„Hab keine Angst, deine Komfortzone zu verlassen“ – Laura Philipps inspirierende Erfolgsstory
Laura Philipp hat ein wenig mit sich gehadert. Soll sie sich freuen auf das Wiedersehen mit einem alten Bekannten an diesem einen speziellen Ort, der ihm immer zu besonders voller Pracht verhilft? Ein schöner Ort, warm, sonnig, mit türkisblauem Meer, ein paradiesisches Sehnsuchtsziel für Menschen weltweit. Gleichzeitig aber auch geprägt von enormer Luftfeuchtigkeit, dem unberechenbaren Mumuku – starken, böigen Seiten- oder Fallwinden – und schwarzer Lavawüste. Und wenn man dann, wie Philipp, dort mehr als acht Stunden schwimmt, scheinbar ewig geradeaus Rad fährt und läuft, mutiert diese Bilderbuch-Umgebung zum Schauplatz innerer Kämpfe. Die Sonne brennt von oben, der Asphalt von unten. Links und rechts oft kilometerweit nur Lava. Einsam und brutal. Und dann wird Philipp ihm begegnen: ihrem alten Bekannten. Sie wird ihn treffen, willkommen heißen – und ignorieren. Den Schmerz.
Wie er sich verkleidet, wo er auftaucht – ungewiss. Aber sicher ist: Er wartet auf sie am 11. Oktober bei der Ironman-WM auf Hawaii. „Es ist dann wie ein tiefes Ausatmen. Ich sage ihm: ‚Okay, du bist jetzt da, das darfst du auch. Ich halte aber wegen dir nicht an. Tut mir leid.‘“ Dann wird sie, wenn möglich, einen Regler im Kopf verschieben und ihren Fokus auf etwas anderes lenken, weg von dem Bekannten. Ihn verscheuchen aus dem Kopf. „Ich finde es erstaunlich, dass man es schaffen kann, ihn kleiner werden zu lassen, indem man an etwas anderes denkt“, sagt sie. Die 38-Jährige kennt sich aus damit, sie ist die amtierende Ironman-Weltmeisterin. Dabei hat die Heidelbergerin einen ungewöhnlichen Weg an die Spitze hinter sich. Einen, der zeigt: Mut, Fleiß, Willen und Leidenschaft zahlen sich aus.
Am frühen Morgen des 11. Oktober also – 18.30 Uhr deutscher Zeit – wird sie in Kailua-Kona auf Big Island als Titelverteidigerin über die 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42,2 Kilometer Laufen antreten. Während die Männer im September in Nizza in dem Norweger Casper Stornes ihren Champion fanden, sind nun also die Frauen dran, bevor im kommenden Jahr nach drei Jahren zeitlich und örtlich gesplitteter Weltmeisterschaften wieder alle am selben Tag auf Big Island starten.
„Sich auf etwas Neues einlassen“
Dass Philipp nun mit der Startnummer 1 als Titelverteidigerin ins Rennen geht, war mehr als die Hälfte ihres Lebens nicht mal eine entfernte Utopie gewesen. Der Gedanke fand einfach nicht statt, weil sie schlichtweg mit dieser Sportart lange nichts zu tun hatte. Als Triathlon-Spätstarterin aber, bei der sich der Traum vom WM-Titel schließlich zu einem festen und realistischen Ziel entwickelte, sicherte sie sich 2024 in Nizza als zweite Deutschen überhaupt nach Anne Haug 2019 die Ironman-Krone. „Ich hoffe“, sagte sie damals WELT, „dass ich vielleicht den ein oder anderen auch inspirieren kann. Dazu, sich auf etwas Neues einzulassen. Etwas zu wagen.“
Eigentlich hatte die Physiotherapeutin nie vor, Triathlon oder einen anderen Sport auf Topniveau als Profi auszuüben. Bis ins Jahr 2011 kletterte sie viel und fuhr Rennrad. Um aber die spontane Idee eines Starts bei einem kurzen Triathlonwettbewerb realisieren zu können, sprang sie – im wahrsten Sinne – ins kalte Wasser. Denn Kraulschwimmen konnte Philipp bis dahin nicht. Also brachte sie es sich im Alter von 24 Jahren selbst bei. Heute muss sie lachen bei den Erinnerungen an ihre ersten Versuche und empfiehlt jedem, es doch besser mit einem Trainer zu versuchen.
