Mit Wehmut und Traurigkeit verfolgt Svenja Thoes derzeit aus der Ferne, wie sich die weltbesten Profi- und Altersklassentriathletinnen auf den legendären Ironman Hawaii vorbereiten. Sie hat ihn selbst erlebt, den Mythos Hawaii, ist 3,8 Kilometer durch den Pazifik geschwommen, 180 Kilometer mit dem Rennrad durch Lavafelder und gegen die Mumuku-Winde gefahren und dann auf heißem Asphalt bei brennender Sonne einen Marathon gelaufen. Sie war Altersklassen-Weltmeisterin und wechselte dann zu den Profis – jetzt hofft sie, irgendwann wieder ein paar Kilometer schmerzfrei joggen zu können.

Eigentlich wollte die 34-Jährige auch dieses Mal, am 11. Oktober, auf Hawaii dabei sein. Es wäre ihr dritter Profi-Start in Kailua-Kona, doch ihre Karriere ist vorbei. Sie, die sich bis zu neun Stunden im Wettkampf durchbiss, vier Ironman-Rennen gewann und extrem fit war, kämpft jetzt darum, sich überhaupt schmerzfrei bewegen zu können. Fünf bis sieben Kilometer – mehr geht nicht. Und auch das nur mit Problemen. „Ich würde so gerne einfach rausgehen und laufen. Aber es tut alles weh“, sagt sie. „Ich vermisse die Bewegung und die Fitness.“

Ein folgenreicher Radunfall vor einem Jahr änderte vieles. Körperlich und mental. Sie rappelte sich wieder auf, arbeitete am Comeback – um dann festzustellen, dass der Körper nicht kann. Erst seit Kurzem steht fest, was sie von Anfang an ahnte: Bei dem Unfall zog sie sich unter anderem eine Kieferverletzung zu. Die daraus folgende Fehlstellung sorgt bis heute auch im Alltag für Schmerzen und Probleme unterschiedlicher Art. Das Karriereende war alternativlos. „Jetzt, wo etwas Zeit vergangen ist und Hawaii ansteht, realisiere ich das alles erst richtig. Es ist schwierig, das zu verarbeiten und das neue Leben zu akzeptieren“, sagt sie. „Aber ich glaube, ich bin auf einem guten Weg.“

Die Entscheidung, dass ihr Kampf für ein Comeback aussichtslos ist, fiel vor einem Monat. Wenige Tage, nachdem festgestellt wurde: mit ihrem Kiefergelenk stimmt etwas nicht, ihre anhaltenden gesundheitlichen Probleme wie starke Kopfschmerzen, Schwindel und Schmerzen beim Laufen in der Hüfte hängen sehr wahrscheinlich damit zusammen. „Ich kann nicht richtig zubeißen und nur auf einer Seite kauen“, sagt Thoes. „Es strahlt durch den kompletten Körper. Ich habe keine Freude mehr an der Bewegung wegen dieser Schmerzen.“

Und auch der Kopf hat noch zu kämpfen, wie sie erzählt: „Ich fahre mit dem Rad zur Arbeit und habe immer noch Angst. Das sind lächerliche 17 Kilometer.“ Ab und zu fährt die 34-Jährige mit dem Zug zurück.

„Wenn ich jetzt nicht abliefere, dann werde ich erschossen“

Was war vor einem Jahr passiert? Thoes hatte sich für die Ironman-WM 2024 in Nizza qualifiziert – eine Strecke mit sehr anspruchsvollem Radprofil, die ihr liegt. Ein Titelkampf, bei dem sie unter den Top Ten oder auch Top Fünf landen konnte. Thoes setzte alles auf diese Karte. Während sie lange Zeit neben dem Profi-Dasein weiterhin phasenweise ihren Beruf als Flugbegleiterin bei Condor ausgeübt hatte, um die Kosten zu decken, konzentrierte sie sich nun voll auf den Sport – ein schwieriges Unterfangen. Denn für alle, die nicht ganz an der Spitze sind, ist Triathlon als Profisport ein finanzieller Kraftakt und kaum stemmbar.

Im August 2024 bereitete sie sich dann im Schweizer Engadin auf Nizza vor, als es passierte: Bei einer Radeinheit nahm ihr eine E-Bike-Fahrerin die Vorfahrt, Thoes stürzte und war kurz bewusstlos. Sie zog sich einen Ellbogenbruch, ein Schädelhirntrauma, Prellungen und Schürfwunden zu. „Ich hatte noch längere Zeit extreme Kopfschmerzen, sodass ich mich immer wieder übergeben habe“, sagt sie. Dazu kam Schwindel. Beides begleitet sie bis heute, nur nicht mehr so stark. „Das Erste, was ich noch am Unfallort sagte: Ich habe mir meinen Kiefer gebrochen“, berichtet sie. Doch die Ärzte im Krankenhaus sahen im MRT nichts.

