur 23 Spieler auf dem Spielberichtsbogen stehen, drei davon müssen Torhüter sein.

Nagelsmann wird also wie in den Oktoberspielen gegen Luxemburg (4:0) und in Nordirland (1:0) Spieler nicht berücksichtigen können. Derzeit hat er 25 Profis im Kader. In Oliver Baumann von der TSG Hoffenheim als Nummer eins, Alexander Nübel vom VfB Stuttgart, Finn Dahmen vom FC Augsburg und Noah Atubolu vom SC Freiburg sind eben vier Torhüter dabei. Einer muss auf die Tribüne, auf der gegen Luxemburg auch der gelb-gesperrte Karim Adeyemi sitzen wird. So kommt Nagelsmann auf 23 Akteure.

Andere Regeln bei EM und WM

Bei der EM in Deutschland im Vorjahr durfte Nagelsmann laut Vorgabe des europäischen Verbandes Uefa 26 Spieler nominieren, darunter drei oder vier Torhüter. Der Bundestrainer nominierte zunächst die Schlussmänner Manuel Neuer vom FC Bayern, Marc-André ter Stegen vom FC Barcelona, Baumann und Nübel – strich dann aber letzteren, um 23 statt 22 Feldspieler dabei zu haben.

Ter Stegen ist in Wolfsburg nicht dabei, weil er lange verletzt war. Und lange nicht gespielt hat. Dennoch bleibt der 33-Jährige ein großes Gesprächsthema.

Zu Beginn seines Trainingslagers bekräftigte Nagelsmann seinen WM-Plan mit ter Stegen nach dessen Rückkehr ins Training beim FC Barcelona. „Wir haben letzte Woche ein bisschen länger telefoniert. Ihm geht es gut. Das ist erst mal die wichtige Info“, berichtete der Bundestrainer.

Ter Stegen war vor wenigen Tagen ins Training der Katalanen zurückgekehrt. „Fühlt sich gut an, wieder Trainingseinheiten auf dem Platz zu sammeln“, hatte der Keeper bei Instagram geschrieben.

Der Bundestrainer hatte zuvor mehrfach schon betont, dass ter Stegen regelmäßig Einsatzzeit brauche, sobald er von seiner Rücken-Operation genesen ist. Beim FC Barcelona, für den der mittlerweile 33-Jährige seit dem Sommer 2014 spielt, ist der eigentliche Kapitän aber nicht mehr die Nummer eins. Sein Vertrag bei dem Weltklub gilt bis Sommer 2028. Ter stegen erlebte zwei Weltmeisterschaften auf der Ersatzbank. Diesmal will er endlich die Nummer eins bei einer WM sein. Doch dieses Ziel ist gefährdet.

Marc-André ter Stegen muss „einigermaßen gut spielen“

„Ich stelle nicht die Bedingungen, dass er in einem Topklub spielen muss, weil das ja auch immer ein bisschen Auslegungssache ist“, sagte Nagelsmann zu einem möglichen Wechsel ter Stegens während des Winter-Transferfensters.

Ter Stegen sei keine 22 Jahre mehr. Für ihn sei es erst mal wichtig, dass er überhaupt spiele. „Ob das jetzt ein absolut europäischer Topklub ist oder nicht, ist nicht das alles Entscheidende.“ Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass ter Stegen auch „einigermaßen gut spielen“ müsse. Nagelsmann wies jedoch darauf hin, dass es nicht „super easy“ sei, einen Klub zu finden.