Ein begnadetes Talent jedenfalls, ob nun beim Schwimmen, auf dem Rad oder in Laufschuhen, sei sie nie gewesen, erzählt Philipp. Aber sie hatte ungeheuren Spaß bei ihrer neuen Sportart, den Mut, Fehler zu machen, und Durchhaltevermögen. Und: In Philipp Seipp einen Partner, der Triathlon als Hobby betrieb – auch wenn er damals eigentlich froh war, dass seine Freundin etwas anderes machte. Seipp jedenfalls, zu der Zeit Sportwissenschaftler im Lehrerberuf, fand, sie trainiere falsch. Und sie hörte ihm zu. Gemeinsam wuchsen die beiden hinein in diese Sportart, als Paar, später Eheleute, als Sportler-Trainer-Gespann. Heute ist Philipp Weltmeisterin und Seipp ein Ex-Lehrer und Vollzeit-Erfolgstrainer mit mehreren Athleten. Was Konfliktpotenzial birgt, entpuppte sich für Philipp als wichtiger Baustein zum Erfolg.
Erfolgsbausteine und Glücksgefühl
Ein weiterer war, dass die zwei es auf dem sportlichen Weg langsam angehen ließen, Schritt für Schritt, nichts überstürzen. Ein solider, gesunder Aufbau, anstatt für schnellen, aber womöglichen kurzfristigen Erfolg ein paar Stufen zu überspringen. Was Philipp sich zudem bis heute bewahrt, ist ihr Belohnungsritual: ohne ein Stück Kuchen am Tag geht nichts bei ihr. „So bin ich aufgewachsen, zu Hause gab es immer Kuchen“, sagt sie. „Man muss sich auch was gönnen.“
Als sie dann 2018 ihr Langdistanz-Debüt bei den Profis gab – dabei immer noch in ihrem Beruf tätig war –, ließ sie aufhorchen: Sieg mit Streckenrekord beim Ironman Barcelona und auf Anhieb die Hawaii-Qualifikation. Trotz gesundheitlich schwieriger Vorbereitung wurde sie dort 2019 bei ihrer Premiere Vierte. Es ist in etwa jener Zeitpunkt, seit dem Philipp ihr Training mehr auf ihren Körper abstimmt – auf ihren Menstruationszyklus. Sie liest und recherchiert, spricht ganz offen mit ihrem Mann und Trainer, sie lernen und ändern und sind überzeugt: zyklusorientiertes Training, in der Wissenschaft lange ignoriert, erst seit wenigen Jahren stärker im Fokus, ist ein wichtiger Faktor.
Nach der Pandemie zählte die Heidelbergerin dann bereits zu den Favoritinnen bei großen Rennen, kam aber 2022 auf Hawaii nach einer umstrittenen Zeitstrafe mit ordentlich Frust ins Ziel – und wieder als Vierte. Ein Jahr später gelang ihr schließlich als Hawaii-Dritte der Podestplatz, 2024 dann der ersehnte WM-Triumph in Nizza mit beeindruckenden acht Minuten Vorsprung auf die Zweite – auf einer anspruchsvollen Radstrecke, die mit 2400 Höhenmetern und technischen Abfahrten genau nach ihrem Geschmack war. Im Ziel flossen Tränen. „Ich war unglaublich glücklich“, sagt sie heute, „und dieses Gefühl hat sehr lange angehalten.“ Es war der große Traum, der in Erfüllung ging.
Und ein Triumph, der, so hofft sie, auch anderen Menschen Mut machen kann. Was ihre Erfolge zeigen? Philipp antwortet schnell und klar: „Hab keine Angst, deine Komfortzone zu verlassen, wenn du gut in etwas werden willst, mit dem du nicht aufgewachsen bist. Es lohnt sich generell, etwas auszuprobieren. Man muss nur bereit sein, den ersten Schritt zu gehen und sich selbst nicht limitieren.“ Und: Man solle die Reise genießen.