Schlimmer als die körperlichen schienen zunächst die mentalen Folgen. Ihr Triathlonrad betrachtete sie lieber aus der Ferne – der Unfall hatte sich ins Hirn gebrannt. Beinahe hätte sie zu jenem Zeitpunkt bereits gesagt: „Das war‘s!“ Auch, weil sie merkte, dass es guttat, aus ihrer Sportwelt auszubrechen, weil sie realisierte, dass in ihrer Gedankenwelt manches ungesund geworden war. „Ich war zuvor extrem in einem Strudel drin“, sagt Thoes. Schleichend hatte sie sich selbst immer stärker unter Druck gesetzt, sodass es kaum noch auszuhalten war. „Wenn ich jetzt nicht abliefe, dann werde ich erschossen, dachte ich überspitzt gesagt. Das war schon fest verankert.“

Ein Gewinnspiel gab den Startschuss

Auch der finanzielle Aspekt förderte den Druck für Thoes, die eher durch Zufall mit 21 Jahren zum Triathlon gekommen war: Ihr Arbeitgeber hatte einen Startplatz für den Ironman 70.3 auf Mallorca verlost, inklusive Flug und Hotel. Thoes gewann die Verlosung – und fand erst danach heraus, dass es um 1,9 km Schwimmen, 90 km Rad und 21,1 km Laufen ging. Bis dahin, so erzählte sie WELT einmal, hatte sie an keinem Sport so richtig Freude gefunden. „Das änderte sich dann schnell und ich bin Condor bis heute dafür dankbar“, sagt sie.

2016, im Alter von 25 Jahren, gelang ihr dann der Triumph: Sie krönte sich beim Ironman Hawaii zur Weltmeisterin in ihrer Altersklasse und wurde Gesamt-15., inklusive der Profis. Ein Jahr später wechselte sie schließlich zu den Profis, wo ihr 2018 der erste Sieg gelang, der sie 2019 erneut nach Hawaii brachte.

2022 wurde dann ihr erfolgreichstes Jahr mit Siegen bei den Ironman-Rennen in Nizza, Irland und Italien. Auf Hawaii startete sie dieses Mal dennoch nicht: aus finanziellen Gründen – insgesamt hätten sich die Kosten auf etwa 10.000 Euro bemessen.

Zurück ins Training, doch der Schmerz blieb

Die WM in Nizza 2024 hätte ihre große Chance sein können. Doch dann geschah der Unfall. Thoes kämpfte sich danach aus dem körperlichen und mentalen Tief heraus, wollte es noch einmal versuchen und es sich selbst beweisen. Ihr ursprünglicher Plan: Am 30. März 2025 beim Ironman Südafrika an den Start gehen und die Hawaii-Qualifikation schaffen.

Sie begab sich wieder ins Training, machte Fortschritte – aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Immer wieder musste sie Pausen einlegen, Lauftraining wie früher war nicht mehr möglich. Und es änderte sich nicht. Der Schmerz blieb.

Sie besuchte Ärzte, ging zum Osteopathen, war beim Chiropraktiker und in der Kieferchirurgie. In der Kopfchirurgie in Heidelberg sagte man ihr schließlich in diesem August: Der Kiefer sehe nicht so aus, als wäre er schon vor dem Unfall so gewesen. Im rechten Gelenk sei etwas passiert, die Kieferfehlstellung eine Folge. „Dadurch fehlt meinem Körper Stabilität, was zu Dysbalancen und wahrscheinlich den unterschiedlichen Schmerzen und Problemen führt“, sagt sie.

„Ich glaube, dass Dinge aus einem Grund passieren“

Und jetzt? Wie geht es gesundheitlich, sportlich und beruflich weiter? Seit dem Unfall ist Thoes als fluguntauglich eingestuft, erhält aber viel Unterstützung von ihrem Arbeitgeber, der sie seitdem am Boden einsetzt und ins Team für Affiliate/Performance Marketing geholt hat. Ein Comeback in der Luft – irgendwann – ist nicht ausgeschlossen, wohl aber im Profisport. Das Kapitel ist Geschichte.

Thoes konzentriert sich darauf, wieder gesund zu werden. Leicht ist das nicht: unterschiedliche Ärzte und Experten – unterschiedliche Ansätze. „Ich renne von A nach B“, sagt sie. Eine kleine Hoffnung gibt es aktuell, dass sie eine Operation vermeiden kann. Und vor allem versucht sie eines: Dem Ganzen etwas Positives abzugewinnen.

„Ich habe eine große Aufgabe bekommen. Und das ist ja irgendwo auch das Spannende am Leben. Wir können planen bis ins letzte Detail, aber manchmal kommt es anders. Und dann müssen wir mit dem Unerwarteten umgehen“, sagt sie. „Vielleicht sollte das ein Zeichen sein. Ich glaube, dass Dinge aus einem Grund passieren.“ Ein Zeichen aufzuhören, bevor noch mehr passiert. Ein Zeichen, etwas anderes zu machen und zu sehen, neue Dinge zu entdecken, die Spaß bringen.

Jetzt, einen Monat nach dem Entschluss und rund um die Ironman-Weltmeisterschaften fällt ihr das Positive an manchen Tagen schwer, aber Thoes will den Blick nach vorn richten, hat Spaß an der neuen beruflichen Herausforderung, liebäugelt auch mit Motivations-Vorträgen und Coaching – und wird alles dafür tun, wieder in Bewegung zu kommen. „Das alles ist nicht leicht, aber ich habe die Situation akzeptiert und bin auch neugierig auf das, was kommt.“

Melanie Haack ist Sport-Redakteurin und berichtet für WELT seit 2011 über olympischen Sport, extreme Ausdauer-Abenteuer sowie über Fitness & Gesundheit. Hier finden Sie alle ihre Artikel.

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