„Das muss ja ein Klub sein, der im Winter nicht so zufrieden ist. Sonst holst du dir im Normalfall keinen Torwart dieser Güteklasse“, so Nagelsmann. „Ich traue ihm zu, dass irgendein Verein das machen wird. Weil Marc einfach ein sehr guter Torwart ist.“ Zudem sagte der Bundestrainer: „Beeinflussen kann ich das nicht. Das kann er so bedingt, sein Berater auch so bedingt.“

Nagelsmann betonte: „Wir freuen uns alle, dass er gesund ist und wir hoffen alle, dass er Stammtorwart wird bei einem Klub. Und dann werden wir den Plan so weiter verfolgen, wie wir ihn mal auserkoren haben. Sollte dem nicht so sein, werden wir uns weitere Gedanken machen zum viel diskutierten Torwart-Thema.“

Letzter Einsatz für die Nationalmannschaft Anfang Juni

Ter Stegen hatte sich nach seiner Degradierung bei den Katalanen unter Trainer Hansi Flick, der als Bundestrainer Nagelsmanns Vorgänger war und vor zwei Jahren nach einem 1:4 gegen Japan in Wolfsburg entlassen wurde, einer Rücken-Operation unterziehen müssen.

In der vorhergehenden Saison war der ehemalige Torwart von Borussia Mönchengladbach wegen einer Knieverletzung monatelang ausgefallen. In der Nationalmannschaft kam er zuletzt am 8. Juni zum Einsatz. Das 0:2 gegen Frankreich im Spiel um Platz drei der Nations League war ter Stegens 44. Länderspiel.

Viele Jahre war Manuel Neuer die Nummer eins im deutschen Tor, an der ter Stegen nicht vorbeikam. Nach der EM 2024 trat Neuer aus der Nationalelf zurück. Mit dem FC Bayern dominiert der 39-Jährige derzeit die Bundesliga und die Champions League, zeigt immer wieder Weltklasse-Paraden. Daher wird diskutiert, ob Neuer im neuen Jahr, vor der WM, zur Nationalelf zurückkehren sollte.

Laut „Bild“ soll es innerhalb des DFB Personen geben, die auf Nagelsmann einreden und ihn von einem Neuer-Comeback überzeugen wollen. Dafür müssten zwei Voraussetzungen erfüllt sein: ter Stegen bekommt nach seiner Rückkehr weder bei Barcelona noch bei einem anderen Klub Spielzeit. Und: Nagelsmann wäre bereit, auf Neuer zuzugehen und ihn von der Rückkehr zu überzeugen. Zwischen DFB-Sportdirektor Rudi Völler und Neuer soll es laut des Berichts bereits ein Gespräch gegeben haben. Völler soll bei Neuer angefragt haben, ob er sich – für den Fall, dass ter Stegen nicht als Stammspieler zurückkehrt und die nötige Spielpraxis sammelt – ein Comeback im Tor der Nationalmannschaft vorstellen könne.

„Meines Wissens ist Manu auch zurückgetreten. Ich wundere mich, warum wir das jede Woche drei Stunden diskutieren“, sagte Nagelsmann zuletzt. „Wir haben aktuell kein Torwartproblem.“ Besonders irritierend sei die Debatte, weil Baumann seinen Job souverän erledige. In seinen acht Länderspielen seit Oktober 2024 spielte der Hoffenheimer Torwart viermal „zu null“. „Jeder, der Mensch ist, kann sich gut vorstellen, dass es ihn nicht völlig kaltlässt“, sagte Nagelsmann.

Ob er Ansprüche stellen könne, als Nummer eins zur WM zu reisen, wurde der 35-jährige Baumann nach dem 1:0 gegen Nordirland im vergangenen Oktober gefragt. „Da würde ich appellieren, dass wir die kurzfristigen Ziele angehen sollen. Für mich ist es so, dass ich so eine Leistung wie heute abliefern möchte“, sagte Baumann. Die WM-Qualifikation zähle für ihn, nicht die persönliche WM-Perspektive.

Die Torwart-Frage in der Nationalelf bleibt dennoch spannend. Und das Thema Manuel Neuer dürfte Nagelsmann und die DFB-Verantwortlichen in den kommenden Monaten weiter begleiten.

Julien Wolff ist Sportredakteur. Er berichtet für WELT seit vielen Jahren aus München über den FC Bayern und die Fußball-Nationalmannschaft sowie über Fitness- und Sport-Ernährungs-Themen. In dieser Woche berichtet er aus dem Trainingslager der Nationalelf in Wolfsburg.

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