Erst haderte sie mit Hawaii. Jetzt ist die Motivation groß
Und genau so, wie sie ihre Reise von den ersten Schwimmeinheiten mit 24 bis zum WM-Titel genoss, so sehr erfreute sie sich danach an der Erfüllung ihres Traumes. „Ich hatte ein sehr hohes Hoch“, sagt sie. Was oftmals folgt, erlebte sie nicht: „Das große Loch danach habe ich tatsächlich gar nicht erlebt.“ Stattdessen badete sie im Glücksgefühl, solange es ging und gab ein großes Fest für mehr als 100 Menschen. „Wir haben alle eingeladen, die mich über die vergangenen Jahre begleitet haben. Die ersten Sponsoren, Menschen, die bereit waren, mich zu unterstützen, obwohl nicht absehbar war, dass ich es so weit schaffen würde“, erzählt sie. „Eigentlich bin ich auch jetzt, ein Jahr später, immer noch von Glück erfüllt.“
Dennoch fiel es ihr zum Saisonstart nicht leicht, sich für die WM auf Hawaii zu begeistern – auch wenn der Hauptgrund, weshalb sie mit Triathlon begann und es weiter ausübt, nie das Streben nach dem WM-Titel war, sondern die Freude am Sport. „Und das war ja nicht verschwunden“, sagt sie. „Dennoch hatte ich mir diesen Traum erfüllt, und die Frage war: Was ist das nächste Ziel? Ich habe ein bisschen damit gehadert, die Hawaii-Strecke noch mal anzugehen, denn witzigerweise ist es das Rennen, bei dem ich am häufigsten gestartet bin. Dort kenne ich mittlerweile fast jeden Stein. Und ich weiß ja aus Erfahrung, wie hart es ist und wie schwierig, dort seine Höchstleistung zu zeigen.“
Aus dem Hadern aber wurden Motivation und neue Lust. Weil es zwar eine bekannte, gleichzeitig aber auch eine neue Herausforderung ist, weil Philipp dort noch nie gesiegt hat, weil die eher flache Radstrecke nicht zu ihrem Vorteil und damit eine besondere Challenge ist – und weil sich für sie einiges geändert hat.
Philipp: „Bin eine stärkere Athletin geworden“
Die 38-Jährige sieht sich stärker als vor dem Hawaii-Rennen 2023. „Ich konnte mich als Athletin deutlich steigern“, sagt Philipp, die im Juni den Ironman Hamburg und im Juli die Challenge Roth gewann. „Ich bin nicht nur physisch, sondern durch den Nizza-Sieg auch mental stärker geworden, weil ich weiß: Ich habe es geschafft. Mein Selbstvertrauen ist größer, ich habe weniger Druck, mehr Leichtigkeit.“
Natürlich will sie auf Hawaii um den Sieg kämpfen, aber ihre Situation ist eine andere als in den Jahren zuvor, eine entspanntere. „Das ist vielleicht eine Zutat, die mir in der Vergangenheit gefehlt hat“, sagt Philipp. Erwartungsdruck kann auch hemmen. Jetzt hat sie, was sie wollte, und wird als Titelverteidigerin die Startnummer 1 tragen – „etwas ganz Besonderes, das muss ich genießen.“
Einen Fehler allerdings habe sie kürzlich gemacht, erzählt Philipp mit einem Augenzwinkern: zur Einstimmung schaute sie sich Szenen des Hawaii-Rennens 2023 an. Das Problem: zwischen Erinnerung und Realität klaffte eine Lücke. „Was ich selbst abgespeichert hatte, war nicht das, was ich sah“, sagt sie lachend. „Man sah mir deutlich an, wie hart es war.“ Am 11. Oktober will sie nun versuchen, es etwas leichter aussehen zu lassen. „Man darf keine Angst davor haben, dass etwas nicht klappt. Das kann immer passieren. Aber in der Lage zu sein, es ausprobieren zu können und gesund zu sein – das muss man feiern und als das Wichtigste ansehen.“
Melanie Haack ist Sport-Redakteurin und in Kailua-Kona vor Ort. Sie wird allerdings nicht – wie sonst – eine aktuelle Renn-Reportage schreiben können, da sie sich beim Ironman Kalmar (Schweden) für Hawaii qualifiziert hat und noch für einige Stunden auf der Strecke sein wird, wenn die Profi-Athletinnen ins Ziel kommen. Hier finden Sie alle ihre Artikel.
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